Viele Praktikumsstellen fallen weg Mindestlohn kostet schon jetzt Jobs

Berlin · Ab dem kommenden Jahr gilt in Deutschland ein allgemeiner Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Nach Angaben von Experten zeichnet sich bereits ab, dass viele Praktikumsstellen wegfallen werden.

Knapp drei Wochen vor dem Start des Mindestlohns in Deutschland zeichnet sich ab, dass die neue Regelung den Arbeitsmarkt tiefgreifend verändert. Denn die Einführung der allgemeinen Lohnuntergrenze von 8,50 Euro ab dem Jahreswechsel hat schon jetzt zur Konsequenz, dass zahlreiche Arbeitsverhältnisse gekündigt werden oder Arbeitgeber in großer Zahl die gesetzlichen Ausnahmen anwenden.

Betroffen sind Experten zufolge vor allem Praktikanten, die nach dem Schulabschluss in einem Krankenhaus oder in anderen Einrichtungen für ein Jahr das Personal unterstützen. Tatsächlich ist unserer Redaktion ein Fall aus der Region Niederrhein bekanntgeworden: Ein Krankenhaus kündigte allen volljährigen Jahrespraktikanten mit dem Verweis auf den ab 2015 für sie geltenden Mindestlohn. Eine alternative Beschäftigung wurde den Praktikanten nach ihren Angaben nicht in Aussicht gestellt.

Das Problem aus Sicht der Arbeitgeber: Für Langzeitpraktika ab vier Monaten müsste vom ersten Tag an der Mindestlohn gezahlt werden. Bisher liegt die Vergütung aber oft deutlich darunter. So auch im Fall des Krankenhauses am Niederrhein: Mit einem Taschengeld von 200 Euro wurden die Praktikanten monatlich vergütet, auf die Arbeitszeit gerechnet entspricht das einem Stundenlohn weit unter 8,50 Euro. Aus Sicht eines Betroffenen habe die Bezahlung aber gar nicht Priorität, sondern die Möglichkeit, ein Praktikum machen zu können.

568 000 Praktikanten meldeten deutsche Betriebe im vergangenen Jahr bei einer Stichprobe des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Doch solche Übergangsjobs für Anwärter eines Ausbildungs- oder Studienplatzes könnte es künftig kaum noch geben, fürchten nun Experten.

Carsten Linnemann, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der Union, sagte unserer Zeitung: "Es zeichnet sich immer mehr ab, dass das Angebot an Praktika zurückgefahren wird." Das liege daran, dass gerade größere Mittelständler nur mehrmonatige Praktikumsplätze zur Verfügung stellen. "Leidtragende sind letztendlich die jungen Menschen, die sich beruflich orientieren wollen", meint Linnemann.

Auch in anderen Branchen zeigt der ab 2015 geltende Mindestlohn schon jetzt Folgen. So kündigen Reinigungsbetriebe ihren Mitarbeitern, weil sie einen Stundenlohn von 8,50 Euro nicht zahlen wollen. Vermittler von Pflegediensten wiederum präsentieren ihren Kunden, den Angehörigen älterer Menschen, zum Teil höhere Tagessätze.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) warf Arbeitgebern gezielte Versuche zur Umgehung der Lohnuntergrenze vor. Anwälte berieten Unternehmen dabei, sagte das DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell. Demnach wollten Unternehmen Langzeitarbeitslose nur für sechs Monate einstellen. So lange wird kein Mindestlohn fällig. Die Strategie sei, die Betroffenen dann durch andere Arbeitslose zu ersetzen. "Wir werden dafür sorgen, dass diese Arbeitgeber bei der zuständigen Finanzkontrolle Schwarzarbeit an den Pranger gestellt werden, damit sie auf lange Sicht ihr Handwerk gelegt bekommen", kündigte Körzell an.

Nach Ansicht von Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), wird der Mindestlohn "nicht der große Jobkiller sein". Nach Einschätzung der BA-Experten könnte der Mindestlohn sogar dazu führen, dass einige Stellen künftig schneller besetzt werden, da sie attraktiver würden.

(jd, mar)
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