Knallharter Visionär "New York Times"-Verleger Sulzberger gestorben

Er formte mit seinen Ideen und seiner Kraft aus einer angeschlagenen Zeitung einen millionenschweren Medienkonzern - jetzt ist die Verlegerlegende Arthur Ochs Sulzberger im Alter von 86 Jahren gestorben. Im Weißen Haus war er Stammgast, Joschka Fischer ließ abblitzen.

 Arthur Ochs Sulzberger galt als Zeitungs-Visionär.

Arthur Ochs Sulzberger galt als Zeitungs-Visionär.

Foto: dapd, Burk Uzzle

Nie musste Arthur Ochs Sulzberger wichtige Politiker anrufen und um Interviews bitten. Sie riefen ihn an. Regelmäßig baten US-Präsidenten den legendären Verleger der "New York Times" zum Mittagessen ins Weiße Haus, ob Ronald Reagan oder George Bush. Auch der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer soll angerufen haben. Er stehe gerne für ein Interview zur Verfügung, ließ er ausrichten.

"Danke für das Angebot", soll Sulzberger geantwortet haben. "Aber im Moment kein Interesse." Die "New York Times" kann es sich eben leisten, wählerisch zu sein - und das nicht zuletzt dank Sulzberger. Am Samstag ist die Verlegerlegende im Alter von 86 Jahren gestorben, wie die Zeitung unter Berufung auf seine Familie berichtete.

Der Nachfahre bayerischer Einwanderer brauchte sich auf den Verleger-Posten nie zu bewerben, er hatte ihn sozusagen geerbt. Sein Großvater Adolph Ochs hatte die "New York Times" 1896 als kleine Lokalzeitung gekauft und auch sein Vater Arthur Hays Sulzberger hatte schon als deren Verleger gearbeitet. Arthur Ochs Sulzberger übernahm den Verlegerposten 1963 nach dem frühen Tod seines Schwagers und Vorgängers. In den Büros standen damals noch Schreibmaschinen. Knapp 40 Jahre alt war Sulzberger und ziemlich unerfahren in der Branche.

In Paris soll er einmal bei einem Autorennen beobachtet haben, wie ein Wagen in die Zuschauermenge raste und 83 Menschen tötete - auf die Idee, in der Redaktion anzurufen, kam er nicht.

Aber Sulzberger zeichnete sich durch andere Fähigkeiten aus:
Leidenschaft, Menschenkenntnis, Geschäftssinn, Härte in Verhandlungen. Der in den USA respektvoll unter dem Spitznamen "Punch" (Durchsetzungsfähigkeit) bekannte Sulzberger investierte in die Qualität der Zeitung, baute die Redaktionen aus und berief gute Chefredakteure, denen er gleichzeitig weitgehend freie Hand ließ und den Rücken deckte.

Einflussreich und preisgekrönt war die "New York Times" bereits, als Sulzberger sie übernahm. Aber finanziell kriselte es.

Der Verleger ließ das Blatt in den ganzen Vereinigten Staaten verkaufen und machte es zum Herzstück eines Medienkonzerns und zur führenden Zeitung der USA. Er verordnete der angestaubt wirkenden Zeitung ein radikal neues Design und ergänzte sie um weitere Teile, beispielsweise "Wohnen", "Wissenschaft" oder "Wochenende". So gewann er hunderttausende neue Leser und Werbekunden. Die Entscheidungen gelten heute als visionär. Sie setzten Maßstäbe und wurden weltweit kopiert.

Anfang der 70er Jahre veröffentlichte Sulzberger die Pentagon-Papiere, eigentlich streng geheime Unterlagen des US-Verteidigungsministeriums zum Vietnamkrieg. Er verteidigte seine Entscheidung gegen die US-Regierung bis zum obersten Gericht der USA und bekam Recht. "Es war ein entscheidender Moment für ihn und in den Augen vieler Journalisten und Historiker, sein größter", urteilte die "New York Times" in einem Nachruf. "Ich habe nie daran gezweifelt, dass die Amerikaner das Recht hatten, diese Dokumente zu lesen und dass wir sie veröffentlichten mussten", sagte Sulzberger später. Aber er gab mit dem ihm eigenen trockenen Humor auch gerne zu, dass es eine teils dröge Lektüre gewesen sei. "Bis dahin wusste ich nicht, dass man gleichzeitig lesen und schlafen kann."

In den 90er Jahren übergab Sulzberger die Geschäfte an seinen Sohn. Der hat im digitalen Zeitalter nun mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen. In den USA wird er - in Anlehnung an den "Punch"-Spitznamen seines Vaters - gerne als "Pinch" (Zangengriff) verspottet, weil er so viele Jobs gestrichen hat.

Trotzdem hatte Vater Sulzberger nie Zweifel daran, dass sein Sohn die Zeitung auch in der vierten Familiengeneration gut führen werde. "Mein Fazit ist simpel: Vetternwirtschaft funktioniert."

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort