Interview mit Christoph Schmidt "NRW-Wirtschaft wächst 2010"

(RP). Der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt über die wirtschaftliche Entwicklung, die Rückkehr der Inflation, steigende Arbeitslosigkeit sowie die Steuerpolitik der Bundesregierung.

 Der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt hält eine Pleite Griechenlands für deutsche Banken für verkraftbar.

Der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt hält eine Pleite Griechenlands für deutsche Banken für verkraftbar.

Foto: ddp

Die Wirtschaft hat eine historische Krise hinter sich. Wie geht es weiter?

Schmidt 2010 wird ein schweres Jahr: Die Probleme vieler Banken sind ungelöst, auf dem Arbeitsmarkt kommt die Krise gerade erst an. Wir erwarten für 2010 zwar ein Wachstum von 1,6 Prozent. Es wird aber wohl noch über vier Jahre dauern, bis die Wirtschaft wieder so viel produziert wie vor der Krise.

Was erwarten Sie für NRW?

Schmidt Nordrhein-Westfalen macht ein Fünftel der deutschen Wirtschaft aus und entwickelt sich meist ähnlich wie der Bund. Der Einbruch der NRW-Wirtschaft im ersten Halbjahr 2009 war mit 6,6 Prozent aber besonders scharf, weil hier viele Autozulieferer sind. Für 2010 erwarten wir, dass die Wirtschaftsleistung NRWs etwa in gleichem Maße wächst wie in Deutschland insgesamt.

Wie hoch wird die Arbeitslosigkeit in Deutschland steigen?

Schmidt Wir erwarten im Verlauf des Jahres rund 600 000 Arbeitslose mehr, im Jahresdurchschnitt also 3,6 Millionen. Wie es 2011 weiter geht, lässt sich noch nicht sagen. Doch fünf Millionen Arbeitslose werden wir nicht erreichen.

Wer ist der größte Verlierer am Arbeitsmarkt?

Schmidt Die jungen Arbeitnehmer trifft die Krise zuerst, weil die älteren durch Kündigungsregeln besser geschützt sind. Auch deshalb warne ich vor neuen Vorruhestands-Regeln. Diese sind überflüssig, teuer und setzen falsche Anreize.

Die Löhne sind gesunken, das müsste zu fallenden Renten führen. Doch das verhindert die Rentengarantie. Gut?

Schmidt Nein, die Rentengarantie ist ein ökonomischer Sündenfall. Sie führt dazu, dass Arbeitnehmer und Betriebe einseitig die Lasten der Krise tragen und Rentner verschont bleiben.

Haben wir eine Kreditklemme?

Schmidt Bislang zeigt sie sich nicht deutlich. Das Kreditvolumen ist zwar gesunken, doch die Nachfrage nach Krediten auch. Die Gefahr besteht jedoch, dass es 2010 zu einer Kreditklemme kommt. Die Banken haben weltweit noch einen Abschreibungsbedarf von geschätzten 1,5 Billionen Dollar, vor allem in europäischen Banken schlummern viele giftige Papiere. Wenn Banken diese abschreiben und Firmen ihre Kredite nicht bedienen, können Banken kaum noch Geld verleihen.

Was kann der Staat tun?

Schmidt Er muss die Banken zur Bildung von mehr Eigenkapital zwingen, damit sie mehr Kredite vergeben können. Wenn die Eigentümer kein neues Eigenkapital beschaffen, muss der Staat vorübergehend bei den Banken einsteigen.

Warum darf der Staat Opel nicht retten?

Schmidt Die tiefe Krise verlangt auch staatliche Hilfe für die Realwirtschaft. Darum hat sich ja sogar der Sachverständigenrat für den Deutschlandfonds ausgesprochen, der Firmen hilft, die wegen der Krise in Existenzschwierigkeiten sind. Doch nicht einmal diese Bedingung erfüllt Opel, der Autohersteller war bereits vor 2008 in der Krise.

Viele fürchten, dass es in Spätfolge der Krise zu Inflation kommt.

Schmidt Das muss nicht sein. Wenn der Staat ab 2011 Ernst macht mit der Konsolidierung und die Gewerkschaften moderaten Lohnabschlüssen zustimmen, steigen die Inflationserwartungen nicht. Und diese beeinflussen maßgeblich die Inflation.

Glauben Sie an die Konsolidierung?

Schmidt Die große Koalition hat mit der Schuldenbremse etwas Gutes geschaffen, doch die schwarz-gelbe Koalition erhöht die Schulden durch eine überflüssige Steuersenkung weiter. Ein schlechtes Signal.

Der Sachverständigenrat hat doch früher selbst Steuersenkungen gefordert.

Schmidt Alles zu seiner Zeit, früher war auch die Steuerlast höher. Heute sind Staatsschulden unser Problem, sie machen 80 Prozent des Sozialprodukts aus. Um den Schuldenstand bis zum Jahr 2020 auf 60 Prozent zu drücken, die der Maastricht-Vertrag verlangt, bräuchten wir selbst bei einer geringen Neuverschuldungsquote von 0,5 Prozent jedes Jahr ein Wachstum von 3,3 Prozent. Wir können uns keine weiteren Schulden leisten.

Ihre Kollegin im Sachverständigenrat, Weder di Mauro, wird Aufsichtsrätin bei ThyssenKrupp. Ist das gut?

Schmidt Ich freue mich für sie und für ThyssenKrupp, Theorie und Praxis können gegenseitig voneinander lernen.

(RP)
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