Reaktionen Opelaner-Frust: "Uns erwartet Hartz IV"

Rüsselsheim (rpo). "Kein Kommentar" - das ist an diesem Donnerstagmorgen am häufigsten vor dem Tor 55 am Rüsselsheimer Opel-Stammwerk zu hören. Die Opel-Mitarbeiter sind mit dem Kompromiss nicht glücklich. Frust macht macht sich breit.

In Scharen strömen die Arbeiter von allen Teilen des Werksgeländes um 8.30 Uhr herbei, um sich von Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz und Opel-Personalvorstand Norbert Küpper über die Entlassungspläne für Opel informieren zu lassen. Gegenüber den vor der Halle wartenden Journalisten äußern will sich von den Beschäftigten jedoch kaum jemand - weder vor noch nach Ende der Versammlung. Es herrscht, passend zu den Temperaturen, eisiges Schweigen.

Der Frust über die monatelange Hängepartie sitzt tief bei den Beschäftigten und ihren Familien. "Die meisten reißen nur noch ihren Job ab, die Motivation ist dahin", sagt ein Arbeiter, der seit Jahrzehnten jeden Morgen ins Werk kommt und früher nach eigenem Bekunden einmal "stolz" auf seinen Job war.

Zu den vom Konzern angebotenen Abfindungen und Altersteilzeitregelungen, die tausenden der Beschäftigten die Aufgabe ihres Arbeitsplatzes schmackhaft machen soll, gibt es in der Belegschaft unterschiedliche Meinungen. "Dass muss man zu Hause mit der Familie erst mal durchrechnen", sagt einer der Arbeiter.

Eine Abfindung von etwa 200.000 Euro für 30 Jahre Dienstzeit höre sich zunächst einmal viel an. "Davon muss ich aber noch 15 Jahre leben können", fügt der 52-Jährige hinzu. Ein Kollege von ihm glaubt, dass für manch einen der türkischen Arbeiter bei Opel, der schon seit längerem wieder in die Heimat zurück wolle, eine Abfindung von 200.000 Euro durchaus ein attraktives Angebot sei.

Einig sind sich die Beschäftigten in ihrer Skepsis mit Blick auf die geplante Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. "Das bedeutet doch nur Arbeitslosigkeit auf Raten", ist zu hören. Nach einem Jahr Transfergesellschaft stünden die Betroffenen letztlich doch auf der Straße. Dann falle man Hartz IV "zum Opfer". Zweifel herrschen in der Belegschaft auch, ob betriebsbedingte Kündigungen wirklich vom Tisch sind. Wenn sich nicht genügend Beschäftigte für Abfindungen oder Altersteilzeitregelungen entschieden, dann könne es dazu noch immer kommen.

Echte Erleichterung will bei den Beschäftigten über die erzielte Vereinbarung zwischen Arbeitnehmervertretung und Opel-Vorstand also nicht aufkommen. Noch sind zu viele Fragen offen. Was wird aus den übertariflichen Zulagen? Kommt in einem oder zwei Jahren noch ein Sanierungsnachschlag? "Ich erwarte, dass das jetzt aufgelegte Sanierungsprogramm belastbar ist und es nicht durch ein neues Krisenprogramm ersetzt werden muss", fordert Rüsselsheims Oberbürgermeister Stefan Gieltowski (SPD).

"Die Leute finden die Abfindungspläne beschissen"

Die meisten Beschäftigten, die beim Schichtwechsel das Haupttor am Werk 1 passieren, sind wortkarg und nachdenklich. "Wir wissen doch selbst nichts", ist eine häufige Antwort. Aber auch das Wort vom Streik macht wieder die Runde.

"Wir müssen uns fragen lassen, ob wir Mitte Oktober nicht besser weitergekämpft hätten", meint Paul Fröhlich, ein ehemaliger Vertrauensmann. "Ich bin der Meinung: Für unsere Arbeitsplätze und unsere Familien müssen wir wieder in den Ausstand treten." Fröhlich befürchtet, dass die Produktion in Bochum in fünf Jahren ganz eingestellt wird. "Wenn die kampfstärkste Belegschaft Europas jetzt in die Knie gezwungen wird, was wird dann erst anderswo passieren?"

Opel-Mitarbeiter Thomas Loders ergänzt: "Mit Verlaub gesagt: Die Leute finden die Abfindungspläne beschissen". "Früher oder später erwartet uns Hartz IV. Von den Verhandlungen hatte ich mir wirklich mehr versprochen."

"Wenn man nicht so ernüchtert wäre, könnte man heulen." Mit diesen Worten beschreibt die ehemalige Opelanerin Monika Polzin ihre Stimmung. Die Ruheständlerin war spontan zum Werkstor gekommen, das vor ein paar Wochen von aufgebrachten Streikenden blockiert worden war. Jetzt macht Polzin ihrer Angst Luft: "Mein Sohn, mein Bruder und ein Patenkind arbeiten bei Opel. Hier steht die Zukunft meiner Familie auf dem Spiel."

Gesamtbetriebsratschef Franz sagt, das nächste Ziel der Arbeitnehmervertretung sei, die Zukunft der deutschen Opel-Standorte über 2010 hinaus vertraglich zu sichern. Kurzfristig, so muss man in dem Satz von Franz zwischen den Zeilen wohl lesen, ist die Kuh vom Eis. Doch ob sie da auch bleibt, weiß an diesem Donnerstag in der Belegschaft niemand.

(afp)
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