Bahn kämpft gegen Überalterung und Krankenstand Personalmangel bedroht den Zugverkehr

Mainz/Berlin · Seit Tagen herrscht Chaos am Mainzer Hauptbahnhof, weil der Deutschen Bahn das Personal fehlt. Zu viele Krankheitsfälle in der ­Urlaubszeit, heißt es. Nach Ansicht der Eisenbahngewerkschaft ist dies aber vorhersehbar gewesen. Und dort warnt man auch davor, dass es in anderen Regionen Deutschlands ebenfalls Probleme geben könnte. Ein Grund: die Überalterung des Personals.

Verspätungen und Störungen - was die Deutsche Bahn aufhält
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Foto: H. Jazyk

In Wiesbaden mussten vor wenigen Tagen Fahrgäste zwei Stunden in einem ICE ausharren, weil der Lokführer Feierabend hatte und sein Nachfolger wegen Unwetters irgendwo im Bahnverkehr feststeckte. Und in Mainz kommt es seit Tagen zu Verspätungen und Zugausfällen, weil Personal bei den Fahrdienstleitern fehlt. Das Chaos droht sich in der nächsten Woche noch zu verschärfen, weil die Einschränkungen dann auch tagsüber gelten.

Die Deutsche Bahn selbst kann derzeit keine Aussage darüber machen, wie lange das Chaos andauern wird. Bis Ende August jedenfalls müssen Fahrgäste definitiv mit Einschränkungen rechnen. "Wir werden uns auch in den nächsten Wochen und Monaten auf dünnem Eis befinden", gibt Frank ­Sennhenn, Chef der Bahntochter DB Netz zu. Und er fügt noch hinzu: "Ja, es ist mir peinlich." Kein Wunder, denn die Bahn hat immer wieder mit ­Image-Problemen zu kämpfen: im Sommer wegen ausfallender Klimaanlagen, im Winter wegen vereister Strecken. Und nun auch noch das Personalproblem.

"Überall Stellwerke, die unterbesetzt sind"

In Mainz kann das Stellwerk wegen Personalmangels nicht mehr voll besetz werden, die Bahn spricht von einem "unvorhersehbaren hohen Krankenstand während der Urlaubszeit", eine Ausnahme also. Das sehen Gewerkschaftler allerdings ganz anders. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG nannte die Begründung der Bahn eine Ausrede. Tatsächlich sei die Personaldecke so knapp, dass Reisende sich wohl auf weitere Einschränkungen gefasst machen müssten.

Auch die Bundesnetzagentur verwies darauf, dass Klagen über Personalmangel in den Stellwerken und Zugausfälle schon seit Längerem bekannt seien. Man habe eine Untersuchung eingeleitet, weil sich ­Bahn-Konkurrenten über Einschränkungen auf den Strecken beschwert hätten. Mehr wollte man dazu vonseiten der Netzagentur allerdings nicht sagen.

EVG-Chef Alexander Kirchner wird da in der Zeitung "Die Welt" deutlicher. "Die Vorgänge in Mainz sind nicht die ersten ihrer Art und schon gar kein Einzelfall", sagt er. "Wir leiden schlicht unter Personalknappheit im Konzern — nicht überall, nicht in allen Sparten, aber es gibt Bereiche, da sind wir chronisch unterbesetzt. Die Fahrdienstleiter gehören dazu." Auch bei Lokführern, Zugbegleitern oder Baubereichsleitern sehe es nicht besser aus, so der EVG-Chef. Seiner Ansicht nach fehlen bundesweit gut 1000 Mitarbeiter im Bereich der Fahrdienstleiter. So viele zusätzliche Mitarbeiter seien allein nötig, um rund eine Million angefallene Überstunden der jetzigen Mitarbeiter abzubauen.

"Die Personaldecke ist mittlerweile so knapp, dass es künftig auch auf anderen Strecken immer wieder zu Zugausfällen aufgrund von Mitarbeitermangel kommen kann. Es gibt überall im Land Stellwerke, die unterbesetzt sind", fügt Kirchner noch hinzu.

Problem der Überalterung

Tatsächlich ist bei der Bahn-Tochter DB Netz das Personal in den vergangenen Jahren besonders stark ausgedünnt worden, auf Neueinstellungen wurde verzichtet. Und nun macht sich die Überalterung noch deutlicher bemerkbar. In den nächsten zehn bis 15 Jahren scheiden hier laut Bahn-Unterlagen rund 18.000 Mitarbeiter altersbedingt aus. Das Unternehmen versucht daher, neue Fahrdienstleiter auch in Schnellkursen auszubilden. Dazu gehören etwa auch frühere Schlecker-Mitarbeiterinnen oder ehemalige Angehörige der Bundeswehr.

Während Kirchner der Bahn vorwirft, aus Kostengründen vor der absehbaren Entwicklung die Augen verschlossen zu haben, wehrt sich der Konzern gegen die Anschuldigungen. Der Bahnvorstand halte, so die "Welt" das Vorgehen der EVG für Getöse, um sich gegenüber der rivalisierenden Lokführergewerkschaft GDL behaupten zu können. "Wir haben da ein Problem, aber wir arbeiten längst daran, das weiß auch die EVG", sagte ein Bahnmanager der Zeitung.

DB-Netz-Chef Sennhenn gab aber auch zu: "Es gibt punktuell eine angespannte Situation auch in anderen Bahnhöfen." Dort würden die gleichen Maßnahmen wie in Mainz eingesetzt. Und was den allgemeinen Personalmangel angehe, erklärt der Konzern, dass allein im vergangenen Jahr bei der DB Netz 1000 neue Mitarbeiter und 800 Nachwuchskräfte eingestellt worden seien. Und in diesem Jahr würden die Zahlen noch übertroffen.

Den Fahrgästen in Mainz und Umgebung nützt das derzeit nichts. Ihnen hilft in diesen Tagen — mal wieder — nur eines: Geduld: Der Fahrgastverband Pro Bahn jedenfalls fordert schon jetzt Entschädigungen für Pendler. "Das kann man als Fahrgast nicht einfach hinnehmen", kommentierte Sprecher Gerd Aschoff die Situation.

mit Agenturmaterial

(das)
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