Pofalla und der Eisenbahnkonzern Das sind die Baustellen der Deutschen Bahn

Berlin · Roland Pofalla will Strategievorstand bei der Bahn werden. Noch ist zwar alles offen. Aber was für ein Job ist das eigentlich? Welche Probleme muss der Ex-Chef des Kanzleramts auf diesem Posten lösen, wenn er ihn denn bekommt? Und wo hören seine Kompetenzen auf?

Bei der Personalie Roland Pofalla (CDU) verdrängt die politische Aufregung gerade das Fachliche: Wenn der Ex-Kanzleramtsminister tatsächlich als neuer Vorstand für "Strategie und politische Kontakte" zur Deutschen Bahn wechselt — welche Probleme landen dann auf seinem Schreibtisch?

Schein-AG Vor 20 Jahren und zwei Tagen hob die Politik mit der Deutschen Bahn AG den Nachfolger der Bundes- und der DDR-Bahn aus der Taufe. Mit der Bahnreform trieb sie das Unternehmen in einen Konflikt: Auf der einen Seite sollte die Bahn wirtschaftlicher werden. 1993 erhielten Bundes- und Reichsbahn zusammen umgerechnet noch einen fast 20 Milliarden Euro schweren Zuschuss. Seit 2010 zahlt die Bahn dem Bund hingegen pro Jahr 550 Millionen Euro Dividende.

Pannen bei der Deutschen Bahn
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Foto: dpa, Boris Roessler

Auf der anderen Seite sollte die Bahn aber auch besser werden. Also mehr Passagiere und Güter günstiger und pünktlicher zu mehr Zielen befördern. Denn auch nach der Bahnreform war die neue "AG" immer noch ein bisschen "Bundesbahn". Per Gesetz vor allem dem Volkswohl verpflichtet, dazu verdammt, auch die unrentabelste Strecke in der tiefsten Provinz bedienen zu müssen. Daseinsvorsorge bedeutet hohe Kosten. Gewinnvorgaben bedeuten Sparzwänge. Auf diesen strategischen Spagat müsste Strategie-Vorstand Pofalla neue Antworten finden.

Politischer Einfluss Auch im Tagesgeschäft wird die Bahn von der Politik gegängelt. Kommunalpolitiker wollen ihr Schallschutzmaßnahmen diktieren, Landespolitiker neue Prestigeverbindungen wie den Rhein-Ruhr-Express, Bundespolitiker mehr Investitionen in Waggon-Klimaanlagen oder das Personal — je nachdem, welche Bahn-Unzulänglichkeit gerade die höchsten Wellen schlägt.

Dieses Schicksal teilt die Bahn mit anderen Staatskonzernen. Anders als bei "richtigen" Aktiengesellschaften, wo die Eigentümer der Wunsch nach Profit vereint, sind die Ansprüche von Politikern an "ihre" Aktiengesellschaften fast immer widersprüchlich. Das kann man der Politik nicht vorwerfen: Streit ist ihr Wesen. Aber eben nicht das Unternehmertum. Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn: "Solange jeder Bürgermeister in diesem Land die Bahn als sein Eigentum betrachtet, braucht der Konzern einen starken hauptamtlichen Lobbyisten. Pofalla ist die perfekte Wahl."

Markt Zwar ist der Personenverkehr auf der Schiene seit der Bahnreform um 36 Prozent und der Güterverkehr sogar um 56 Prozent gestiegen. Aber die Bahn selbst profitiert davon kaum. Um sie in den Wettbewerb zu zwingen, schreibt die Politik ihr vor, das Schienennetz auch 380 Konkurrenzbahnen zur Verfügung stellen zu müssen. Deren Marktanteil am Schienenverkehr ist seit 1999 von zwei auf 22 Prozent gestiegen. Der Marktanteil der Bahn selbst am gesamten Personenverkehr wuchs in dieser Zeit nur von 6,7 auf 8,2 Prozent und im Güterverkehr von 16,7 auf 17,2 Prozent.

Zudem wuchs die Konkurrenz auch jenseits der Schiene. Bei den Billigfliegern kostet selbst mancher Flug inzwischen weniger als eine Zugfahrt. Und seit der Liberalisierung des Fernbusmarktes in Deutschland kämpfen mehr als drei Dutzend Busunternehmen mit 5100 Fahrten pro Woche um Langstrecken-Kunden. Strasse, Schiene, Luft: Die Verkehrsträger stehen nicht nur im Wettbewerb um Passagiere, sondern auch um politisches Wohlwollen.

Luftverkehrssteuer, Pkw-Maut, der langfristig angestrebte Börsengang der Bahn — all diese politischen Rahmenbedingungen wirken sich direkt auf das Wohl und Wehe der einzelnen Unternehmen aus. Als Polit-Routinier beherrscht Pofalla das komplizierte Wechselspiel von Lobbyismus und Verkehrspolitik — sicher zum Vorteil der Bahn, vielleicht auch zum Vorteil der Kunden.

Technik Wie Bahnchef Grube kürzlich in Düsseldorf sagte, umfasst der Sanierungsstau der Bahn 30 Milliarden Euro. 1400 der 25.000 Bahnbrücken sind marode, der größte Teil des Schienennetzes ist über 100 Jahre alt, Lieferanten wie Siemens halten ihre Zusagen nicht und lassen die Bahn auf ausgemusterten Zügen sitzen. Entsprechend stieg die Zahl der Kundenbeschwerden 2013 von 0,9 auf 1,25 Millionen. Auch die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr hatte 50 Prozent mehr Fälle als im Vorjahr. "Mit der Pünktlichkeitsentwicklung im abgelaufenen Jahr sind wir nicht zufrieden", räumt selbst Personenverkehrsvorstand Ulrich Homburg ein.

Zu den schwierigsten strategischen Entscheidungen der Bahn gehört deshalb diese: Will sie ihren dünnen finanziellen Spielraum in die Sanierung der Infrastruktur auf dem Heimatmarkt investieren? Dann wären die Bahnkunden glücklich. Oder baut sie ihr Netz aus inzwischen mehr als 1000 Auslandsbeteiligungen aus, weil die Investitionen sich dort viel schneller bezahlt machen als in Deutschland? Das würde ihren Ertrag stärken und sie fit für den Börsengang machen — der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Emanzipation von der Politik.

Vom Staatskonzern über die Teilprivatisierung zum Börsengang: Genau diesen Weg ging vor 50 Jahren die Lufthansa. Der Konzern ist heute weitgehend profitabel, sein Angebot blieb trotzdem flächendeckend. Bis vor wenigen Monaten. Im vergangenen Sommer kündigte die Lufthansa ihren Rückzug aus Europa an — sie kann sich die hohen Verluste auf diesem schwierigen Markt nicht mehr leisten. In Europa ist die Lufthansa fast nur noch mit ihrer Billigtochter Germanwings vertreten — und auch deren künftiges Streckennetz diktiert ausschließlich der Profit.

Soll die Bahn diesem Beispiel folgen? Und was würde das für ihre jährlich zwei Milliarden Fahrgäste bedeuten? Diese Fragen sind selbst für einen Strategievorstand zu groß. Pofalla dürfte sie keinesfalls entscheiden, das obliegt dem Bund. Machmal ist der politische Einfluss auf die Bahn auch beruhigend.

(tor)
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