Riskante Zinswetten der Städte Roulette im Rathaus

Düsseldorf (RP). Immer mehr Städte räumen ein, mit Steuergeldern auf Zinskurven spekuliert zu haben. Der Bund der Steuerzahler fordert ein sofortiges Verbot solch hoch riskanter Spekulationsgeschäfte für Kommunen.

Landesweit liefen gestern die Telefone der Kämmerer und örtlichen Finanzpolitiker heiß: Wir hatten berichtet, dass offenbar jede dritte Kommune in Deutschland mit Steuergeldern auf Zinskurven gewettet und dabei zum Teil Millionen verspielt hat. Sowohl Bürger als auch die Oppositionspolitiker wollen jetzt wissen, ob auch "ihre” Stadtkasse mit Steuergeldern zockt.

Heute erhalten die 18 Mitglieder des Dormagener Finanzausschusses Post von ihrem Kämmerer. Sie werden lesen, dass auch die "aufstrebende Stadt zwischen Industrie und reizvoller Idylle” (Zitat aus dem Online-Auftritt) auf Zinsentwicklungen spekuliert hat. Und dass der Gesamtverlust am Ende diesen Jahres 20.068 Euro betragen wird.

Auch der Kämmerer der bergischen Stadt Hückeswagen musste einräumen, sich auf Zinswetten eingelassen zu haben. Ergebnis offen. "Ich bin guten Mutes, dass wir mit ein bisschen Glück noch etwas übrig halten werden,” so Bernd Müller gestern auf Anfrage.

Den braucht er vor allem für eine nicht öffentliche Ratssitzung am 4. September zu diesem Thema, wo er mehr Details als gegenüber unserer Zeitung wird preis geben müssen. Leverkusen, Hückelhoven, Hilden, Wülfrath, Wesel, Neuss, Solingen und Mönchengladbach sind weitere Städte aus dem Verbreitungsgebiet dieser Zeitung, die Zinswetten mit Steuergeldern zugegeben haben. Andere stritten sie ab, räumten aber ein, dass ­ wie in Würzburg ­ städtische Töchter die Geschäfte übernommen haben. Viele der Städte haben mit ihren Zinswetten auch ­ teilweise sogar sehr hohe ­ Gewinne gemacht, die dem Steuerzahler zugute kommen.

Extrem riskante Wetten

Wenn Kommunen gegen Banken auf Zinsentwicklungen wetten, ist das zwar extrem riskant. Aber verboten aber ist es nicht. Noch nicht. "Weil der Ausgang solcher Geschäfte überhaupt nicht kalkulierbar ist, fordern wir ein sofortiges Verbot für alle Städte und Kommunen”, bezog der Bund der Steuerzahler gestern gegenüber unserer Zeitung Position.

Sprecher Eberhard Kanski sagte, die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker und auch die meisten hauptamtlichen Kämmerer hätten "überhaupt nicht die Expertise, um die Tragweite solcher Geschäfte abzuschätzen.” Angesichts der gegenwärtigen Lage an den Zinsmärkten empfiehlt der Bund der Steuerzahler den Kommunen dringend, aus Zinsderivat- und Swap-Geschäften auszusteigen "wo immer das noch möglich ist.”

Mit Blick auf die zweistelligen Millionenbeträge, die Städte wie Neuss oder Hagen bei ihren Zinswetten verzockt haben, findet der ansonsten für zurückhaltende Formulierungen bekannte Wissenschaftler Winfried Fuest vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) aunahmsweise deutliche Worte: "Das ist an Tölpelhaftigkeit nicht mehr zu überbieten.” Der Experten für kommunale Finanzen zählt die Finanzprodukte, die die Kommunen in der Regel bei deutschen Großbanken eingekauft haben, zu den "schwierigsten Anlageformen, die es überhaupt gibt.” Ehrenamtliche Lokalpolitiker seien mit der Beurteilung solcher Finanz-Konstruktionen "hoffnungslos überfordert”.

Allerdings sei es im Kern richtig, wenn auch Kommunen ihre Zinslast mit einem aktiven Management optimieren. Da sei für den Steuerzahler viel herauszuholen. Deshalb schlägt Fuest den Kommunen vor, es dem Bund gleich zu tun und die Verwaltung der städtischen Schulden in private Hände zu übertragen: Im Jahr 2000 hatte der Bund sein Schuldenmanagement der Deutsche Finanzagentur übergeben, "die das ganz hervorragend macht”, wie Fuest meint. Eine solche private Institution könne nämlich auch die Gehälter zahlen, die "die wenigen Experten, die es weltweit für dieses Geschäft gibt, nunmal verlangen.”

Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler warnt davor, über den Zinswetten-Skandal hinweg das eigentliche Problem zu übersehen: "Viele Städte und Gemeinden entschulden sich nicht.” Erst der ungehemmt wachsende Schuldenberg verleite viele Kommunen zu solch riskanten Wetten. "Das erinnert dann ein bisschen an den Mut der Verzweifelung”, meint Kanksi.

Die Beispiele Neuss, Solingen und Dortmund zeigen in der Tat, dass besonders hohe Verluste bei Zinswetten und eine ohnehin schon hohe Pro-Kopf-Verschuldung gerne eine unheilvolle Allianz eingehen: Neuss hat bis zu 16 Millionen Euro verzockt und liegt bei der Pro-Kopf-Verschuldung unter den knapp 400 NRW-Kommunen auf Platz 386. Solingen hat mit seinen riskanten Wetten bislang drei Millionen Euro verloren und steht auf Platz 388. Dortmund hat fast sieben Millionen Euro verwettet und befindet sich damit auf Platz 306.

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