Reaktionen Pressestimmen zum Middelhoff-Urteil
Der frühere Arcandor-Chef Thomas Middelhoff ist am 14. November zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Das Landgericht Essen befand den früheren Konzernchef in 27 Fällen von Untreue und drei Fällen von Steuerhinterziehung für schuldig. So reagieren die Medien auf das Urteil.
Mitteldeutsche Zeitung: "Jetzt ist Middelhoff entzaubert. Man muss kein Mitleid mit ihm haben. Selbst wenn man konstatieren mag, dass er die Bodenhaftung verloren hat. Doch letztlich hat Big T. selbst den Beweis dafür angetreten, wie schnell ein Fehler alles außer Kontrolle geraten lässt. Middelhoff hat sein gesamtes Privatvermögen einem Vermögensverwalter namens Josef Esch anvertraut. Ohne diesen zuvor auf Herz und Nieren zu prüfen - und trug Schaden davon. Das ist kein Anlass zur Schadenfreude. Sondern zu der Erkenntnis, dass es auch unter hochbezahlten Managern keine Wunderkinder gibt."
Weser Kurier: "Die deutsche Volksseele kann nicht nur vor Wut kochen, sie kann sich auch ergötzen. Kollektive Freude, nämlich Schadenfreude, gilt meist dem tiefen Fall von Überfliegern, Bonzen, Großmäulern und Moralaposteln. Ob die Pleite, eine Haftstrafe oder beides - wenn einer von "denen da oben" vom Schicksal oder einem Gericht an den Hammelbeinen gepackt und geerdet wird, scheint für ausgleichende Gerechtigkeit gesorgt zu sein. Willkommen also, Thomas Middelhoff, in der Galerie, in der man neben seinem Sockel hockt, wie Uli Hoeneß, Bernie Madoff oder Karl-Theodor zu Guttenberg."
Rheinische Post: "Nein, erwartet hat dieses Urteil gegen Thomas Middelhoff niemand. Selbst jene, die nicht mit einem Freispruch rechneten, müssen zugeben, dass sie allenfalls eine Bewährungs- und/oder Geldstrafe auf dem Schirm hatten. Jetzt muss Middelhoff in Haft - wenn das Urteil rechtskräftig wird. Eine gerechte Entscheidung. Hohn und Spott für einen Mann, der tief gefallen ist, sind fehl am Platz. Stattdessen mag man darüber streiten, ob selbst bei zwei Fällen von schwerer Untreue nicht doch eine Bewährungsstrafe möglich gewesen wäre."
Hannoversche Allgemeine Zeitung: "Wenn sich Top-Manager über den schlechten Ruf ihrer Kaste und unfaire öffentliche Angriffe beklagen, sollten sie nicht nur dem "schwarzen Schaf" Middelhoff die Schuld geben. Auch in anderen Konzernen ist die Führung zuerst abgeschottet und dann irgendwann abgehoben. Das kann eben nicht nur zu persönlich motivierter Geldverschwendung - juristisch: Untreue - führen, sondern zu einem auch wirtschaftlich schlecht geführten Unternehmen. Nach diversen Skandalen und Rechtsänderungen sind die Aufsichtsräte heute viel wacher als früher, sogenannte Compliance-Abteilungen für saubere Unternehmensführung sind geradezu herangewuchert. Das alles ist offenbar nötig. Aber Chefs mit Bodenhaftung können sie nicht ersetzen."
Der Standard: "Das Gericht hat ein hartes, aber nachvollziehbares Urteil gefällt - über einen Manager, der immer meinte, davonkommen zu können, auch dann noch, als Arcandor längst pleite war und der Insolvenzverwalter die Reste verwerten musste. (...) Das Urteil führt Gier, Unmoral und Hybris vor, es zeigt, dass es sich auch die großen Reichen nicht immer richten können. Man kennt das ja schon von einem anderen vermeintlichen Überflieger, der ebenso hart gelandet ist. Sein Name ist Uli Hoeneß. Ihn und Middelhoff eint eines: die hoffentlich abschreckende Wirkung."
Südwest-Presse: "Das Urteil des Essener Landgerichts fällt hart aus: drei Jahre Haft und Festnahme im Gerichtssaal wegen Fluchtgefahr. Tiefer kann ein Mann nicht fallen, der den Prozess erklärtermaßen dazu nutzen wollte, seine verlorene Ehre wieder herzustellen. Besonders, wenn das Verfahren zu Tage fördert, wie er sich großspurig, dekadent und nicht zwischen Arbeit und Vergnügen unterscheidend verhalten hat. Middelhoff ist ein Beispiel dafür, wie Macht und Kritikunfähigkeit die Sicht auf die eigene Person verzerren können. Ein Vorbild für seine Mitarbeiter war er schon lange nicht mehr."
Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Seine Unfähigkeit zu unterscheiden zwischen dem eigenen Vorteil und dem Nutzen für die Firma brach ihm vor Gericht das Genick. Er hatte sich auf Kosten anderer bereichert, vielleicht sogar, ohne sich dessen bewusst zu sein. Für so ein Verhalten sind unreflektierte Menschen anfälliger als andere. Aber erst die grenzenlose Bewunderung, die heute niemand mehr geteilt haben mag, macht aus solchen Leuten gefährliche Verführer. Nun hat Middelhoff alles verloren: Ruhm, Geld und Freunde. Vor solch einem Absturz ist nur geschützt, wer auch im Erfolg zwischen dem Amt und der Person zu unterscheiden weiß. Und wer dann auch noch im richtigen Moment loslassen kann, kann sogar ein wirklich Großer werden."
Nürnberger Nachrichten: "800.000 Euro Schaden soll Middelhoff Aktionären zugefügt haben. Ex-Bayern-Präsident Uli Hoeneß dagegen hat die Allgemeinheit willentlich durch Steuertricksereien um knapp 30 Millionen Euro gebracht - und bekam nur eine unwesentlich längere Haftstrafe. Ist das wirklich verhältnismäßig?"
Die Welt: "Für eine egalitätssüchtige Nation wie die deutsche erscheinen solche Urteile besonders staatstragend. Doch der Triumph jener, die immer schon vermuten, dass 'die da oben' völlig abgehoben sind, währt nur kurz. Denn das nahe an den Forderungen des Staatsanwalts verhängte Strafmaß von drei Jahren Gefängnis ist - nach der Verurteilung von Uli Hoeneß und der Vorführung eines Steuersünders wie des früheren Postchefs Zumwinkel - ein weiterer Beleg dafür, dass die Justiz keine Boni für Prominente und Reiche bereithält. Und das ist gut so. Thomas Middelhoffs Absturz erzeugt den Hinguckersog eines monströsen Autounfalls. Nun empfinden selbst von ihm Geschädigte Mitleid - die vielleicht schlimmste Strafe für jemanden, der am liebsten von oben herab auf Mitmenschen geblickt hat."
Der Tagesspiegel: "Weil diese Männer es irgendwann übertrieben haben, sind in Chefetagen heute Anti-Middelhoff-Typen gefragt: Vorstandschefs, die artig ihre Compliance-Richtlinien aufsagen können und dicke Nachhaltigkeitsberichte präsentieren. Spitzenpolitiker, die man privat mit einem Unternehmer antrifft, geraten wegen Männern wie Maschmeyer unter Erklärungsdruck. Es wird dauern, bis Wirtschaftsentscheider sich wieder trauen, öffentlich ganz große Ideen zu vertreten - ihren Wahn zur Größe offen auszuleben."
Schwäbische Zeitung: "Thomas Middelhoff hat sich seine Misere selbst eingebrockt. Während Arcandor in die Pleite schlidderte, hielt es der sonnengebräunte und gut bezahlte Manager für angemessen, mit dem Helikopter auf Kosten des Hauses ins Büro zu fliegen . Doch es ist nicht Middelhoff allein, der hier am Pranger steht. Er steht dort stellvertretend für eine gierige Managerriege und bekommt die Schadenfreude des Mobs zu spüren. Das ist gegenüber dem Menschen Middelhoff unfair. Denn sein Verhalten war zwar falsch, aber menschlich: Wer einmal über Macht verfügt - und sei es nur in kleinem Rahmen - fängt an, andere Maßstäbe für sich selbst anzulegen. Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Fall ist dennoch ein wichtiges Warnsignal an Menschen in Machtpositionen: Wer Privilegien gegenüber anderen empfängt, ist in höchstem Maße zu verantwortungsvollem Verhalten verpflichtet."
Donaukurier: "Es drängt sich auch unter dem Eindruck der vorläufigen Untersuchungshaft für Middelhoff der Verdacht auf, dass der ehemalige Topmanager eigentlich für etwas ganz Anderes bestraft werden soll als für die ihm jetzt zur Last gelegten Verfehlungen. Damit wird das Essener Urteil äußerst fragwürdig und dürfte - sollte die Verteidigung Revision beim Bundesgerichtshof einlegen - wohl kaum Bestand haben."
Thüringische Landeszeitung: "Viele Menschen werden jetzt zufrieden sein, dass endlich mal wieder ein Exempel statuiert wurde an einem, den man zu den oberen Zehntausend rechnen kann. Dass der Reinigungsprozess erst in Gang kommt, während der Insolvenzverwalter hinter Middelhoff aufräumt, spricht gegen damalige Aufsichtsräte wie Hero Brahms oder Klaus Zumwinkel. Sie haben nicht genau hin- oder ganz weggesehen - das Gegenteil von dem, was ihre Aufgabe gewesen wäre."
Badische Neueste Nachrichten: "Zwar menschelt es nach wie vor überall, auch an der Spitze von Großkonzernen. Es ist aber beruhigend, dass sich der Zeitgeist verändert hat. Manager sind durch die öffentliche Diskussion und durch die Rechtsprechung sensibilisiert. Die Verquickung von Privatem und Dienstlichem vermeiden sie viel eher als früher. Etliche haben als angestellte Vorstände oder Geschäftsführer zudem kapiert, dass ihnen die anvertrauten Unternehmen nicht gehören."
Eisernacher Presse: "Doch man fragt sich auch, warum die Aufsichtsgremien der damaligen Arcandor AG nicht in der Lage waren, diesem Treiben selbst ein Ende zu setzen. Dass der Reinigungsprozess erst in Gang kommt, während der Insolvenzverwalter hinter Middelhoff aufräumt, spricht gegen damalige Aufsichtsräte wie Hero Brahms oder Klaus Zumwinkel. Sie haben nicht genau hin- oder ganz weggesehen - das Gegenteil von dem, was ihre Aufgabe gewesen wäre."
Stuttgarter Zeitung: "Die Auftritte von Thomas Middelhoff vor Gericht boten ein Bild, das so nur selten zu bestaunen ist. Da sprach ein Mann über sich selbst, der in völliger Selbstüberschätzung jeglichen Kontakt zur Realität verloren hat und eine Selbstbedienungsmentalität an den Tag legt, die einfach unverfroren ist. Dem Ansehen von Managern in dieser Republik, um das es ohnehin nicht gut bestellt ist, hat er damit immensen Schaden zugefügt."
Sächsische Zeitung: "Pleiten sind zuerst natürlich schlecht und teuer. Sie kosten meist Arbeitsplätze und den Steuerzahler Geld. Was denken wohl Ex-Karstadt-Frauen, die für ihre Jobs umsonst auf Lohn verzichtet haben, wenn Middelhoff erklärt, er sei durch den Prozess in der Ehre verletzt? Er habe sich nichts vorzuwerfen, ihn treffe keine Schuld, so der Überflieger von einst. Arroganz ist nicht strafbar. Büßen muss er dennoch. Womöglich werden drei Jahre Knast nicht reichen, um zur Einsicht zu kommen. Zu verbreitet die Selbstbedienungsmentalität gerade unter Nieten in Nadelstreifen. Gut, dass sich die Richter nicht beeindrucken ließen."
Nordwest-Zeitung: "Der Absturz des einstigen Überfliegers könnte brutaler kaum sein. Die dreijährige Haftstrafe für Thomas Middelhoff überraschte Prozessbeobachter und den Angeklagten gleichermaßen. Das Urteil fiel zweifellos hart aus. Ungerecht aber ist es nicht. Untreue und Steuerhinterziehung sind schwer wiegende Straftatbestände. Erneut muss ein deutscher Top-Manager hinter Gittern für seinen allzu nonchalanten Umgang mit Geld büßen. Die Liste verurteilter Führungspersönlichkeiten wächst."
Neue Westfälische: "Eine Geschichte wie die vom Aufstieg und Fall des Thomas Middelhoff kann man kaum erfinden. So skurril, so emotional, so unglaublich ist sie, dass Filmemacher Nico Hofmann ("Unsere Mütter, unsere Väter", "Die Flucht") angeblich schon über die Besetzungsliste nachdenkt. Thomas Middelhoff war "Big T", der Mann, der Bertelsmann in einem Jahr so viel Gewinn bescherte, wie der Konzern in allen Jahren nach dem Krieg insgesamt nicht gemacht hatte. Der Bertelsmann fit fürs nächste Jahrtausend gemacht hat. Und dann von Nachkriegsgründer Reinhard Mohn aus der Firma gekegelt wurde. Middelhoff war der Mann, der als der Retter von Karstadt gefeiert wurde, als er sich aus dem Aufsichtsrat in den Vorstand locken ließ. Wie sich später herausstellte, wurde er zu früh gefeiert."