Rheinische Pioniere Der Hüter der Ewigkeitslasten

Essen · Werner Müller hat 2006 das kühne Drehbuch für den Ausstieg aus dem subventionierten Steinkohle-Bergbau geschrieben.

 Eigentlich wollte Werner Müller Pianist werden. Stattdessen leitet er nun die RAG.

Eigentlich wollte Werner Müller Pianist werden. Stattdessen leitet er nun die RAG.

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Der typische Manager denkt in Quartalen, bei Werner Müller darf es gerne etwas mehr sein. Als Chef der mächtigen RAG-Stiftung muss der 68-Jährige für die Ewigkeit planen. Die Stiftung kommt nach 2018, wenn die letzte deutsche Zeche geschlossen wird, für die Ewigkeitslasten des Bergbaus auf. Sie muss dafür sorgen, dass die Gruben in Ruhrgebiet und Saarland nicht voll Wasser laufen. "Wenn wir nichts tun, liegt künftig der Hauptbahnhof Essen unter Wasser", sagt Müller. Das will keiner, Müller schon gar nicht. Essen ist seine Heimatstadt und er selbst der Architekt der RAG-Stiftung.

Eigentlich hatte Müller ganz andere Pläne: Konzertpianist wollte er werden. Schon während seiner Schulzeit hatte der begeisterte Klavierspieler ein Konservatorium besucht. Doch er sei nicht bühnenfest, immer hätten ihm die Hände gezittert, berichtete Müller später. Da hat er dann eben nicht Musik, sondern Philosophie, Linguistik und Volkswirtschaftslehre studiert - und es auf der Bühne der deutschen Wirtschaft weit gebracht.

Den Auftritt seines Lebens landete Werner Müller im Jahr 2006. Damals schrieb er das kühne Drehbuch für den Ausstieg Deutschlands aus der subventionierten Steinkohle-Förderung. Die Lage war verfahren: Seit den 60er Jahren waren die Abbaukosten in Deutschland höher als der Weltmarktpreis. Bund und Land mussten Milliarde um Milliarde zahlen, um den Preis für schwarzes Gold aus deutschen Gruben herunterzusubventionieren. Zwar war die Zahl der Kumpel bereits gesunken, von 500 000 Menschen in den 50er Jahren auf 50 000 im Jahr 2000. Aber auch die konnte man nicht einfach auf die Straße schicken. Zumal die Bergleute hart um ihre Stellen und ihre traditionsreiche Branche kämpften, wie die Regierung Kohl 1997 erleben musste, als 15 000 Kumpel nach Bonn marschierten, Zechen besetzten und Autobahnen blockierten. "Unser Grubengold hat euch wieder hochgeholt" - diese Zeile aus dem Song "Bochum" von Herbert Grönemeyer drückt den ganzen Stolz der Bergleute aus, die sich als Motor des Wirtschaftswunders sahen. Denen konnte man nicht einfach sagen: Schicht im Schacht.

Während die Parteien in Bund und Land sowie die an den Zechen beteiligten Unternehmen wie Veba, VEW und Stahlkonzerne im Grundsatz-Streits verkeilt waren, dachte Müller ganz neu. Er ersann das Drehbuch für jenes Ruhrgebiets-Monopoly, nach dem dann später der Ausstieg auch wirklich ablief. Danach wurde der damalige Ruhrkonzern RAG in einen schwarzen Teil (bestehend aus den subventionsbedürftigen Zechen) und einen weißen Teil (bestehend aus den gewinnabwerfenden Teilen wie dem Chemiekonzern Degussa, dem Versorger Steag und der Immobiliensparte) aufgespalten. Dieser weiße Teil sollte unter dem Namen Evonik ein "strotznormales Unternehmen" (Müller) werden, seine Versilberung soll ab 2018 die Ewigkeitslasten des schwarzen Teils finanzieren. Zugleich sollte die lange, aber feste Laufzeit dafür sorgen, dass kein Kumpel ins Bergfreie fällt.

In vielen Gesprächen überzeugte Müller Politik, Gewerkschaften und RAG-Eigentümer von seinem Plan. Er war die Basis für das "Gesetz zur Finanzierung der Beendigung des subventionierten Steinkohlenbergbaus zum Jahr 2018" (kurz: Steinkohle-Finanzierungsgesetz), das am 28. Dezember 2007 in Kraft trat. Damit konnte die Ära der umstrittenen Kohle-Subventionen zu einem versöhnlichen Ende gebracht werden.

Abgesehen von Sperrfeuer aus Brüssel - die EU-Kommission drohte Deutschland zeitweilig damit, Subventionen schon ab 2014 zu verbieten - verläuft der Ausstieg seither nach Plan. 2007 entstand aus dem weißen Teil der RAG die Evonik Industries AG, deren erster Chef Werner Müller wurde und die bis heute das wichtigste Vermögen der RAG-Stiftung ist. Aus der Evonik-Dividende und dem sukzessiven Verkauf der Evonik-Anteile baut die Stiftung nun ihren Kapitalstock auf.

Zugleich wird planmäßig Zeche um Zeche geschlossen. Von den einst 150 Zechen in Deutschland sind derzeit noch drei in Betrieb: "Auguste Victoria" in Marl, die Ende 2015 geschlossen wird, sowie die Bergwerke Ibbenbüren und "Prosper-Haniel" in Bottrop, bei denen Ende 2018 der letzte Förderkorb einfahren wird.

Und Müller hatte in seinem Drehbuch auch eine Rolle für sich selbst vorgesehen: die des verantwortungsvollen Stiftungs-Chefs, der mit dem anvertrauten Vermögen von 18 Milliarden Euro die Gruben frei hält und die einstigen Kohle-Reviere mit Kulturförderung und Traditionspflege bedenkt. "Die Stiftung soll ja nicht sinnlos reich werden", sagt Müller gerne.

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Doch dieses Rolle verwehrte ihm die Landesregierung unter dem früheren Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers (CDU), der Müller seine Parteinahme in einem Landtagswahlkampf nie verziehen hatte. Müller werde die RAG-Stiftung wie ein sizilianischer Pate führen und mit ihr Industriepolitik im Stil der alten WestLB machen, hieß ein gängiger Vorwurf in der CDU.

Doch Müller konnte warten. Als passionierter Bergwanderer (am liebsten im Engadin) wusste er, dass man verlässliche Seilschaften und Ausdauer braucht, um einen Gipfel zu erreichen. Beides hatte er, mit nahezu jedem Topmanager in Energiebranche und -politik verbindet Müller eine Geschichte. Zugleich pflegt er seine Beziehungen, gerne bei gutem Rotwein. 2012 war es so weit. Die Regierung Kraft hatte die Regierung Rüttgers abgelöst, da machte das Kuratorium, in dem Ministerpräsidenten, Bundesminister und Industrie-Vertreter sitzen, Müller zum Chef der RAG-Stiftung. Mit seinem Finanzvorstand Helmut Linssen (CDU), versucht er nun, trotz Minizinsen das Vermögen der Stiftung zu mehren.

Womöglich wiederholt sich diese Geschichte. Mit der Atomkraft kommt gerade wieder eine umstrittene Energieform an ihr Ende. Bis 2022, so hatte es die Regierung Merkel nach dem Unglück von Fukushima entschieden, soll der letzte Meiler vom Netz. Aus den Gewinnmaschinen von einst wurden Abschreibungsobjekte. Zu gerne würden Eon, RWE und EnBW ihre Atomkraftwerken in eine Stiftung einbringen. Der Mann, der als ihr Geburtshelfer gehandelt wird, heißt Werner Müller. Offiziell schweigen die Atomkonzerne. Doch die Umrisse des Plans sind rum. Danach soll die Stiftung den Ausstieg organisieren und für die Lagerung des radioaktiven Abfalls verantwortlich sein. Im Gegenzug wollen die Konzerne ihre Atom-Rückstellungen von 30 Milliarden Euro einbringen.

Wesentliche Teile des Plans stammen von RWE. Der Konzern hat Müller auch als Vermittler ins Gespräch gebracht. Bei RWE ist er kein Unbekannter: 1973 hatte Müller hier als Marktforscher angeheuert. Als er sich in einem Buch ("Entkoppelung") Gedanken zum Stromsparen machte, fiel er in Ungnade und wechselte zu Veba. Querdenker waren in der goldenen Zeit der Strom-Oligopole nicht gefragt.

An der Kanzlerin würde ein Atom-Stiftungs-Chef Müller wohl nicht scheitern. Sie schätzt ihn seit seiner Zeit als Aufsichtsrats-Chef der Bahn als geschickten Moderator. Das hatte auch schon Gerhard Schröder gefallen. Schröder hatte Müller, der Wert auf den Zusatz "parteilos" legt, 1998 als Bundeswirtschaftsminister in sein Kabinett geholt. Für Rot-Grün verhandelte Müller erfolgreich den ersten Atomausstieg.

Zeit seines Berufslebens war Müller ein Wanderer zwischen den Welten: zwischen Wirtschaft, Politik und zurück. Das macht ihn attraktiv für heikle Missionen in der Energiepolitik. (Und sorgte auch mal für Ärger. So als 2002 sein Staatssekretär per Ministererlaubnis die Übernahme der Ruhrgas durch Müllers früheren Arbeitgeber Eon durchwinkte, obwohl das Kartellamt dagegen war.)

Die entscheidende Frage ist aber, ob die Atom-Stiftung politisch überhaupt zu vermitteln ist. Schließlich soll hier der Steuerzahler jenen Konzernen die Lasten der Atomkraft abnehmen, denen er zuvor über Jahrzehnte als Stromkunde Milliarden-Gewinne finanziert hatte.

Eine komplizierte Aufgabe, mit deren Lösung Müller sich endgültig als "Herr der Ewigkeitslasten" ins Buch der Wirtschaftsgeschichte einschreiben könnte.

MORGEN STELLEN WIR DEN INTERNET-UNTERNEHMER OLIVER SAMWER VOR.

(RP)
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