Wirtschaftsweise Wolfgang Franz im Interview "Wir meistern die Euro-Krise"

Düsseldorf (RP). Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz warnt vor zu stark steigenden Löhnen, erwartet nur wenig Zuwanderung aus Osteuropa und attackiert die Kritiker der Rente mit 67: Es gäbe keine Alternative. Gutsituierte Rentner könnten auch etwas später auf Kreuzfahrt gehen. Das Interview im Wortlaut.

Wirtschaftsweise Wolfgang Franz im Interview: "Wir meistern die Euro-Krise"
Foto: ddp, ddp

Glauben Sie, dass der Euro die aktuelle Krise übersteht?

Franz Geglaubt wird in der Kirche. Außerdem: Es ist keine Krise des Euro, sondern die Ursachen liegen vor allem in einer unsoliden Finanzpolitik und den Hinterlassenschaften der Finanzkrise. Jetzt geht es um notwendige Politikmaßnahmen. Wenn es den überschuldeten Euro-Ländern gelingt, ihre Haushalte zu stabilisieren und die Euro-Zone sich auf einen gehärteten Stabilitätspakt sowie einen funktionstüchtigen Krisenmechanismus verständigt, werden wir die Probleme im Euro-Raum meistern.

Reicht der verabredete Krisenmechanismus?

Franz Dies ist nur ein erster Schritt. Wir brauchen schärfere Regeln, um private Gläubiger und damit auch Banken und Investmentgesellschaften an den Folgen einer drohenden staatlichen Zahlungsunfähigkeit zu beteiligen. Es kann nicht sein, dass Investoren hohe Zinsen erhalten, aber am Ende die Risiken auf den Steuerzahler abwälzen.

Das heißt, Banken müssten auf Rückzahlung ihrer Kredite verzichten?

Franz Nicht nur die und nicht zwingend. Manchem Land wäre schon geholfen, wenn seine Zinszahlungen ausgesetzt oder die Rückzahlung der Kredite gestreckt würden. Außerdem müßten die Gläubiger im Extremfall meistens nur einen Teil der Kredite abschreiben.

Die Kanzlerin hat ihre Forderung nach automatischen Sanktionen für Sünder aufgegeben. Ein Fehler?

Franz Für automatische Sanktionen gibt es dem Vernehmen nach definitiv keine Mehrheit der Länder. Daher kann ich verstehen, wenn die Bundeskanzlerin sich nicht einem aussichtslosen Unterfangen widmet. Allerdings bleibt es nun leider immer noch zu sehr Sache des EU-Rates, Sanktionen zu verhängen. Damit richten potenzielle Sünder über Sünder. Demzufolge wird es nach wie vor kaum Sanktionen geben, selbst wenn diese erforderlich wären. Der Sachverständigenrat regt daher an, wenigstens den Abstimmungsmodus über Sanktionen so zu ändern, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verhängung von Sanktionen erhöht wird. Die Kommission könnte Sanktionen vorschlagen, die die Länder nur mit qualifizierter Mehrheit ablehnen können. Das würde schon helfen.

Gerade viele Deutsche fürchten, dass die Euro-Krise zu neuer Inflation führt. Ist die Sorge berechtigt?

Franz Nein, im Moment jedenfalls nicht. Denn die Liquidität, welche die EZB den Geldmärkten zur Verfügung gestellt hat, verbleibt zum weitaus überwiegenden Teil im Bankensystem. Außerdem bin ich davon überzeugt, dass die EZB bei Inflationsgefahren geldpolitisch gegensteuern würde. Die Inflationserwartungen geben ebenfalls keinen Anlass zur Sorge. Ich erwarte, dass die Konsumentenpreise im nächsten Jahr lediglich um 1,4 Prozent steigen werden.

2010 war ein erfolgreiches Jahr für die Wirtschaft. Geht der Boom weiter?

Franz Die Bäume dürften nicht in den Himmel wachsen. Auch 2011 wird die Wirtschaft zulegen. Wir erwarten eine Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts von 2,2 Prozent. Allerdings wird sich die eigentliche Konjunkturdynamik nur auf etwa 0,7 Prozent belaufen, der Rest ist der statistische Überhang.

Vor einem Jahr haben viele vor einem zweiten Konjunktureinbruch gewarnt. Wird es den geben?

Franz Diese Gefahr sehe ich nicht. Dass die Prognosen zuletzt daneben gelegen haben, liegt an Folgendem. Jede Prognose beruht auf Erfahrungen aus der Vergangenheit. Für die historisch einmalige Krise von 2009 aber hatten wir keine Erfahrungen. Und dann lief es eben anders als erwartet. Die deutsche Wirtschaft stürzte in der Krise besonders stark ab, weil wir ein sehr exportorientiertes Land sind und die Weltwirtschaft schwächelte. Nun aber geht es dank eben dieser starken Exportabhängigkeit auch wieder besonders steil bergauf. Die Konjunkturkurve verlief also wie ein V und nicht wie ein W, wie vielfach befürchtet.

Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt?

Franz Die Arbeitslosigkeit wird weiter sinken. Ich rechne damit, dass wir 2011 im Jahresdurchschnitt rund 300 000 registrierte Arbeitslose weniger und etwa genausoviel Erwerbstätige mehr haben werden.

Können wir Vollbeschäftigung erreichen?

Franz Ich wage aber keine Prognose. Auf jeden Fall haben wir bis dahin noch ein gutes Stück Weg vor uns, insbesondere im Bereich geringqualifizierter Arbeit..

Die Beschäftigten erhoffen sich für 2011 ein kräftiges Lohnplus. Können das die Betriebe verkraften?

Franz Das ist von Branche zu Branche und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Es spricht nichts dagegen, dass Betriebe Lohnerhöhungen vorziehen oder Einmalzahlungen leisten. Gesamtwirtschaftlich ist es wichtig, dass die Lohnzuwächse etwas unterhalb des Produktivitätsfortschritts bleiben. Nur dann bleibt Raum für die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Verdi will für die Beschäftigten der Länder sieben Prozent mehr Lohn und Gehalt fordern. Angemessen?

Franz Der öffentliche Dienst darf nicht von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Nur dann kann er die Fachkräfte halten und gewinnen, die er ebenso braucht wie die Wirtschaft. Doch die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollten nicht vergessen, dass sie eine hohe Arbeitsplatz-Sicherheit haben. Gemessen daran erscheint die Forderung sehr hoch, aber Forderung ist nicht gleich Abschluss.

Die Wirtschaft brummt. Wann kommt die Zeit für Steuersenkungen?

Franz In dieser Legislaturperiode sehe ich keinen Spielraum für Steuersenkungen. Möglich sind aber aufkommensneutrale Reformen. Wenn wir den ermäßigten Umsatzsteuersatz-Satz streichen, kann der Regelsatz der Umsatzsteuer von 19 auf 16,5 Prozent sinken. Wenn wir den Kommunen einen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer gestatten, kann die Gewerbesteuer entfallen.

Gibt es keine Selbstfinanzierung von Steuersenkungen?

Franz Nur in sehr begrenztem Umfang. Studien zeigen, dass sich Steuersenkungen je nachdem, welche Steuer gesenkt wird, vielleicht zu 20 Prozent selbst finanziert, die restlichen Steuerausfälle schlagen auf den Staatshaushalt durch.

Für die meisten Bürger startet 2011 mit einer Erhöhung der Krankenkassenbeiträge. Wie finden Sie Röslers Reform?

Franz Sie ist bestenfalls ein Einstieg in eine weiterführende Reform. Wir müssen die steigenden Gesundheitskosten stärker von der sozialversicherungspflichtigen Entgelten und damit von der Beschäftigung abkoppeln. Das leisten Kopfpauschalen, bei denen der Sozialausgleich über Steuern finanziert wird.

In der Rentenversicherung kommt nun die Rente mit 67. Gut so?

Franz Die Rente mit 67 ist ohne plausible Alternative. Sonst müssten wir künftige Renten noch weiter senken oder die Beitragslast für Arbeitnehmer und Betriebe weiter erhöhen. Ich verstehe auch die Aufregung um die Rente mit 67 nicht. Dann starten wohlhabende Rentner eben einige wenige Monate später zur Kreuzfahrt.

Ab Mai 2011 gilt die volle Freizügigkeit in der EU. Dann dürfen auch Arbeitskräfte aus Polen, Litauen und anderen 2004 beigetretenen Staaten in Deutschland arbeiten. Wird das zum Problem?

Franz Ich erwarte keine allzu gravierenden Belastungen. Empirische Studien gehen davon aus, dass vielleicht rund 100.000 Arbeitskräfte aus den mittel- und osteuropäische Beitrittsländern jährlich zusätzlich auf unseren Arbeitsmarkt drängen. Das können wir verkraften, allemal wenn es sich um qualifizierte Fachkräfte handelt. Aber natürlich kann es auf lokalen Arbeitsmärkten oder bei speziellen Branchen zu Übergangsproblemen kommen.

Dennoch fordern Gewerkschaften nun verstärkt Mindestlöhne.

Franz Mindestlöhne helfen nicht. Sie vernichten je nach Höhe hunderttausende Arbeitsplätze für Geringqualifizierte, Jobs also, die es ohnehin zu wenig gibt. Auch können sich Betriebe damit letztlich nicht vor unliebsamer Konkurrenz schützen: Wenn etwa ein Pole seine Arbeit hier nicht zu einem günstigeren Lohn anbieten darf, dann arbeitet er in Polen und das Gut wird nach Deutschland exportiert und hier ebenfalls preiswert angeboten. Das gilt selbst für einige Dienstleistungen. Dem Wettbewerb können deutsche Betriebe nicht entkommen.

Antje Höning führte das Gespräch.

(RP)
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