Experten im Interview "Verbraucher brauchen mehr Klarheit"

Der Vorstand des TÜV Rheinland, Ralf Wilde, und der Chef der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, Klaus Müller, diskutieren über die Flut an Prüfsiegeln und darüber, wie man sichere Produkte beim Einkaufen erkennt.

Herr Wilde, immer mehr Prüfsiegel verwirren gerade beim Weihnachtseinkauf Kunden. Und laut Verbraucherzentrale NRW trägt auch die TÜV-Organisation mit immer neuen Siegeln dazu bei. Was sagen Sie dazu?

Wilde Verbraucher brauchen Klarheit. Das sehen auch wir so. Darum haben wir die mehr als 130 unterschiedlichen TÜV Rheinland-Prüfzeichen seit Januar vereinheitlicht. Jetzt gibt es ein Prüfzeichen, bei dem links das Logo des TÜV Rheinland steht, dann in der Mitte die getesteten Kriterien wie "Sicherheit" oder "Funktionalität" und rechts ein QR-Code, um per Handy weitere Infos aufzurufen.

Müller Das Durchforsten der Prüfsiegel begrüßen wir als Verbraucherzentrale. Aber auch das neue System verführt zu Missverständnissen: Der Kunde sieht groß "TÜV Rheinland Zertifiziert". Dann vermutet er, ein technisch komplett durchgetestetes Gerät zu kaufen. Doch manchmal wurden nur einzelne Kriterien geprüft. Am Ende muss der Kunde relativ aufwändig recherchieren, was wirklich untersucht wurde.

Was raten Sie den Kunden?

müller Bei Bewertungen des TÜV Rheinland und auch von anderen Firmen muss man sehr genau hinschauen, was gecheckt wurde.

Wilde ... wozu wir auch selbst dringend raten, und was Verbraucher im Übrigen auch tun.

Müller Ansonsten muss sich der Kunde breit orientieren: Tests der gemeinnützigen "Stiftung Warentest" sind eine sehr gute Informationsquelle. Man kann sich bei Bekannten, in Internetportalen oder bei den örtlichen Verbraucherzentralen über Produkte informieren. Man muss aufpassen, dass vergebene Prüfsiegel nicht in Wahrheit veraltet sind. Und besonderes Lob geben wir dem Siegel für Geprüfte Sicherheit (GS): Hier wird nach klaren Kriterien für ganz Europa festgestellt, ob ein Produkt sicher ist.

Warum vergibt der TÜV Rheinland neben den eigenen Siegeln auch noch das LGA-Logo?

Wilde Die Marke LGA gibt es seit 150 Jahren, sie prüfen noch länger als der TÜV Rheinland. Viele Verbraucher und Branchen vertrauen auf Prüfungen durch die LGA, insbesondere in der Möbelindustrie und bei Spielzeugen, da ist die LGA unbestritten Nummer eins der Prüfer. Auf das Prüfzeichen "LGA tested" wollen wir deshalb nicht verzichten.

Müller Wir stehen der Inflation von Bewertungssiegeln grundsätzlich kritisch gegenüber. Es gibt zu viele Ökosiegel, vermeintliche Qualitätstests und ähnlich schwer nachvollziehbares Lob. Darum sehen wir auch das LGA-Siegel mit einer gewissen Skepsis. Und auch der TÜV Rheinland sollte mit der Vergabe seiner vielen Zertifikate vorsichtig sein: Wenn da nach mehr als 100 Kriterien Qualität gemessen wird, dann kann das zu Verwirrung der Verbraucher führen.

Wilde Ich denke, wir wünschen uns alle, dass die Welt einfacher wäre. Prüfzeichen und Siegel basieren auf Vertrauen und Verlässlichkeit, denn die Welt ist komplex, und wir müssen komplexe Sachverhalte auch differenziert bewerten. Ich gebe zu, dass dies die Verbraucher irritieren kann, doch ohne unsere Siegel hätte er noch weniger Orientierung. Er muss sich aber die Mühe machen, ihren Hintergrund zu verstehen.

Was halten Sie beide vom europäischen CE-Siegel?

Müller Es sagt leider nur aus, dass der Anbieter selbst erklärt, bestimmte Kriterien der EU für ein Produkt zu erfüllen und dafür zu haften. Im Zweifelsfall hat der Verbraucher davon nur wenig.

Wilde Das sehe ich ähnlich. CE ist eine Kennzeichnung, es ist gar kein Siegel. Darum plädieren wir bei wichtigen Produkten für europaweite Vorgaben für Qualität, wie es sie beim GS-Siegel gibt. Dann können verschiedene Prüfinstitute prüfen, aber nur wer diese einheitlichen Kriterien erfüllt, trägt das GS.

Müller Diese Forderung unterstützen wir. Je mehr Produkte es gibt, umso wichtiger wären europaweite Standards für Qualitätsprüfungen.

Wie ist es dann möglich, dass es unter dem TÜV-Logo Lob für gute Beratung von Finanzdienstleistern gibt?

Wilde TÜV Rheinland vergibt schon seit Jahren keine Siegel für Finanzprodukte mehr, aus nachvollziehbaren Gründen. Ansonsten will ich aber dem Eindruck widersprechen, dass man nur anfassbare Produkte sinnvoll testen kann. In einer Dienstleistungsgesellschaft müssen auch Dienstleistungen bewertet werden. So untersuchen und zertifizieren wir beispielsweise, ob ein Unternehmen seine Computer umfassend gegen Cyber-Angriffe schützt.

Beim Skandal um minderwertige Brustimplantate der Firma Pip wurde der TÜV Rheinland in Frankreich als mitschuldig verurteilt, weil er die Firma zertifizierte. Was heißt das?

Wilde Um es klar zu sagen: Pip hat an erster Stelle die Patientinnen, aber auch die Gesundheitsbehörden und die Benannte Stelle von TÜV Rheinland mittels eines großangelegten, komplexen Betruges getäuscht. Die betrügerischen Handlungen von Pip waren für den TÜV Rheinland nicht erkennbar und konnten mit den Mitteln, die einer privaten Benannten Stelle von Rechts wegen zustehen, nicht aufgedeckt werden.

Das Urteil muss Ihnen trotzdem wehtun.

Wilde Schön ist es nicht. In Deutschland haben aber bereits zwei Landgerichte eindeutige Urteile gefällt und die Klagen gegen TÜV Rheinland abgewiesen. In zwei weiteren Fällen in Deutschland haben die Klägerinnen auf entsprechende Hinweise des Gerichts hin ihre Klagen zurückgenommen. Gegen das erstinstanzliche Urteil des Handelsgerichts in Frankreich, haben die betroffenen TÜV Rheinland-Gesellschaften Berufung eingelegt. Für uns ist das Urteil nicht nachvollziehbar. Es widerspricht auch dem Standpunkt des Staatsanwaltes in dem Verfahren und den bisher ergangenen Urteilen in Deutschland.

Eine Frage an den TÜV zum Schluss: Wie kaufe ich richtiges Spielzeug?

Wilde Riechen Sie erst einmal daran. Bei jedem unangenehmen Geruch wäre ich misstrauisch. Ansonsten dem GS-Siegel vertrauen.

REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS GESPRÄCH

(RP)
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