Berlin Verbraucher sichern den Aufschwung

Berlin · Die Wirtschaftsforschungsinstitute sagen im Herbstgutachten eine weiterhin robuste Konjunktur voraus, warnen aber vor mittelfristigen Risiken der Flüchtlingskrise. Kurzfristig stützen die Mehrausgaben für Migranten den Aufwärtstrend.

Der starke Flüchtlingszuzug wird die Konjunktur nach Einschätzung der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute kurzfristig stützen, für das mittel- und langfristige Wachstum birgt er jedoch Gefahren, wenn die Politik nicht die richtigen Weichen stellt. Die Ökonomen mahnen in ihrem gestern vorgelegten Herbstgutachten gemeinsame EU-Asylstandards und eine gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge auf alle Mitgliedsländer an. Im Inland sei der "wichtigste Hebel", junge Migranten in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Zudem brauche Deutschland ein Einwanderungsgesetz. "Die fluchtbedingte Migration ist kein Ersatz für eine vernünftige Zuwanderungspolitik", betonte Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI).

Der Staat werde im laufenden Jahr zusätzlich vier Milliarden und im kommenden Jahr zusätzlich elf Milliarden Euro für die Flüchtlingshilfe ausgeben. Das wirke "wie ein Konjunkturprogramm" und steigere das Bruttoinlandsprodukt 2016 um "einen Viertel Prozentpunkt", sagte Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Insgesamt erwarten die Institute 2015 und 2016 ein Wachstum von jeweils 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Sie senkten damit ihre bisherige Prognose für 2015 um 0,3 Prozentpunkte. Die Vorhersage für 2016 blieb unverändert. Auch die Bundesregierung geht von diesen Raten aus.

Der "verhaltene Aufschwung" werde wesentlich vom kräftigen privaten Konsum getragen, der durch die Flüchtlingsmehrausgaben jetzt noch einmal zusätzliche Impulse erhalte. Die Schwäche der Schwellenländer, insbesondere Chinas, dämpfe jedoch das Geschäft der exportorientierten Industrie (siehe unten). Eine Gefahr sei außerdem die Krise bei Volkswagen, so die Forschungsinstitute. Der Imageschaden könne auf die gesamte deutsche Industrie abfärben. Schwach blieben weiterhin die Ausrüstungsinvestitionen.

Der Überschuss im Staatsetat sei groß genug, um daraus die Flüchtlingsmehrausgaben zu finanzieren. Er liege im laufenden Jahr bei 23 Milliarden Euro, im kommenden immer noch bei 13 Milliarden Euro.

In der Flüchtlingspolitik forderten die Institute die Regierung auf, auf EU-Ebene für eine "sachorientierte Problemlösung" zu werben. "Auf Dauer ist die derzeitige Konzentration der Flüchtlinge auf wenige EU-Mitgliedsländer nicht durchzuhalten", sagte Döhrn. Daher seien einheitliche europäische Regeln "bezüglich Asylgewährung und der Leistungen an Asylsuchende erforderlich". Langfristig könne die Kompetenz für Asylverfahren ganz auf die EU übertragen werden.

Im Inland solle die Regierung die Vorrangprüfung abschaffen. Demnach muss bisher die Arbeitsagentur prüfen, ob ein Deutscher oder EU-Bürger einen Job machen könnte, für den auch ein Migrant ohne Asylbescheid infrage käme. Wartezeiten müssten generell verringert, Investitionen in Bildung massiv erhöht werden. Asylbewerber müssten dort untergebracht werden, wo sie die größten Jobchancen hätten.

(mar)
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