Jens Bullerjahn "Verdi-Forderung ist völlig realitätsfern"

Der Vorsitzende der Tarifgemeinschaft deutscher Länder über die schwierigen Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, über drohenden Fachkräftemangel und die Streikfähigkeit der Gewerkschaften.

düsseldorf Jens Bullerjahn ist Finanzminister von Sachsen-Anhalt und als Vorsitzender der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) Verhandlungsführer bei den Tarifgesprächen im öffentlichen Dienst.

Herr Bullerjahn, wie beurteilen Sie die Forderung der Gewerkschaften für die Landesbeschäftigten?

Bullerjahn Wir haben im Kreis der Finanzminister im Vorfeld darüber geredet, was da kommen könnte. Wir waren dann aber doch etwas baff: Was die Gewerkschaften verlangen, passt nicht in die Zeit.

Wieso nicht?

Bullerjahn Nehmen Sie die Rahmenbedingungen: Die Zinsen sind niedrig, die Inflation liegt bei 0,6 Prozent - und daran wird sich aller Voraussicht nach auch so schnell nichts ändern. Das Wirtschaftswachstum geht nicht durch die Decke. Ich wäre froh, wenn wir 2015 eine stabile eins vor dem Komma hätten. Nimmt man all dies zusammen, ist die Forderung von Verdi und Co. völlig realitätsfern.

Aber die Steuereinnahmen sprudeln.

Bullerjahn Man muss ja als Gewerkschafter kein Fan der Schuldennbremse sein, aber die ist doch nun mal da. Die meisten Länder kämpfen energisch dafür, dass wir die 2020 einhalten. Was Verdi da verlangt, würde allein Sachsen-Anhalts Haushalt mit zusätzlich 200 Millionen Euro pro Jahr belasten. Das ist überhaupt nicht zu finanzieren.

Droht den Landesbeamten in vielen Ländern wieder eine Abkopplung vom Tarifergebnis?

Bullerjahn Es ist schon ein dolles Stück, dass sich Verdi hinstellt und mit Inbrunst verlangt: Wir übertragen den Abschluss sofort eins zu eins auf alle Beamten. Die meisten Länder sind schon wegen der angespannten Haushaltslage aus dem Gleichschritt ausgeschert - und das wird auch so bleiben. Über die Höhe der Beamtenbesoldung entscheiden immer noch die Landesparlamente - und nicht Verdi.

Klingt danach, als würden Sie in diesem Jahr nicht schnell fertig werden.

Bullerjahn Wenn die Gewerkschaften uns nicht schnell deutlich entgegenkommen, wird das eine langwierige und schwierige Runde.

Sie haben gewarnt, dass Investitionen ausbleiben können. Geben Sie doch einmal konkrete Beispiele.

Bullerjahn Für unsere Wirtschaftsförderung stehen 160 Millionen Euro zur Verfügung. Wenn Sie dem eine Erhöhung der Personalkosten um 200 Millionen Euro gegenüberstellen - bundesweit dürften es übrigens rund 6,5 Milliarden Euro sein - dann sehen Sie, dass die Relationen nicht mehr stimmen.

Sie haben ja Erfahrungen mit hohen Abschlüssen. Beim letzten Mal mussten Sie 2,65 Prozent für 2013 und 2,95 Prozent für dieses Jahr zahlen.

Bullerjahn Der letzte Abschluss war mehr arbeitnehmer- als arbeitgeberfreundlich. Das hat manchem in der TdL nicht geschmeckt. Aber man konnte den Beschäftigten nicht erklären, dass sie leer ausgehen, während wir Milliarden für die Bankenrettung ausgeben. Diesmal ist die wirtschaftliche Situation anders.

Könnte es bei einem zu hohen Abschluss zu einer Arbeitsverdichtung bei den Beschäftigten kommen?

Bullerjahn Wir werden keine Kompromisse eingehen, die zu einer weiteren Verdichtung führen. Wir können den Beschäftigten nicht noch mehr Arbeit aufbürden.

Was wäre denn eine noch verkraftbare Größenordnung - ein Inflationsausgleich, also 0,6 Prozent?

Bullerjahn Ich werde jetzt nicht eine Zahl in den Raum werfen, die sowieso postwendend als zu niedrig abgetan wird. Ich halte viel von einem guten Gesamtpaket. Wir reden sehr vernünftig mit der GEW darüber, endlich ein bundesweit einheitliches Tarifwerk für Lehrer zu bekommen. Aber auch das kostet Geld.

Andererseits muss sich auch der öffentliche Arbeitgeber auf den Fachkräftemangel einstellen. Und allein mit dem Versprechen der Arbeitsplatzsicherheit werden Sie die Beschäftigten nicht überzeugen, der beste Arbeitgeber zu sein.

Bullerjahn Ich bin seit neun Jahren Finanzminister und ich bemerke nicht, dass der öffentliche Dienst als schlechter Arbeitgeber wahrgenommen wird. Im Gegenteil. Natürlich gibt es den demografischen Wandel, aber es kann doch nicht die Lösung sein, dass wir bei den Gehältern die Schleusen öffnen. Wir müssen unser Geld erst einmal über Steuern einnehmen.

Die Gewerkschaft will mit Ihnen auch über die Übernahmegarantie für die Azubis verlängern.

Bullerjahn Das ist wie bei den Beamten. Das muss jedes Land für sich selbst regeln.

Wie beurteilen Sie die Streikfähigkeit der Gewerkschaften bei den Ländern?

Bullerjahn Wir werden jetzt erst einmal miteinander reden. Ich rechne fest damit, dass die Gewerkschaft ihren Forderungen mit Druckmitteln wie Warnstreiks Nachdruck verleihen wird - das ist auch völlig in Ordnung. Ich wünsche mir aber, dass keine Seite übertreibt.

Können Sie sich langfristig vorstellen, wieder gemeinsam mit Bund und Kommunen zu verhandeln?

Bullerjahn Wir sind zwar mit den kommunalen Arbeitgebern regelmäßig im Gespräch. Und natürlich sind die Kommunen Teil der Länder, nicht des Bundes. Aber eine mögliche Rückkehr zur Tarifgemeinschaft von Ländern und Kommunen wäre eine Frage von mehreren Jahren. Ich erlebe das nicht mehr.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE MAXIMILIAN PLÜCK

(RP)
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