Düsseldorf Verdi: Kirchen sollen mehr zahlen

Düsseldorf · Die Gewerkschaft Verdi hatte für diese Woche zu Warnstreiks bei der Diakonie aufgerufen. Sie will den tarifpolitischen Sonderweg der Kirchen, den Dritten Weg, torpedieren. Am Ende hätten Verdi gerne das Streikrecht.

Der Streit zwischen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und den kirchlichen Arbeitgebern gewinnt an Schärfe. Für diese Woche hatte die Gewerkschaft zu Aktionen bei der Diakonie in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Baden-Württemberg aufgerufen – es gab eine Reihe kleinerer Aktionen und insbesondere viel verbale Solidarität. Auslöser sind die nach Ansicht von Verdi schlechten Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Einrichtungen, die die Arbeitgeber mit einem tarifpolitischen Sonderweg durchsetzen konnten: dem Dritten Weg.

Mit diesem Modell umgehen die Kirchen sowohl den Weg traditioneller Tarifgespräche ("Zweiter Weg") als auch ein einseitiges Diktat von Arbeitsbedingungen ("Erster Weg"). Stattdessen definieren die Kirchen ihre Arbeitsbeziehungen als Sonderverhältnis, bei dem die Arbeitgeberseite als Dienstgeber und die Arbeitnehmerseite als Dienstnehmer bezeichnet wird. Die Idee: Mit ihrem Dienst am Nächsten kommt die Kirche ihrem Auftrag nach, die Liebe Gottes zum Menschen durch Wort und Tat zu verkünden, so sieht es der Verband der diakonischen Dienstgeber in Deutschland. Arbeit und Kapital sollen sich nicht als gegenläufige Pole mit Einzelinteressen entgegenstehen.

In der Praxis bedeutete dies bislang: Die kirchlichen Arbeitgeber vereinbaren mit Vertretern ihrer Mitarbeiter die Arbeitsbedingungen. In den sogenannten Arbeitsrechtlichen Kommissionen (ARK) sitzen beide Seiten zu gleichen Teilen an einem Tisch. Sie entscheiden beispielsweise über die Höhe der Löhne und Gehälter, den Urlaubsanspruch oder die betriebliche Altersversorgung. Sollte es doch zu Uneinigkeit kommen, wird eine Schlichtungskommission eingeschaltet. Streiks gibt es nicht.

Rechtlich sichert den Kirchen dies die Verfassung zu. Im Artikel 137 der ins Grundgesetz übernommenen Weimarer Verfassung heißt es: "Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbstständig innerhalb des geltenden Gesetzes." Dazu gehört auch das Arbeitsrecht.

Doch dieser Grundsatz wurde zuletzt durch einige Gerichte infrage gestellt. So stand etwa das Landesarbeitsgericht Hamm den Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen ein Streikrecht zu. Die Ursprünge für diese Entscheidung liegen im August 2008: Ausgelöst hat auch diesen Streit Verdi. Um dem Dritten Weg den Garaus zu machen, forderte die Gewerkschaft den Verband Diakonischer Dienstgeber dazu auf, endlich Verhandlungen über einen Tarifvertrag für deren Beschäftigte aufzunehmen. Als sich die Dienstgeber erwartungsgemäß weigerten, rief Verdi im Mai 2009 zu Warnstreiks auf. Das ging der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zu weit. Ihr nahestehende Organisationen ließen die Streiks untersagen. Verdi klagte gegen die Unterlassungsverfügung und bekam in Hamm recht.

Allerdings ist die Begründung der Richter umstritten: "Das Landesarbeitsgericht steht mit seiner Meinung bislang alleine da", sagt Jacob Joussen, Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Für die Berufung, die die EKD gegen die Hammer Entscheidung beim Bundesarbeitsgericht eingelegt hat, ist allerdings der Erste Senat zuständig. Und dessen Vorsitzende, BAG-Präsidentin Ingrid Schmidt, gilt als kirchenkritisch. Der Ausgang der Entscheidung, die für Frühjahr 2012 erwartet wird, ist offen. Das BAG müsste neben der Gleichwertigkeit des Dritten Weges gegenüber den sonst üblichen Tarifverhandlungen noch eine zweite kritische Frage klären: So begründeten die Hammer Richter ihre Entscheidung damit, dass nicht alle Arbeitnehmer in kirchlichen Einrichtungen den Dienst am Nächsten leisten.

"Die Frage ist also, wie nah jemand am Nächsten arbeitet", erklärt Joussen. Die Bundesverfassungsrichter haben allerdings vor 20 Jahren in einem ähnlichen Fall – damals ging es um die Loyalität gegenüber einem kirchlichen Arbeitgeber – entschieden, dass nur die Kirchen und keine weltlichen Gerichte den Grad dieser Nähe entscheiden.

Warum Verdi den Streit um den Dritten Weg eskaliert, ist klar. Bisher sind nicht einmal fünf Prozent der Mitarbeiter von Kirchen und Diakonie in der Gewerkschaft – wozu auch, gestreikt wird ja sowieso nie. Und man kriegt niemals Streikgeld. Sollten aber Streiks erlaubt werden, gibt es eine ganz neue Motivation. Verdi könnte auf neue Mitglieder hoffen.

(RP)
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