VW-Chef Winterkorn bleibt Das Rätsel von Wolfsburg

Düsseldorf · Die Rehabilitierung von VW-Chef Winterkorn ist vorläufig. Solange Piëch weiter Strippen zieht, ist Winterkorns Autorität limitiert. Der Unterhaltungswert des Spektakels täuscht: Ein Machtvakuum in Wolfsburg schadet ganz Deutschland.

Das Spektakel von Wolfsburg endet mit einer kollektiven Blamage: Eine Woche lang stellten Journalisten, Börsianer und Autoprofessoren wüste Spekulationen über die Nachfolge von VW-Vorstandschef Martin Winterkorn an. Nachdem VW-Patriarch Ferdinand Piëch ihm am vergangenen Wochenende öffentlich das Vertrauen entzogen hatte, galt dessen berufliches Ende für die meisten Beobachter als ausgemacht.

Aber während Piëch gestern seinen 78. Geburtstag feierte, rehabilitierte Europas größter Autokonzern Winterkorn mit allen nur denkbaren Ehren. Das Präsidium des Aufsichtsrates teilte nach einer Krisensitzung mit, es lege "großen Wert darauf, dass Herr Professor Dr. Winterkorn seine Funktion als Vorsitzender des Vorstands auch weiterhin so aktiv und erfolgreich wie bisher verfolgt". Der 67-Jährige sei "der bestmögliche Vorsitzende". Anstelle eines Rauswurfs wird jetzt über seine Vertragsverlängerung beraten. Piëch, nicht nur der Enkel des VW-Firmengründers, sondern auch VW-Großaktionär und Chef des Aufsichtsrates, wurde 1:5 überstimmt.

"Punktsieg" für Winterkorn

Entsprechend vorsichtig sind die Beobachter heute: So vorschnell wie in der vergangenen Woche will jetzt niemand mehr urteilen. Von einem "Punktsieg" Winterkorns ist jetzt relativierend die Rede, der Machtkampf sei nur "vorerst" entschieden. Die Wahrheit ist: Die neuen Machtverhältnisse bei VW kann derzeit niemand einschätzen - wahrscheinlich können das nicht einmal die Protagonisten selbst.

Auf der einen Seite steht der wiedererstarkte Winterkorn, unter dessen Führung die VW-Verkäufe um 64 Prozent zugelegt haben, der Umsatz um 86 Prozent gestiegen ist und das operative Konzernergebnis sich vervierfacht hat. Der öffentliche Angriff von Piëch hat ihm die ebenso öffentliche Solidarität der Arbeitnehmer, der Politik und sogar des Porsche-Clans beschert, der das zweite wichtige Machtzentrum bei VW neben der Piëch-Familie bildet.

Auf der anderen Seite steht Piëch. Ziemlich isoliert und dupiert zwar. Aber eben immer noch derjenige Piëch, der in seiner legendären Managerkarriere am Ende noch immer jeden Machtkampf gewonnen hat. Der das Unternehmen in den 1990-er Jahren, als er selbst noch VW-Vorstandschef war, aus der bislang schwersten Krise geführt hat. Vor dessen autoritärer Aura schon gestandene Landesrichter und Ministerpräsidenten eingeknickt sind. Derjenige Piëch, bei dem sich Fachwissen, Netzwerk und Willensstärke zu einer Machtfülle potenzieren, für die es in der deutschen Wirtschaft kein zweites Beispiel gibt.

Kommt die Überraschung erst noch?

Hat ausgerechnet dieser Großmeister der Macht die Machtverhältnisse falsch eingeschätzt? Oder verläuft in Wahrheit noch immer alles nach seinem Plan, und die Überraschung kommt erst noch? Solange Piëch weiter an der Spitze des Aufsichtsrates steht, wird er jedenfalls von dem Versuch getrieben sein, die Macht zurück zu erobern. Entweder setzt er doch noch einen neuen Kandidaten für die Winterkorn-Nachfolge durch, oder er tritt zurück. Bis dahin bleibt Volkswagen unberechenbar. Und bis dahin hat auch Winterkorn nicht mehr die Autorität, die der Konzern jetzt mit aller Kraft vorgaukeln will.

Der Unterhaltungswert dieses Spektakels täuscht: Ein solches Machtvakuum kann ein Konzern dieser Größenordnung sich nicht leisten. Dabei geht es um mehr als nur um die fast 600 000 Mitarbeiter des Konzerns: VW ist das Flaggschiff der deutschen Automobilwirtschaft, die mehr als die Hälfte des deutschen Exportüberschusses erwirtschaftet und ein Drittel aller Forschungsinvestitionen im Land aufbringt. Elektromobilität, Klimawandel, selbstfahrende Autos: Die Autobranche steckt mitten in einem historischen Umbruch. In Wolfsburg entscheidet sich maßgeblich, ob Deutschland die weltweit führende Autonation bleibt.

(RP)
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