Düsseldorf "VW-Aktionäre sollten noch nicht klagen"

Düsseldorf · Experten warnen Anteilseigner davor, mögliche Kursverluste sofort einklagen zu wollen. In Baden-Württemberg hat indes der erste Privatanleger geklagt. Er will 20.000 Euro Schadenersatz. VW habe seine Mitteilungspflichten verletzt.

Der Absturz der VW-Aktie hat sich gestern fortgesetzt. Knapp 4,7 Prozent verlor die im Dax notierte Vorzugsaktie gestern wieder, und damit ist sie schon relativ nahe an die vor zwei Wochen noch meilenweit entfernte 90-Euro-Grenze herangekommen, die seinerzeit nur die schlimmsten Pessimisten näherrücken sahen. Seit dem Bekanntwerden der Manipulation vor gut zwei Wochen hat das Papier 44 Prozent seines Wertes eingebüßt.

Da kann man als Aktionär schon mal auf die Idee kommen, VW wegen des erlittenen Schadens zur Rechenschaft zu ziehen. Das hat ein Anteilseigner aus Baden-Württemberg gemacht. Er hat nach Angaben seines Anwalts im April und Juli Aktien gekauft und beklagt einen Schaden von 60 Euro je Aktie, insgesamt etwa 20.000 Euro. Seine Anwälte, die seine Klage vor dem Landgericht Braunschweig vertreten, argumentieren, VW habe Informationen entweder gar nicht oder unvollständig an den Kapitalmarkt gegeben und sich damit schadenersatzpflichtig gemacht. Sie wollen ebenso wie andere Kanzleien in Deutschland ein Musterverfahren nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz anstrengen, bei dem Klagen von Einzelinvestoren gebündelt werden. VW wollte sich dazu nicht äußern. Der Fall sei bisher noch nicht bekannt, sagte ein Sprecher. Das heißt: Die Klage ist noch nicht zugestellt.

In den USA sind übrigens Sammelklagen bereits in Vorbereitung. Hierzulande gibt es indes auch Experten, die die Klage-Aussichten von Aktionären eher skeptisch beurteilen: "Ich habe Zweifel, ob Anleger ihre Kursverluste einklagen können", sagt Ulrich Noack, Professor für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht an der Düsseldorfer Heinrich-Heine-Universität. Aus seiner Sicht ist noch völlig unklar, zu welchem Zeitpunkt VW seine Eigentümer hätte informieren müssen: "Das ist in einem solch riesigen Konzern nicht so einfach zu beantworten. Und nur wenn diese Frage geklärt ist, gibt es überhaupt die Basis für eine erfolgreiche Klage." Genauso argumentiert Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW, Düsseldorf): "Wir raten Aktionären ausdrücklich davon ab, jetzt schnell zu klagen. Es gibt keine harten Informationen darüber, ob VW seine Ad-hoc-Pflichten verletzt hat. Die Finanzaufsicht Bafin hat das geprüft, aber die Ergebnisse kennt noch niemand. Da sollten sich Aktionäre Zeit lassen. Sie haben nach dem Bekanntwerden ein ganzes Jahr Zeit, um Ansprüche geltend zu machen." Also bis Mitte September 2016, unabhängig davon, ob sie allein klagen oder sich der Sammelklage anschließen. "Die Einzigen, die von einer schnellen Klage profitieren, sind die Anwälte. Aber eine schnelle Klage ist keine gute Klage, denn sie ist risikoreicher. Dies allerdings nur für die betroffenen Anleger, denn die Anwälte verdienen am Ende immer", sagt Tüngler.

Die Anwälte, deren Mandant geklagt hat, sind sich ihrer Sache indes sicher. Betroffen sind aus ihrer Sicht vor allem Aktienkäufe im Zeitraum vom 6. Juni 2008 bis 17. September 2015, also vom Tag der ersten Zulassung eines manipulierten Fahrzeugs bis zum Bekanntwerden des Skandals. Der Düsseldorfer Kapitalmarktrechtler Noack sieht allerdings auch in dem von den Anwälten genannten Zeitraum ein Problem: "Da gibt es ja auch viele, die von steigenden Kursen profitiert haben. Klagen wird aber nur der, der ins fallende Messer gegriffen hat." Zwischen Mitte September 2008 und Mitte September 2010 lag der Kurs unter dem von gestern. Die Aktionäre, die da kauften, hätten gar keinen Schaden erlitten, heißt es.

(RP)
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