Analyse VW kann die Krise allein bewältigen

Frankfurt/M. · VW drohen wegen des Abgas-Betrugs bei Dieselautos Milliardenstrafen. Der Wirtschaftsforscher Michael Fratzscher spricht davon, dass dem Konzern bis zu 100 Milliarden Euro an Kosten entstehen könnten. Viele fragen sich, ob der Autobauer ohne staatliche Hilfe auskommt.

Die schlechten Nachrichten für Volkswagen nehmen kein Ende. Gestern hat der amerikanische Bundesstaat Texas mitgeteilt, er werde die Landesgesellschaften von Audi und VW wegen des Verstoßes gegen Verbraucherschutz- und Umweltgesetze verklagen. Eine Klagewelle rollt, deren Ausmaß man noch nicht abschätzen kann. Klar ist bisher nur, dass VW mit den zurückgestellten 6,5 Milliarden Euro nicht wird auskommen können. Diese Summe hatte VW jedoch nur für die weltweite Rückrufaktion genannt. Insgesamt könnte der finanzielle Schaden für VW zwischen 20 und 50 Milliarden Euro liegen, schätzen Beobachter. Es könnte auch weit mehr werden - je nach Umfang und Zulassung der Klagen.

Trotz dieser horrenden Summen werden die Kosten den Konzern aber nicht umhauen. Das Unternehmen dürfte am Jahresende über etwa 20 Milliarden Euro verfügen, die es einsetzen könnte. Das setzt sich zusammen aus einem üppigen Kassenbestand, der bis zum Jahresende auf 30 Milliarden Euro anschwellen dürfte, von denen man für das operative Geschäft wohl etwa zehn Milliarden Euro abziehen muss. Darüber hinaus hat VW noch Möglichkeiten, finanzielle Mittel freizuschaufeln. Der neue Konzernchef Michael Müller hatte einige schon genannt, zuallererst das Zurückstellen oder Streichen von Investitionen. Über eine Kapitalerhöhung könnten sich die Wolfsburger Geld an der Börse holen, oder sie könnten Teile ihres Imperiums verkaufen. Als Erstes wird da gern das Nutzfahrzeuggeschäft genannt, weil sich das am einfachsten aus dem Konzern herauslösen ließe. Die verschiedenen Automarken operieren ja zum Teil mit gemeinsamen Plattformen. Und von einer Perle wie Porsche, auch wenn sie 40 Milliarden Euro wert sein dürfte, wird man sich wohl nicht trennen, solange die Not nicht zu groß ist. Eine weitere Perle hat VW aber auch noch, die womöglich noch mehr einbringen würde: "Volkswagen Financial Services", die Kundenbank von VW. Die dürfte zwar als Finanzierer von Konzernfahrzeugen auch unter der wahrscheinlichen Kaufzurückhaltung leiden, mit der VW rechnen muss. Aber mit einer Bilanzsumme von 114 Milliarden Euro ist das Institut eine Großbank, so groß, dass sie von der neuen europäischen Bankenaufsicht bei der EZB beaufsichtigt wird. VW wäre nicht der erste Autobauer in der Krise, der sich so Geld beschaffen würde. Das hatte General Motors in seiner Existenzkrise so gemacht.

Schließlich dürfte Volkswagen auch noch seine Dividende für 2015 kürzen oder ganz streichen. Das trifft die Aktionäre, damit auch den Staat, der über das Land Niedersachsen zu einem Fünftel an Volkswagen beteiligt ist. Von daher berührt die VW-Krise auch den Steuerzahler. Die vielleicht 250 bis 300 Millionen Euro, die so weniger ins Staatssäckel fließen, mögen zwar an der ein oder anderen Stelle schmerzhaft sein. Auch die Steuerzahlungen von VW werden in den kommenden Jahren nicht mehr so üppig ausfallen wie gewohnt.

Alles also nicht so gravierend? Die Lehre aus Dieselgate sollte sein, dass die Kontrolleure bessere Arbeit leisten müssen. Dass dies offenbar auch innerhalb des Vorstands stärker als bisher geschehen soll, ist begrüßenswert. Allerdings ist es reichlich spät, in einem weltweit operierenden Großkonzern von 600.000 Mitarbeitern erst jetzt darüber nachzudenken, die Befolgung von Gesetzen und die Aufdeckung von Verstößen auf Vorstandsebene anzusiedeln. Das hätte schon viel früher geschehen müssen, damit Manipulationen möglichst unterbunden werden. Zudem sollte auch der Staat in Deutschland gegen Rechtsverstöße bei Volkswagen vorgehen, sobald sich diese erhärten. Wenn Betrug, Urkundenfälschung etwa bei der Modellzulassung nachgewiesen werden, darf auch der Staat nicht zurückscheuen, VW dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Auch als Aktionär darf er sich nicht davon abhalten lassen, Gesetzesverstöße zu ahnden. Das darf man nicht allein den Amerikanern überlassen.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort