Wolfsburg Volkswagen zittert vor der US-Justiz

Wolfsburg · Eine mit Wirtschaftsskandalen vertraute Kanzlei aus den USA soll den Konzern verteidigen. Vorbild ist Siemens. Es geht um Milliarden. Die Rückstellungen von 6,5 Milliarden werden nicht reichen, um Strafen und Schadenersatz zu zahlen.

Der neue VW-Chef Matthias Müller schwört seine Mannschaft auf bittere Zeiten ein. Vor Deutschlands umsatzstärkstem Konzern lägen "ein langer Weg und viel harte Arbeit", erklärte er vor 1000 Führungskräften. Einen wichtigen Schritte gab er direkt bekannt: Die US-Kanzlei Jones Day wird die Affäre mit aufklären und VW wohl auch gegenüber den US-Behörden und US-Kunden vertreten.

Die Wahl der renommierten Anwaltsfirma zeigt, wie ernst der Konzern die Affäre nimmt. Immerhin hat Jones Day den Ölkonzern BP vertreten, nachdem die Ölplattform Deepwater Horizon im Golf von Mexiko explodiert und untergegangen war. Am Ende musste BP trotz guter Anwälte über 16 Milliarden Euro Schadenersatz bezahlen.

Mindestens so hohe Belastungen drohen VW nun allein in den USA. "Da türmt sich ein Berg von finanziellen Lasten auf, den noch niemand abschätzen kann", warnt Stefan Bratzel, Professor für Automobilwirtschaft in Bergisch Gladbach. VW-Finanzvorstand Hans Dieter Pörtsch musste beim Treffen mit den Führungskräften einräumen, dass die Rückstellungen von 6,5 Milliarden Euro nur einen Teil der Belastungen finanzieren werden - nämlich die Umrüstung der weltweit elf Millionen manipulierten Autos.

Noch nicht in der Rechnung enthalten sind Geldbußen, die die US-Umweltschutzbehörde in Höhe von bis zu 16 Milliarden Euro angedroht hat sowie Schadenersatzzahlungen an Autofahrer, die in den USA Sammelklagen angekündigt haben, sowie Anwaltshonorare von womöglich hunderten Millionen Euro. Die Landesbank Baden-Württemberg schätzt den möglichen Gesamtschaden auf 47 Milliarden Euro.

Und auch der Kapitalmarkt hat sein Urteil gefällt: Bevor vor zwölf Tagen der Abgasskandal bekannt wurde, lag der Börsenwert von VW bei 80 Milliarden Euro. Gestern waren es nach einem erneuten Kursverlust von vier Prozent nur noch 52 Milliarden Euro - 28 Milliarden Euro sind also weg.

Nur mit rückhaltloser Aufklärung und einer besseren Unternehmenskultur kann VW das Strafmaß abmildern. "Absolute Transparenz ist die einzige Rettung", sagt Frank Hülsberg, Partner bei der Düsseldorfer Kanzlei Warth & Klein Grant Thorn. Vorbild ist Siemens, dessen Aufsichtsratschef Gerhard Cromme den Konzern einst vor dem Untergang rettete, als die US-Justiz die Bestechungspraxis der Deutschen unter die Lupe nahm. Vorstandschef Klaus Kleinfeld musste gehen, viele andere Manager verloren ihren Job. Cromme sprach von einem illegalen "Paralleluniversum" im Konzern, das von "von früheren Vorständen gedeckt, geduldet oder gar initiiert" worden war.

Als Ergebnis der Aufräumaktion musste Siemens statt einer Milliardenbuße nur rund 600 Millionen Buße in den USA zahlen und durfte die Geschäfte weiterführen - aber der Flurschaden war immens. Konzernchef Heinrich von Pierer musste fünf Millionen Euro an den 13 Jahre von ihm geleiteten Konzern zahlen. Der frühere Berater der Kanzlerin ist heute Außenseiter der Wirtschaftswelt. Ex-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger beging im Februar Selbstmord, nachdem ihn ein langer Streit um Schadenersatz mit Siemens zermürbt hatte.

Wie wird die VW-Affäre enden? Gegen den Konzern spricht, dass die Motormanipulationen sich über Jahre hinzogen und alles andere als ein Versäumnis waren. Ein Fehler war, dass der Aufsichtsrat Ex-Vorstandschef Martin Winterkorn bei seinem Rücktritt ausdrücklich von jeder Schuld freisprach - tatsächlich ist noch nichts aufgeklärt, möglicherweise muss VW ihn auf Schadenersatz verklagen.

Der Bayer-Konzern zeigt dagegen, dass Skandale am Ende finanziell auch glimpflicher ausgehen können als erwartet. 2001 wurde befürchtet , dass die Leverkusener zehn Milliarden Euro für Schäden und Todesfälle durch den Blutfettsenker Lipobay zahlen müssen. Am Ende kam bei den Klagen nichts raus, aber Bayer installierte intern ganz neue Kontrollmechanismen.

(RP)
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