Analyse Warum die Inflation jeden anders trifft

Düsseldorf · Die gefühlte Teuerungsrate ist oft deutlich höher als die offizielle. Grund ist der Warenkorb des Durchschnittshaushalts, mit dem Statistiker die Entwicklung messen. Dabei kann jeder das Preisniveau seines eigenen Warenkorbs berechnen.

Was Inflation konkret bedeutet
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Foto: dpa/Julian Stratenschulte

Die Preise haben sich schon wieder kaum erhöht - das wird heute das Statistische Bundesamt in seiner Einschätzung zur Inflation für den Monat Juni verkünden. Vielleicht wird auch wieder eine Null vor dem Komma stehen, was natürlich zu wenig ist angesichts von angepeilten 2,0 Prozent, die in Europa als die beste Teuerungsrate für Waren und Dienstleistungen gilt. Doch der historische Tiefstand der Verbraucherpreise kommt nicht bei allen Konsumenten auch so an. Das Problem: Die Inflation, die die Statistiker offiziell messen, stimmt oft nicht mit der von den Konsumenten gefühlten Inflation überein. Die Statistik trifft so hart auf die millionenfach gefühlten Wirklichkeiten, wonach eigentlich alles immer teurer wird.

Das bedeutet nicht, dass die Ämter falsch rechnen. Immerhin werden monatlich 300.000 Preise abgefragt für 578 Produkte und Dienstleistungen und mit denen aus den Vormonaten und -jahren verglichen. Aber diese Kalkulation kann am Leben des einzelnen vorbei gehen. Auf der Internetseite des Statistischen Bundesamts können Verbraucher deshalb auch ihren persönlichen Preisindex und die dazugehörende Inflationsrate ausrechnen lassen. Dazu müssen sie nur ihre Konsumgewohnheiten eingeben, die fast immer deutlich abweichen von den Rechengrößen der Experten. Ein Beispiel: Unser Tester bezahlt nicht 21 Prozent seiner Ausgaben für die Kaltmiete, sondern nur 17,8 Prozent.

Er heizt nicht mit einer Mischung von Gas und Heizöl, die im offiziellen Warenkorb auftaucht. Er zahlt für Strom 3,7 Prozent seiner Ausgaben statt wie angenommen 2,6 Prozent. Für Kraftstoffe gibt er als Vielfahrer 12,2 Prozent aus statt 3,8 Prozent. Dafür fährt er nicht mit Bus und Bahn und raucht auch nicht, was die Statistiker aber zugrunde legen. Und Nahrungsmittel zehren bei ihm 12,6 Prozent der Ausgaben auf statt wie beim Durchschnittsbürger 9,1 Prozent.

Die Folge: Seit 2010 liegt die Preisentwicklung für den persönlichen Warenkorb des Testers zum Teil deutlich über dem der Allgemeinheit. Im Advent 2012 etwa lag der Tester bei einer Teuerungsrate von etwa sechs Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2010, die Allgemeinheit aber nur bei 4,7 Prozent. Der Einzelne schimpft: Alles ist teurer geworden, die Statistiker sehen relativ konstante Preise.

Das Problem ist der Warenkorb, mit der die Experten die Preisentwicklung messen. Der Korb wird alle fünf Jahre angepasst, zuletzt 2010. Dafür werden mehr als 50 000 Haushalte befragt. "Dieser Haushalt ist so durchschnittlich, den gibt es gar nicht", sagt Thomas Krämer von der Abteilung Verbraucherpreise beim Statistischen Bundesamt. Kritiker bemängeln eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Krämer sagt: "Die Realität ist nicht verzerrt, sondern verdurchschnittlicht." Das heißt auch, dass eine spezielle Preisänderung beim einen nicht zu Buche schlägt, beim anderen aber ein tiefes Loch in die Geldbörse reißt.

Beispiel Lebensmittel: Seit 2010 sind die Preise für Nahrungsmittel um 10,4 Prozent gestiegen. Das macht sich vor allem bei denjenigen bemerkbar, die ein geringes Einkommen haben und folglich einen großen Teil ihres Geldes für Essen und Trinken ausgeben müssen. Da steigt das persönliche Preisniveau stattlich an. Bei Gutverdienern fallen teurere Brötchen dafür kaum auf. Da fällt eher ins Gewicht, dass Teppiche und Fernreisen seit 2010 wesentlich günstiger geworden sind. Das interessiert Hartz-IV-Empfänger aber in der Regel nicht.

Wer ein hohes Preisniveau bei sich vermutet, der kauft womöglich überdurchschnittlich viel Milch, Backwaren, Speiseöle, Zigaretten, geht zu oft ins Restaurant, betankt das Auto zu großzügig, liebt Schmuck oder zahlt zu viel Kaltmiete. Wer hingegen glaubt, im Moment ganz günstig unterwegs zu sein, investiert womöglich überdurchschnittlich viel in Schnaps, Waschmaschinen, Kühlschränke und Möbel, schreibt sehr gerne SMS und E-Mails und gönnt sich des Öfteren einen neuen Fernseher. Und nur wer überall so zugreift wie statistisch vorhergesagt, der hat beim Inflationsroulette den Volltreffer.

(RP)
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