Analyse Wie billig darf ein T-Shirt sein?

Düsseldorf · Der tödliche Brand in einer Textilfabrik in Bangladesch hat eine Debatte über die Verantwortung von Firmen ausgelöst.

Das Brandunglück in einer der etwa 5000 Textilfabriken in Bangladesch, bei dem vor rund einer Woche mehr als 100 Menschen gestorben sind, bringt dort die Textilarbeiter auf die Straße. Sie protestieren gegen unmenschliche Arbeitsbedingen und fehlende Sicherheitsvorkehrungen. In Deutschland wird unterdessen darüber debattiert, wie viel Verantwortung Unternehmen wie H&M, C&A, Esprit oder Hugo Boss als Auftraggeber dafür tragen – und was das mit dem Preis von Bekleidung in deutschen Innenstädten zu tun hat.

Wer hierzulande ein T-Shirt für wenige Euro kauft, muss davon ausgehen, dass die Löhne derjenigen, die es zusammengenäht haben, auf ein Minimum gedrückt wurden. Doch auch ein hoher Preis ist keine Garantie für fair hergestellte Waren. Für den Konsumenten wird es damit schwieriger, fair produzierte Kleidung von solcher zu unterscheiden, die für einen Hungerlohn entstanden ist.

Klar ist: Der Chef eines Unternehmens trägt Verantwortung dafür, dass das Geschäft für die Eigentümer Gewinn abwirft. Der Ökonom Milton Friedman hat dies in einem Artikel im New York Times Magazine von September 1970 zugespitzt: Die alleinige Verantwortung von Unternehmern liege in der Maximierung der Profite.

Doch als Folge von Debatten in der Wissenschaft, kritischen Konsums und der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen wurde unternehmerische Verantwortung seit Friedmans Zeiten neu definiert. Demnach sind es multinationale Unternehmen, die den größten Handlungsspielraum haben, wenn es um faire Arbeitsbedingungen in allen Gliedern der Produktionskette geht. Das Problem: Viele Unternehmer folgen nach wie vor der Argumentation Friedmans und sehen ihren Zweck allein in der Profitmaximierung anstatt nachhaltige Ziele zu verfolgen. Dass sich ein solch gewinnstrebender Akteur freiwillig Sozialstandards unterwirft, kann nicht erwartet werden. Gesetze könnten dabei nachhelfen.

Uwe Kekeritz, Mitglied der Grünen-Bundestagsfraktion, kritisiert, dass die deutsche Bundesregierung bisher allein auf Freiwilligkeit setzt. "Kaum ein anderes Land in der EU sperrt sich so vehement gegen schärfere Auflagen für Unternehmen wie Deutschland", sagte er auf Anfrage. "Das Brandunglück in Bangladesch sollte die Regierung nun endlich zum Anlass nehmen, sich der internationalen Gemeinschaft anzuschließen und gesetzliche Offenlegungspflichten zu Sozialstandards für Textilunternehmen festzuschreiben", forderte Kekeritz.

In einem internen Papier des Bundesarbeitsministeriums von 2011, das mit dem Wirtschaftsministerium abgestimmt ist und unserer Zeitung vorliegt, heißt es: Gesetzliche Regelungen zur Berichterstattung über Sozialstandards müssten verhindert werden. Stattdessen sollte am Prinzip der Freiwilligkeit festgehalten werden.

Auch Staaten wie Bangladesch haben wenig Interesse an vielen Vorschriften. Das Land ist abhängig von der Textilindustrie. Seit 1999 ist die Wirtschaft jährlich um rund fünf Prozent gewachsen. Mehr als 70 Prozent der Exportgüter stammen mittlerweile aus Textilfabriken. Und so ist es auch kein Wunder, dass sich die Regierung nicht zu einer Erhöhung des Mindestlohns für Textilarbeiter drängen lassen will. Denn die Produktionsbedingungen müssen für westliche Firmen möglichst attraktiv bleiben.

Das war nicht immer so: Bis 2004 existierte das sogenannte Multifaser-Abkommen der Welthandelsorganisation, wonach jedes Land nur eine bestimmte Quote an Textilien in westliche Länder exportieren durfte. Damit wollte der Westen seine eigene Produktion schützen. Nebeneffekt war, dass auch kleine Länder wie Nepal eine eigene Textilproduktion aufbauen konnten. Nach dem Ende des Abkommens brach die Textilindustrie dort jedoch ein. Später rollten dann Länder wie Bangladesch mit Niedriglöhnen den Weltmarkt auf, heute ist es einer der größten Textilexporteure der Welt.

Und schon seit Jahrhunderten gilt die Bekleidungsindustrie als Vorreiter wirtschaftlicher Entwicklung. Immer, wenn die Lohnkosten zu hoch wurden, wanderte die Industrie ab. So folgte die Branche mit geringen Anforderungen an Maschinen und an Arbeiter Lockrufen aus Portugal, Osteuropa und schließlich China und Südostasien. Heute sind solche Wechsel noch schneller möglich. Es fragt sich nur, wie niedrig die Löhne noch werden können.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort