Der Streit um die Kernenergie-Förderung Wie die Energiewende Europa spaltet

Brüssel · Der Leitlinien-Entwurf der EU zum Thema Beihilfen führt zu neuen Diskussionen zwischen den Gegnern und Befürwortern einer künftigen Kernenergie-Förderung. Die Bundesregierung bleibt bei ihrem klaren Nein.

Die Pläne der EU-Kommission, staatliche Hilfen für Atommeiler zu erleichtern, haben einen neuen Streit zwischen Brüssel und Berlin ausgelöst. Die Absicht der Kommission lässt sich aus einem Leitlinien-Entwurf zur Modernisierung von Beihilfen im Umweltbereich herauslesen, der unserer Zeitung vorliegt. In Artikel 157 wird dort unter Berufung auf den Euratom-Vertrag die Förderung und Entwicklung der Kernenergie als EU-Ziel definiert. Mit den geplanten Vorschriften würde es für die EU-Staaten künftig leichter, staatliche Beihilfen für den Bau von Atommeilern von den Brüsseler Wettbewerbshütern genehmigt zu bekommen.

Bisher gibt es Ausnahmen vom strengen EU-Beihilfeverbot faktisch nur für grüne Energie — wie etwa die Ökostrom-Förderung nach dem deutschen Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Vor allem Frankreich und Großbritannien haben ein Interesse daran, dass sich das ändert. Schließlich sei auch die Atomenergie "kohlenstoffarm", heißt es.

Berlin lehnt Förderung ab

Für die Bundesregierung, die den Atomausstieg beschlossen hat, kommt das Thema im Wahlkampf zur Unzeit. Entsprechend deutlich reagierte die Kanzlerin am Freitag. "Deutschland hat dagegen gestimmt, und das unterstütze ich", sagte sie bei ihrer letzten Pressekonferenz vor der Sommerpause. "Mit den geplanten Beihilferegeln soll sich der Neubau von Atomkraftwerken wieder lohnen. Marode Atomkonzerne sollen mit hohen und langjährigen Staatsbeihilfen flott gemacht werden", kritisierte Rebecca Harms, Grünen-Fraktionschefin im Europaparlament. Der Club der "Atomfreunde" um die Kommissare Joaquin Almunia und Günter Oettinger wolle mit "Volldampf" eine "Kehrtwende in der Energiepolitik" einleiten.

Unterstützung für die EU-Pläne kommt dagegen vom Chef der CDU/CSU-Abgeordneten in der EU-Volksvertretung, Herbert Reul: "Es geht nicht um EU-Subventionen für Kernkraftwerke, sondern um klare einheitliche Regeln, unter welchen Umständen Atommeiler von den einzelnen Mitgliedstaaten gefördert werden können." Zahlreiche EU-Mitgliedstaaten planten neue Kernkraftwerke. Diese Realität erkenne die Kommission in ihrem Beihilfe-Leitlinien-Entwurf an. "Die CO2-Reduzierung ist ein wichtiges Ziel der europäischen Klimapolitik. Viele Mitgliedstaaten sind der Ansicht, dass Kernenergie dabei helfen kann. Das ist legitim, auch wenn das in Deutschland nicht jedem in den Kram passt."

Energiekommissar Günther Oettinger, mit dem der Entwurf dem Vernehmen nach abgestimmt ist, reagierte vorsichtig: die Frage der "möglichen Förderung der Nuklearenergie" bedürfe einer "intensiven und gründlichen Diskussion". "Wir können das Thema nicht ignorieren", sagte Oettinger. Er arbeite eng mit Almunia zusammen. Es ist kein Geheimnis, dass Oettinger vom Alleingang Deutschlands in Sachen Atomausstieg nicht viel hält. Mehrfach hat er das auf EU-Ebene unabgestimmte Vorgehen der Bundesregierung kritisiert. Und er gehört zu jenen, die daran zweifeln, dass die EU ihr Klima-Ziel, den Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um ein Fünftel zu reduzieren, ohne Atomenergie erreichen kann. Außerdem hält er eine einseitige Bevorzugung von Ökostrom — etwa wie in Deutschland mit dem EEG — für wettbewerbsrechtlich problematisch.

Beschlossen ist noch nichts

Eine Beihilfe-Entscheidung der EU zum Thema steht noch aus. Doch Forderungen aus Brüssel nach einer Revision scheinen sehr wahrscheinlich. Derzeit sind in Europa 132 Kernkraftwerke in Betrieb, neun davon in Deutschland. Von den 27 Mitgliedsstaaten betreiben 14 Kernreaktoren. In Frankreich speisen sich 75 Prozent der Energie aus Atommeilern, in Österreich null Prozent. Großbritannien will unbedingt neue Meiler bauen — angeblich, um einer Energiekrise durch die Schließung von Kohlekraftwerken vorzubeugen. Zwei Reaktoren sind in Hinkley Point an Englands Südwestküste geplant — bauen und betreiben sollen diese die französischen Konzerne Areva und EdF. Sie fordern Garantiepreise für den bereitgestellten Strom. Die Regierung hofft nun auf die Brüsseler Genehmigung für solcherlei Förderung. Auch in Finnland, Frankreich und der Slowakei werden Reaktoren gebaut, Polen und Litauen haben entsprechende Pläne.

Beschlossen ist in Brüssel noch nichts. Im Herbst geht Almunias Leitlinien-Entwurf in die öffentliche Konsultation mit den Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten. "Die EU-Kommission möchte in keiner Form zu Subventionen für Kernkraft ermuntern", unterstrich der Sprecher des Wettbwerbskommissars. Die Frage, ob es Regeln für diesen Sektor geben sollte, sei offen. Für die Umweltschutzorganisation BUND ist die Antwort ein klares "Nein". Sie kritisierte die Pläne als "rückwärtsgewandt" und fordert von der Europäischen Union, sie zurückzuziehen.

(RP)
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