Berlin Wie Wachstum den Wohlstand schmälern kann

Berlin · Wenn Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) heute den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung vorstellt, wird der Tenor eher positiv sein: Noch zeigt sich die deutsche Konjunktur robust - trotz aller weltwirtschaftlichen Risiken, etwa in China und Nahost. Die Regierung prognostiziert in dem Bericht für 2016 ein Wirtschaftswachstum von 1,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr - vor allem dank einer weiterhin lebhaften privaten Konsumnachfrage.

Gabriel senkt damit die bisherige Prognose geringfügig um ein Zehntel Prozentpunkt. Die Zahl der Erwerbstätigen werde 2016 weiter um knapp 400.000 oder 0,9 Prozent auf jahresdurchschnittlich rund 43,4 Millionen steigen, hieß es in Koalitionskreisen. Der Staat werde auch 2016 nicht ins Defizit rutschen.

Der Blick allein auf das Wachstum der Wirtschaftsleistung ist aus Sicht der Grünen jedoch zu kurz gesprungen. Sie wollen heute etwas Wasser in Gabriels Wein gießen und legen erstmals einen eigenen "Jahreswohlstandsbericht" vor. Dieser Bericht, der unserer Redaktion vorliegt, kommt zu einem weniger beruhigenden Ergebnis: Das Wachstum gehe unterm Strich zu Lasten des Wohlstands, weil der Verschleiß natürlicher Ressourcen zu hoch sei.

Gutachter Hans Diefenbacher überprüft anhand von acht "Kernindikatoren", wie sich der Wohlstand insgesamt entwickelt hat. Dazu gehören ökologische Daten zur Artenvielfalt und Lebensqualität, soziale zur Einkommensverteilung und zum Bildungsstand, ökonomische zur Wohlfahrt und gesellschaftliche zur Lebenszufriedenheit und zur staatlichen Qualität. Sein Fazit: Um die ökologischen Indikatoren stehe es im Vergleich zu allen anderen am schlechtesten.

Trotz der Erfolge im Umweltschutz werde die Natur durch wirtschaftliche Aktivitäten zu stark beeinträchtigt, dadurch nehme das "Naturkapital" ab und die Menschen verlören Umwelt- und Lebensqualität. "Zu hoch sind Begleit-und Folgekosten der bisherigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung in Deutschland, welche das Wohlstandsniveau faktisch untergraben", heißt es in dem Bericht. "Während Unternehmen den Rückgang von eigenen Bodenschätzen den Gewinnen gegenüberstellen und Abschreibungen vornehmen, macht der Staat dies bisher nicht", sagt Fraktionsvize Kerstin Andreae.

Ungünstig für die Grünen ist, dass laut einer Untersuchung des Umweltbundesamtes das Umweltbewusstsein junger Menschen sinkt. Eine intakte Umwelt und die Möglichkeit, die Natur zu genießen, gehören nur für 21 Prozent der 14- bis 25-Jährigen zu einem guten Leben. Dagegen halten 43 Prozent die soziale Sicherung für vorrangig.

(mar)
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