Detlef Scheele im Interview "Wir brauchen mehr ausländische Fachkräfte"

Düsseldorf · Der Chef der Bundesagentur für Arbeit erhofft sich von der neuen Bundesregierung ein Einwanderungsgesetz gegen den Fachkräftemangel. Deutschland müsse mehr gut ausgebildete Menschen aus Nicht-EU-Staaten für sich gewinnen, sagt Detlef Scheele im Interview mit unserer Redaktion.

 Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit (Archiv).

Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit (Archiv).

Foto: Imago

Monat für Monat verkünden Sie neue Beschäftigungsrekorde. Wie lange hält der Boom noch an?

Detlef Scheele Derzeit haben wir keinerlei Anzeichen dafür, dass der Aufschwung am Arbeitsmarkt enden könnte.

Das führt aber zu Problemen. Der Fachkräftemarkt ist so gut wie leer gefegt. Probleme bei der Jobsuche haben allenfalls noch Ungelernte. Muss die BA ihren Fokus darauf noch stärker verschieben?

Scheele Ja. Wir müssen es schaffen, dass An- und Ungelernte eine ordentliche Berufsausbildung bekommen, dann haben sie deutlich bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Insgesamt sollten möglichst alle erwerbsfähigen Menschen in Deutschland eine Beschäftigung haben - neben Frauen und Älteren auch, soweit möglich, Langzeitarbeitslose. Für die Bundesagentur heißt das, wir müssen bei der Vermittlung besser werden. Wenn da eine Familie mit kleinen Kindern im Jobcenter sitzt, fragen unsere Mitarbeiter inzwischen danach, ob sie einen Kita-Platz hat. Wenn das verneint wird, unterstützen wir. Denn der Schlüssel zum Glück für diese Familien liegt auch in der Bildung ihrer Kinder.

Haben Sie schon Beispiele, wo Sie mit dieser Methode Erfolg hatten?

Scheele In Duisburg haben wir dank der Herangehensweise die Vermittlungsquote in einem Modellprojekt bei den Langzeitarbeitslosen von zwölf auf 31 Prozent erhöht. Wenn eine arbeitslose Mutter allein nicht in der Lage ist, einen Betreuungsplatz für ihr Kind zu finden, helfen wir - wenn möglich gemeinsam mit der Kommune.

Was nicht originär Ihre Aufgabe ist.

Scheele Deshalb werbe ich dafür, dass wir stärker mit der Jugendhilfe zusammenarbeiten. Wir müssen davon wegkommen, dass jeder um seinen Einfluss bangt. Wir wollen keinem Sozialleistungsträger etwas wegnehmen, aber wenn bei uns auffällt, dass bei der Kinderbetreuung was schiefläuft, müssen wir doch reagieren. Umgekehrt kann doch auch die Jugendhilfe beim Besuch in der Familie die Jobsituation ansprechen, ohne dass wir gleich auf dem Baum sind.

Allein mit inländischen Kräften werden Sie den Fachkräftemangel nicht ausgleichen können.

Scheele Das stimmt. Die wirtschaftliche Lage in vielen EU-Ländern hat sich verbessert. Deshalb nimmt das Interesse an Zuwanderung nach Deutschland ab. Bislang kommen noch etwa 200.000 EU-Bürger im Jahr zu uns, das wird aber tendenziell abnehmen. Deshalb müssen noch stärker Fachkräfte aus Staaten gewinnen, die nicht zur EU gehören.

Heißt das, die BA macht demnächst Filialen im EU-Ausland auf?

Scheele Nein, nicht im EU-Ausland. Aber wir wollen unser Engagement in den sogenannten Drittstaaten ausbauen und gründen derzeit einen eigenen Geschäftsbereich dafür. Wir müssen stärker vor Ort vertreten sein, denn unser Ziel ist es, dass Abschlüsse schon im Ausland anerkannt werden und dort auch Sprachkurse angeboten werden, etwa vom BAMF. Denn um als Arbeitsmigrant nach Deutschland kommen zu können, muss man schon hierzulande einen Job vorweisen. Klarheit würde ein echtes Einwanderungsgesetz schaffen. Das werden wir mit der neuen Bundesregierung besprechen müssen.

Wo sind Sie heute schon im Ausland aktiv?

Scheele Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung rekrutiert seit einigen Jahren zum Beispiel auf den Philippinen Pflegekräfte. Wir wollen das noch stärker ausbauen, auch in anderen Berufen und weiteren Drittstaaten. Allein um das Erwerbspersonenpotenzial bis 2030 stabil zu halten, benötigen wir etwa 300.000 zusätzliche Kräfte im Jahr.

Blicken wir zurück nach Deutschland. Immer noch gibt es die Situation, dass viele Jugendliche bei der Ausbildungsplatzsuche leer ausgehen, die Arbeitgeber aber händeringend suchen. Wie wollen Sie damit umgehen?

Scheele Wer keinen Platz bekommen hat, darf nicht in irgendwelchen Warteschlangen geparkt werden und das so-und-so-vielte Bewerbungstraining bekommen. Der Betroffene muss in die Praxis, sollte als Praktikant in einen Betrieb vermittelt werden und weiter zur Berufsschule gehen. Mit dem so genannten Klebeeffekt könnte für den jungen Menschen so am Ende ein ungeförderter Ausbildungsplatz stehen.

Das Problem ist, dass viele Jugendliche sich für nur wenige Berufsbilder interessieren - Jungen überwiegend für das des Kfz-Mechatronikers, Mädchen für das der Bürokauffrau.

Scheele Auch da sind Praktika nicht erst in der zehnten, sondern schon in der achten Klasse hilfreich. Wenn der Schüler dann feststellt, dass man als Mechatroniker gut in Mathe sein muss, er dort aber Defizite hat, dann verhindert diese frühe Praxiserfahrung einen Ausbildungsabbruch. Durch gezielte Beratung kann dann ein anderer Beruf gefunden werden.

Die Unternehmer haben in der Vergangenheit häufiger beklagt, viele Jugendliche seien nicht ausbildungsfähig. Hören Sie solche Klagen immer noch so häufig?

Scheele Diese Stimmen werden leiser. Die Unternehmen merken schon, dass sie sich mehr nach der Decke strecken müssen, um einen Wunschkandidaten zu bekommen. Vieles kann man dem Azubi doch beibringen. Rechtschreibung kann man lernen, wir können die Arbeitgeber dabei mit ausbildungsbegleitenden Hilfen unterstützen. Schwierig wird es nur, wenn es verhaltensbedingte Defizite gibt.

Schauen wir uns den Beschäftigungsrekord näher an. Handelt es sich überwiegend um Teilzeit, Werkverträge, Leiharbeit, Niedriglohnjobs oder um echte Vollzeitstellen?

Scheele Rund die Hälfte der zusätzlich entstandenen Jobs sind Vollzeitstellen, die andere Teilzeit. Die Zahl der Minijobs ist aktuell rückläufig. Die Zeitarbeit wächst tendenziell, aber sie ist inzwischen gesetzlich auf 18 Monate begrenzt. Die Entwicklung von Werkverträgen sollte die Politik aufmerksam beobachten.

Auch Befristungen werden häufig als Problem genannt. Böse gesprochen könnte man sagen: Die sachgrundlose Befristung ist nichts anderes als eine auf zwei Jahre verlängerte Probezeit, oder?

Scheele Sie benötigen ein gewisses Maß an Befristungen. Ohne befristete Stellen hätten wir als BA beispielsweise die Flüchtlingskrise gar nicht bewältigen können. Aber natürlich darf das nicht ausufern. Kettenbefristungen für junge Menschen sind furchtbar, aber auch nicht an der Tagesordnung.

Angesichts von Rekordbeschäftigung ist eine populäre Forderung der Politik, den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung zu senken. Ist Ihre Sorge groß, dass das Thema von einer Jamaika-Koalition aufgegriffen wird?

Scheele Nein. Wir sind uns mit dem Verwaltungsrat einig, dass wir 20 Milliarden Euro an Rücklagen benötigen, um eine Krise wie 2008/2009 bewältigen zu können. Diesen Betrag haben wir bisher nicht erreicht. Zu gegebener Zeit wird man sich einer Beitragssenkungsdiskussion stellen. Aber erst dann.

Wo parken Sie die Rücklagen?

Scheele Bei mehreren Banken.

Müssen Sie Negativzinsen zahlen?

Scheele In diesem Jahr erstmals in minimalem Umfang.

Die Flüchtlinge tauchen stärker in den Statistiken auf. Wie ist der Stand?

Scheele Etwa 900.000 Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus einem der Asyl-Hauptherkunftsländer beziehen Grundsicherung, knapp 300.000 davon sind allerdings Kinder. 183.000 Schutzberechtigte befinden sich in Integrations- und Sprachkursen, 189.000 sind arbeitslos gemeldet, insgesamt sind 493.000 arbeitsuchend. 167.000 Menschen aus den Asyl-Hauptherkunftsländern sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt.

Maximilian Plück führte das Interview.

(maxi)
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