Fordernde Gewerkschaften Wirtschaftsboom heizt auch den Lohnstreit an

Düsseldorf · Die Wirtschaftsaufschwung in Deutschland geht ins neunte Jahr. Das macht die Gewerkschaft IG Metall selbstbewusst. Nach dem Abbruch der Tarifverhandlungen am Samstag steht das Land vor einer Streikwelle.

 Ein Mitarbeiter der Aluminium Norf in Neuss bei einer Warnstreikversammlung der IG Metall. (Archivbild)

Ein Mitarbeiter der Aluminium Norf in Neuss bei einer Warnstreikversammlung der IG Metall. (Archivbild)

Foto: Guido Kirchner/dpa

Die deutsche Wirtschaft boomt. Die Produktion läuft auf Hochtouren, die Auftragsbücher sind voll. Der Aufschwung geht in sein neuntes Jahr. "Die deutsche Konjunktur läuft prächtig, und die Stimmung der Unternehmen ist noch besser. Nun beginnt die Hochkonjunktur ihre Kinder zu fressen", sagte Andreas Scheuerle, Volkswirt bei der Dekabank. "Engpässe bei Zulieferungen, Personal und Kapazitäten erschweren zunehmend die Produktion." Das macht die Gewerkschaften fordernder.

Am Samstag wurde die Verhandlung für die 3,9 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie abgebrochen. Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Lohn und die Einführung einer befristeten 28-Stunden-Woche bei teilweisem Lohnausgleich für Schichtarbeiter, Eltern und pflegende Angehörige.

Am Mittwoch startet sie eine große Streikwelle. Bundesweit würden Mitglieder in mehr als 250 Betrieben zu 24-Stunden-Streiks aufgerufen, kündigte IG-Metall-Chef Jörg Hofmann an. "Dass ein Tag nichts produziert wird, das tut weh und zeigt, dass die IG Metall handlungsfähig ist." Unter anderem soll es den Lastwagenbauer MAN in München treffen. Auch in Nordrhein-Westfalen will die Gewerkschaft zu ganztägigen Warnstreiks aufrufen. Welche Betriebe betroffen sind, wollte sie noch nicht sagen.

Die IG Metall hatte 24-Stunden-Streiks vor zwei Jahren als neues Druckmittel für Arbeitskämpfe beschlossen. Für diese Form von Warnstreiks sind einerseits keine aufwendigen Urabstimmungen nötig, andererseits treffen sie die Firmen bereits schmerzhaft - vor allem in der eng getakteten Autoindustrie.

Schon die kurzen Warnstreiks der vergangenen Tage führten dazu, dass bei BMW 250 Autos weniger vom Band rollen, bei Audi 700 Fahrzeuge. "24-Stunden-Streiks wären schon schmerzlich", sagte ein BMW-Sprecher. Damit könnten Tausende Fahrzeuge weniger gebaut werden.

Insgesamt werden in diesem Jahr für 9,7 Millionen Beschäftigte neue Tarifverträge verhandelt, darunter in den Branchen Chemie, Stahl, Bau sowie im öffentlichen Dienst. Dank des Booms seien drei Prozent mehr Lohn möglich, ohne dass Unternehmen zu Preiserhöhungen gezwungen seien, so die Dekabank.

Der Ifo-Geschäftsklimaindex, der auch die Erwartungen der Firmen für die Zukunft widerspiegelt, stieg im Januar auf ein Rekordhoch. Das zeigt, dass der Boom noch nicht zu Ende ist. Dies glauben auch die Anleger: Die Aktienkurse legen immer weiter zu. Vor wenigen Tagen erreichte der Dax bei 13.580 Punkten ein neues Rekordhoch.

Weltweit legt die Wirtschaft in allen Kontinenten zu. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hob seine Prognose an und rechnet mit einem Wachstum der Weltwirtschaft von 3,9 Prozent. Ursache seien der Aufschwung in Europa und die US-Steuerreform. Der IWF schätzt, dass der Boom bis 2020 anhält.

Es wächst sogar die Sorge, dass sich die Konjunktur überhitzt. Die Preise für Transportpaletten erreichten Rekordniveau. Es können zudem nicht mehr alle Anfragen bedient werden, teilte der Bundesverband für Paletten mit. Wegen des Immobilienbooms werden Handwerker knapp: Drei Monate Wartezeit sind üblich.

Bei Handwerkern liegt die Arbeitslosenquote unter drei Prozent - das ist Vollbeschäftigung. Die Preise ziehen an: 2017 lag die Inflationsrate in Deutschland bei 1,8 Prozent. Europaweit sind es 1,4 Prozent, weniger als die von der Europäischen Zentralbank angepeilten zwei Prozent. Daher wird sie ihre lockere Geldpolitik fortsetzen und den Boom weiter anheizen.

(anh)
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