Berlin Wirtschaftsweise fordern Rente mit 71

Berlin · Damit die Rente finanzierbar bleibt, soll das Renteneintrittsalter nach 2030 an die Lebenserwartung gekoppelt werden und weiter steigen, heißt es im neuen Gutachten der fünf Ökonomen. Der Regierung stellen sie kein gutes Zeugnis aus.

Mit Kritik an der Bundesregierung haben die fünf Wirtschaftsweisen schon in der Vergangenheit nie gespart, doch in diesem Jahr sind sie mit dem, was die große Koalition leistet, besonders unzufrieden. Die seit 2013 regierende dritte Koalition unter Angela Merkel habe sich auf den Erfolgen früherer Reformen ausgeruht und die rot-grüne Reformagenda 2010 sogar noch verwässert, schimpfen die Ökonomie-Professoren in ihrem gestern vorgelegten Jahresgutachten mit dem Titel "Zeit für Reformen". Die Reformbilanz der großen Koalition sei "enttäuschend", ihre Politik verfolge vor allem Umverteilungsziele.

Die Sachverständigen legen einmal jährlich im November ihr Jahresgutachten vor, in dem sie der Regierung volkswirtschaftliche Ratschläge geben. Sie sind dazu gesetzlich verpflichtet, allerdings hält sich die Regierung eher selten an deren Umsetzung. Am Ausmaß der Kritik des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung lässt sich jedoch ablesen, wie weit die Regierung von dem entfernt ist, was die Zunft der Ökonomen für richtig hält.

Haushaltsüberschüsse sollte die Regierung nach Meinung des Rats nicht ausgeben, sondern zur Schuldentilgung nutzen. Zudem sollten private Investitionen durch steuerliche Anreize für Unternehmen attraktiver gemacht werden, meint die Ratsmehrheit. Der von den Gewerkschaften entsandte Würzburger Volkswirtschaftler Peter Bofinger lehnt dies in einem Minderheitsvotum ab. Die so genannte kalte Steuerprogression solle zudem vollständig beseitigt werden, fordert der Rat.

Auch die Mietpreisbremse wollen die Ökonomen wieder abschaffen - ebenso wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz zur Förderung des Ökostroms. Auch hier ist Bofinger dagegen. Das Gesetz zur Lohngleichheit von Männern und Frauen solle verhindert werden, fordert der SVR.

In der Rentenpolitik setzt sich der Rat dafür ein, das Renteneintrittsalter ab 2030 an die steigende Lebenserwartung zu koppeln. Nach seinen Berechnungen müssten die Deutschen dann ab 2080 bis zum Alter von 71 Jahren arbeiten. Im Jahr 2060 würde ein Rentenalter von 69 erreicht. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte eine Kopplung des Rentenalters an die Lebenserwartung gefordert.

Nach geltendem Recht steigt das Renteneintrittsalter bis 2029 auf 67 Jahre. Ohne die weitere Anhebung ab dem Jahr 2030, so der Rat, würde das Rentenniveau weiter drastisch sinken oder die Rentenbeiträge würden drastisch steigen. Auch mit der Rente mit 71 Jahren ergäbe sich wegen der Alterung der Gesellschaft im Jahr 2080 laut dem Gutachten nur noch ein Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente von 42,1 Prozent des Durchschnittslohns sowie ein Beitragssatz von 23,9 Prozent eines Brutto-Monatsgehalts. Eine höhere Untergrenze für das Sicherungsniveau, etwa 45 Prozent, würde erheblich höhere Beiträge erfordern.

Ein Sprecher von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) wies die Forderungen zurück. "Dazu sind die Lebensumstände, Gesundheitszustände und die persönlichen Planungen zu unterschiedlich." Nahles gehe es mehr um eine Flexibilisierung des Rentenalters. Wer länger arbeiten könne und wolle, solle dies auch einfacher dürfen. Mitte November will Nahles ein Rentenkonzept vorlegen. Dabei will sie ein Mindest-Rentenniveau und einen Höchst-Beitragssatz für die Zeit ab 2030 vorschlagen. Ohne eine Reform würde das Rentenniveau von heute 47,9 Prozent bis 2045 auf 41,6 Prozent fallen, der Beitragssatz von 18,7 auf 23,4 Prozent steigen.

Verdi-Chef Frank Bsirske attackierte die Ökonomen scharf. "Niemand braucht eine Politikberatung, die wirtschaftstheoretisch und wirtschaftspolitisch nicht mehr auf der Höhe der Zeit ist", sagte Bsirske.

(mar)
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