Rechtschreib-Duden-Chef im Interview Den "Pomadenhengst" gibt es nicht mehr

Mannheim (rpo). Er gilt hierzulande als der "Rechtschreibpapst". Seit 1985 ist Werner Scholze-Stubenrecht stellvertretender Leiter der Duden-Redaktion in Mannheim und Chef des Rechtschreibdudens. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt.

Herr Scholze-Stubenrecht, müssen Sie auch öfter im Duden nachschlagen?

Scholze-Stubenrecht: Täglich. Vielleicht ein halbes Dutzend Mal.

Warum ist Angela Merkel eine "Herausforderin" und keine "Herausfordererin"?

Scholze-Stubenrecht: "Herausfordererin" wäre einfach umständlich zu sprechen. Es ist zwar theoretisch bildbar. Aber das doppelte "er" klingt unschön und ist nicht nötig. Ähnlich bei "Abenteuerin" - da hat sich die kürzere Form längst eingebürgert.

Ärgern Sie sich nicht ständig über das Deutsch der Werbeplakate?

Scholze-Stubenrecht: Was die Werbung macht, wird oft von Sprachpflegern als Verhunzung abgelehnt. Manchmal ist es aber einfach ein Spiel mit der Sprache - das Verstoßen gegen Regeln, um Aufmerksamkeit zu wecken. Schriftsteller machen das auch.

Am 7. Juli 1880 erschien Konrad Dudens "Vollständiges orthographisches Wörterbuch der deutschen Sprache". Vollständig?

Scholze-Stubenrecht: Ich denke nicht, dass Konrad Duden geglaubt hat, er habe alle Wörter der deutschen Sprache erfasst. Er hat sich damals sozusagen auf die Grundwörter beschränkt. Der erste Duden enthielt ungefähr 27 000 Einträge. Konrad Duden hatte aber durchaus den Anspruch, die orthographischen Probleme vollständig erfasst zu haben.

Der aktuelle "Duden" hat 125 000 Stichwörter. Wie hat sich das Buch entwickelt?

Scholze-Stubenrecht: Der erste "Duden" war ein reines Rechtschreibwörterbuch. Da finden Sie so gut wie keine Bedeutungsangaben, keine Angaben zur Herkunft oder zur Aussprache.

Wie kommt ein Wort in den "Duden"?

Scholze-Stubenrecht: Das wichtigste Kriterium ist, dass es in der Gegenwartssprache allgemein gebräuchlich ist.

Wann fliegt denn ein Wort wieder raus aus dem "Duden"?

Scholze-Stubenrecht: Das ist die schwierigste Operation, die wir durchführen müssen. Früher war ich da relativ unbekümmert. Als wir im Jahr 1980 den "Duden" bearbeitet haben, da fand ich das Wort "Lüsterweibchen" und dachte: Das gibt's doch überhaupt nicht mehr. Als der Duden dann veröffentlicht war, haben mir drei oder vier Antiquitätenhändler geschrieben, wieso denn dieses schöne Wort rausgefallen sei. Es war für ihren Beruf völlig alltäglich. Das "Lüsterweibchen" ist eine geschnitzte Frauenfigur an bestimmten Arten von Kronleuchtern und Lampen, die gesammelt werden.

Gibt es noch andere Beispiele für Wiederaufnahmen?

Scholze-Stubenrecht: Manchmal werden Wörter wieder aktuell, die fast schon in Vergessenheit geraten waren. Willy Brandt zum Beispiel hat das altertümliche Wort "Petitessen" gebraucht, im Sinne von Kleinigkeiten. Im Duden stand es damals nicht mehr und wurde wieder aufgenommen.

Was haben Sie endgültig rausgenommen?

Scholze-Stubenrecht: Gestrichen haben wir den "Pomadenhengst". Das war in den 50er Jahren eine Bezeichnung für jemand, der die Haare mit Pomade anklatscht - ein "Latin Lover", wie man heute sagen würde. Darüber hat sich bisher noch keiner beschwert. Es kommt also schon vor, dass Wörter wieder rausfallen. Aber es ist schwieriger, als neue Wörter aufzunehmen.

Ist der aktuelle "Duden" wegen der geplanten Änderungen bei der Rechtschreibreform nun schon wieder unbrauchbar?

Scholze-Stubenrecht: Nein. Für den alltäglichen Schreibgebrauch liegt das, was sich noch ändern könnte, im Promillebereich. Niemand, der sich den aktuellen "Duden" gekauft hat, muss ihn deshalb gleich wieder wegwerfen.

(afp)
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