Studentin entwickelt Produkte Was tun gegen Aufschieberitis?

Krefeld (RP). Anfangs waren ihre Professoren an der Hochschule Niederrhein skeptisch. Am Ende bewerteten sie die Bachelor-Arbeit aber mit einer glatten Eins. Anna Sommerer hat Produkte zum Thema "Prokrastination" (Aufschieberitis) entwickelt. Welche – das erklärt die 23- jährige Designerin im Interview.

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Foto: ddp

Krefeld (RP). Anfangs waren ihre Professoren an der Hochschule Niederrhein skeptisch. Am Ende bewerteten sie die Bachelor-Arbeit aber mit einer glatten Eins. Anna Sommerer hat Produkte zum Thema "Prokrastination" (Aufschieberitis) entwickelt. Welche — das erklärt die 23- jährige Designerin im Interview.

Wer sich entscheidet, seine Bachelor- Arbeit der Aufschieberitis zu widmen, leidet doch bestimmt selbst darunter. Stimmt's?

Sommerer Das kann man wohl sagen. Ich zögere Dinge immer bis zum letzten Moment hinaus. Mit dem schriftlichen Teil meiner Abschlussarbeit zum Beispiel habe ich gerade mal zwei Wochen vorm Abgabetermin begonnen.

Womit lenken Sie sich denn ab?

Sommerer Ich schaue Serien, koche, treffe Freunde. Da fällt mir eigentlich immer was ein.

Facebook?

Sommerer Oh ja, auch das finde ich sehr verlockend. Bei meinen Freunden lese ich übrigens regelmäßig die Statusmeldung "Prokrastiniere gerade". Es geht wirklich nicht nur mir so.

Sie haben Produktdesign in Krefeld studiert. Was genau beinhaltet denn Ihr Prokrastinations-Set?

Sommerer Es besteht aus mehreren Elementen. Es gibt einen Stoffbeutel, in dem sich 100 Holzstücke befinden. Darauf stehen jeweils typische Prokrastinations-Aktivitäten, "Bad putzen" oder "Shoppen" beispielsweise. Man muss machen, was auf dem Schildchen steht, das man zieht. Aber natürlich darf man auch tricksen und so lange ziehen, bis kommt, worauf man Lust hat. Außerdem gehört eine Münze zu dem Set: Auf die eine Seite eines dänischen Geldstücks habe ich einen Stift — er steht fürs Weitererarbeiten —, auf die andere eine Krone graviert. Fällt die Münze beim Werfen auf die Krone-Seite, ist man "Prokrastinationskönig" und darf sich der Ablenkung hingeben. Darüber hinaus gibt es noch zwei Würfel: Der erste gibt die Zeit an, der zweite die Tätigkeit, der man sich nach dem Würfeln widmen kann.

Was hat es mit den beiden Post-it-Blöcken auf sich?

Sommerer Die habe ich mit Messingband nebeneinander auf einem Holzbrett befestigt. Auf einen Block notiert man seine Pflichten, auf den anderen die Kür. Damit man während des Arbeitens auch die schönen Dinge nicht vergisst. Als letztes Element habe ich noch einen Kerzenhalter gebaut. Dort kann man ein handelsübliches Teelicht hineinstecken. Das brennt nämlich ziemlich genau vier Stunden lang — die optimale Arbeitszeit pro Tag. Zu Beginn der Arbeit zündet man die Kerze an, und wann immer man prokrastiniert, pustet man sie wieder aus. Das Tagesziel ist erreicht, wenn die Kerze heruntergebrannt ist.

Wie kann all das Ihren aufschieberitisgeplagten Kommilitonen helfen?

Sommerer Das Ganze ist natürlich spielerisch zu verstehen. Aber ich möchte andere Studierende ein bisschen von dem Druck befreien, denn mit dem Prokrastinieren geht ja meist ein schlechtes Gewissen einher. Und meine kleinen Erfindungen geben ihnen die Erlaubnis, einfach etwas anderes zu tun. Aufschieben muss ja nichts Schlechtes sein.

Wenn man keine Frist mehr einhält, dann schon.

Sommerer Ich will nichts verharmlosen. Es gibt natürlich Fälle, in denen Prokrastination zum ernsthaften Problem wird. Gerade Perfektionisten sind oft davon betroffen: Sie wollen etwas so hundertprozentig richtig machen, dass sie es gar nicht schaffen, überhaupt anzufangen. Untersuchungen zufolge geht diese krankhafte Form der Aufschieberitis auch oft mit Depressionen einher. Aber an Leute, die so stark darunter leiden, richtet sich mein Set ja nicht.

Sondern an die "leichteren" Fälle?

Sommerer Ich bin während meiner Recherchen auf Studien gestoßen, die ein paar positive Aspekte des Aufschiebens hervorheben. Das Forscherduo Jin Nam Choi und Angela Hsin Chun Chu zum Beispiel hat unterschiedliche Aufschieber- Typen definiert, darunter den "Aktiv Prokrastinierenden": Diese Menschen können gut unter Stress arbeiten und suchen den Zeitdruck. Sie arbeiten dann kurz vor einer Deadline extrem intensiv.

Zählen Sie sich zu dieser Sorte?

Sommerer Ja.

Wären Ihre Leistungen nicht noch besser, wenn Sie eher anfingen?

Sommerer Schwer zu sagen. Aber wenn ich an meine Bachelor-Arbeit denke, wüsste ich nicht, was ich mit mehr Zeit hätte anders machen können. Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Was passiert denn jetzt damit?

Sommerer Ich hoffe, dass sich ein Hersteller findet und das Set in Serie gehen kann.

Es wäre doch ein prima Geschenk für alle, die gerade in ihrer Abschlussarbeit stecken und sich allerlei Ablenkungen hingeben.

Sommerer Das muss ja nicht immer etwas Schlechtes sein. Ich habe schon tolle Fotos gemacht und weitere Produkte entwickelt, während eine andere Sache eigentlich dringender war.

Das klingt, als hätten Sie das Ziel aufgegeben, früh mit etwas zu beginnen.

Sommerer Habe ich auch. Ich akzeptiere jetzt, dass ich so bin, und mache mir kein schlechtes Gewissen mehr. Auch wenn's am Ende stressig wird — bis jetzt habe ich immer alles rechtzeitig geschafft.

(RP)
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