Interview mit Autorin und Sterbebegleiterin Christiane zu Salm Erschütternde Nachrufe auf das eigene Leben

Als ehrenamtliche Sterbebegleiterin hat Christiane zu Salm zahlreiche Menschen nach ihrem persönlichen Resümee befragt. Es folgten Nachrufe, die viel über das Leben erzählen – das geglückte und das weniger geglückte Leben. Ihr Buch ist ein Bestseller.

 Christiane zu Salm hat Nachrufe von Sterbenden gesammelt. Ihr Buch wurde zum Bestseller.

Christiane zu Salm hat Nachrufe von Sterbenden gesammelt. Ihr Buch wurde zum Bestseller.

Foto: Random House, Susie Kroll

Als ehrenamtliche Sterbebegleiterin hat Christiane zu Salm zahlreiche Menschen nach ihrem persönlichen Resümee befragt. Es folgten Nachrufe, die viel über das Leben erzählen — das geglückte und das weniger geglückte Leben. Ihr Buch ist ein Bestseller.

 "Dieser Mensch war ich" lautet der Titel des Bestsellers.

"Dieser Mensch war ich" lautet der Titel des Bestsellers.

Foto: Random House

Berlin Also noch ein Buch über den Tod und das Sterben? Ja, aber ein besonderes — geschrieben von Menschen, die unheilbar erkrankt waren und im Sterben lagen. Sie schauten zurück, betrachteten ohne Schonung ihr gelebtes Leben und ließen es aufzeichnen von Christiane zu Salm, 47-jährige Medienmanagerin und Sterbebegleiterin.

Ist es mehr ein Buch über das Sterben oder das Leben geworden?

Zu Salm Ganz klar: ein Buch über das Leben. Aber diesmal wird über das Leben aus der Perspektive des Endes erzählt. Dadurch entsteht eine besondere Wirkung, denn ich musste erfahren, dass die meisten erst am Ende in der Lage zu sein scheinen, mit einer ergreifenden Ehrlichkeit und Echtheit zurückzublicken.

Sind wir am Ende also mutiger und erst dann wirklich bereit, uns manche Lebenslüge einzugestehen?

Zu Salm Genau diese Kraft konnte ich in den Gesprächen spüren. Ich lernte viele Menschen kennen, die in die letzte Phase ihres Lebens eingetreten sind, also im wahren Sinne des Wortes keine "Rolle" mehr spielen. Zum einen im traurigen Sinne, dass sie nämlich in der Gesellschaft und im öffentlichen Leben nicht mehr bedeutsam sind und keine Rolle mehr spielen; und zum anderen kann es auch eine schöne Sache werden, dass man nämlich keine Rolle mehr einnehmen und kein Spiel inszenieren muss. Diese Menschen legen wie in einem Akt der Befreiung ihre Maske ab. Sie haben nichts mehr zu verlieren. Darin steckt übrigens eine Botschaft oder der Appell all der Sterbenden. Sie beklagen oft, früher nicht ihr eigenes Leben gelebt und nur die Erwartungen, die von außen an sie herangetragen wurden, erfüllt zu haben Das hilft, begreifen zu lernen, dass wir alle tatsächlich nur einmal leben. Darum lohnt es sich, an den Tod zu denken, an die letzte verbliebene Grenze des Lebens zu schauen.

Es geht also auch darum, dass wir nicht immer nur im Konjunktiv leben, in der Wunschform, und bloß hoffen, dass irgendwann schon alles anders wird.

Zu Salm Gerade in diesem Punkt richten sich die Nachrufe an die Lebenden. Was all die sterbenden Menschen erzählt haben, ist eine Art Vermächtnis, ein Geschenk an die Lebenden. Mich haben die Lebensgeschichten gerade in diesen Konjunktiven berührt: Hätte ich doch nur, wäre ich doch nur . . . Wenn man eine Botschaft aus den Berichten ziehen möchte, dann dies.

Haben manche Gespräche mitunter auch die Form von Beichten angenommen?

Zu Salm Ganz klar; eine Beichte, zu der der Mut in früheren Lebzeiten offenbar fehlte. Alleine nur durch das Aussprechen von unliebsamen Wahrheiten konnte ich Momente unglaublicher Befreiung erleben und beobachten.

Fühlten Sie sich manchmal bei diesen sehr persönlichen Berichten und Lebensbeichten auch peinlich berührt?

Zu Salm Es gab einen Moment, als eine Frau mir ihre Geschichte erzählt hat, die mich plötzlich zum Lachen brachte. Dabei hatte die Erzählung eigentlich etwas Trauriges. Und da habe ich mich sehr geschämt, bis auch die Frau zu lachen begann, mehr und lauter noch als ich. Das war ein sehr schöner Moment für uns beide; darum trägt ihre kleine Geschichte in dem Buch auch die Überschrift: Ich konnte über alles lachen.

Haben Sie auch manche Beerdigungen später besucht?

Zu Salm Ja, eine ganze Reihe. Ich haben den Menschen, die ich am Sterbebett besuchte, immer eine Kleinigkeit mitgebracht, die sie gerne mögen. Eine Frau liebte Blaubeeren. Auf ihrer Beerdigung habe ich dann auf Anregung meiner neunjährigen Tochter eine Schale Heidelbeeren mit ins Grab gegeben. Diese Verabschiedungen gehörten für mich dazu.

Haben Sie aus all den Gesprächen etwas für sich und Ihr eigenes Leben lernen können?

Zu Salm Die Gespräche haben mich eher berührt. Jede einzelne Geschichte hat mich deshalb so berührt, weil jeder Mensch eine ganz eigene Welt mit einer eigenen Dramaturgie gelebt hat und mir von dieser in einer ganz eigenen Sprache erzählte — mit all dem Versäumten und Nicht-Versäumten, dem Bereuten und Nicht-Bereuten. Da liegt es mir fern, aus dem etwas herauszupicken und zu sagen, das habe ich jetzt gelernt. Allerdings haben mich die Erzählungen natürlich dazu angeregt, über mein eigenes Leben nachzudenken.

Und hat dieses Nachdenken auch konkrete Folgen gehabt?

Zu Salm Ja. Ich habe einen Konflikt gelöst, den ich mit einer Freundin hatte. Es war das übliche: ein minimaler Anlass, und dann hat man wochenlang nicht mehr miteinander geredet. Das hat mich in den Geschichten am tiefsten berührt: dass viele Konflikte lösbar gewesen wären, wenn man überhaupt miteinander geredet hätte. Darum bin ich dann auch zu meiner Freundin gegangen und habe gesagt: Komm, lass uns reden, bevor es zu spät ist — und wir haben alles geklärt. Ich bin davon fest überzeugt: Wenn man das Ende des Lebens im Blick hat, öffnet sich die Perspektive zu einem viel bewussteren Leben. Und das kann für jeden schon morgen vorbei sein.

(RP)
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