Vermehrt Medikamente in Gewässern Psychopharmaka machen Fische mutiger

Washington · Psychopharmaka im Abwasser verändern das Verhalten von Fischen. Rückstände des Medikaments Diazepam etwa machen Flussbarsche mutiger, so dass sie sich eher aus ihren Verstecken wagen und sich von ihren Artgenossen entfernen, berichten schwedische Forscher.

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Foto: Shutterstock/Thirteen

Solche Verhaltensänderungen könnten weitreichende ökologische Folgen haben und das empfindliche Gleichgewicht im Ökosystem durcheinanderbringen. Die Forscher um Tomas Brodin von der Umeå Universität in Schweden (Umeå) hatten Flussbarsche (Perca fluviatilis) in Laborexperimenten unterschiedlichen Dosen von Diazepam ausgesetzt. Dieses dient unter anderem zur Behandlung von Angststörungen. Mit den Ausscheidungen kommen Rückstände des Medikaments ins Abwasser. Da es in Kläranlagen nicht aus dem Wasser entfernt wird, gelangt es schließlich in Flüsse und andere Gewässer. Dort sammelt es sich auch im Muskelgewebe der Fische an.

Die Forscher zeigten im im US-Fachblatt "Science" nun, dass die Fische schon bei einer geringen Versuchsdosis nach einer Woche eine Medikamenten-Konzentration im Gewebe erreichten, die auch bei Fischen im Freiland gemessen wurde. Dies blieb nicht ohne Folgen: Die Fische wurden aktiver, mutiger und gleichzeitiger weniger sozial als die Fische einer Kontrollgruppe. Sie verließen ihre Verstecke und wagten sich allein in neue, potenziell gefährliche Gegenden. Das sei für Flussbarsche ungewöhnlich, schreiben die Wissenschaftler. Normalerweise seien sie eher scheu. Sie hielten sich gerne in sicheren Verstecken auf und gingen in der Gruppe auf Beutefang. Zudem zeigte sich, dass die Fische unter Medikamenteneinwirkung schneller fraßen.

Ernste Konsequenzen befürchtet

Die Verhaltensänderungen könnten nach Meinung der Forscher ernste ökologische Konsequenzen haben. Zum einen sei denkbar, dass die Flussbarsche selbst häufiger gefressen werden, wenn sie ihre Verstecke verlassen. Zum anderen könnten die Barsche winzige Tierchen in den Flüssen schneller wegfressen. Dies könnte eine Algenblüte zur Folge haben, denn dieses sogenannte Zooplankton hält das Algenwachstum in Schach.

"Die Lösung besteht nicht darin, kranken Menschen keine Medikamente mehr zu verabreichen, sondern zu versuchen, Abwasserbehandlungsverfahren zu entwickeln, die umweltschädliche Medikamente entfernen", betonte Jerker Fick, einer der beteiligten Wissenschaftler.

Nach Angaben des Umweltbundesamts (UBA) in Dessau gelangen in Deutschland jeden Tag mehrere Tonnen Arzneimittelwirkstoffe in Gewässer und Böden. Wie sich der Arzneimittel-Cocktail auf das Verhalten von Tieren auswirke, sei aufgrund der Komplexität der nötigen Studien derzeit noch nicht gut untersucht. Besonders problematisch seien zum Beispiel Hormone wegen ihrer starken Wirksamkeit und Schmerzmittel, die in großen Mengen eingenommen würden.

Viele Arzneistoffe seien schwer abbaubar. An den Kläranlagen allein sei das Problem aber nicht in den Griff zu bekommen. Das UBA fordert, Arzneimittel schon vor der Zulassung genauer zu prüfen.
"Eine Umweltbewertung fließt derzeit nicht in die Nutzen-Risiko-Bewertung ein, die für Zulassung neuer Medikamente verpflichtend ist", sagte Gerd Maack, der sich am UBA mit der Umweltbewertung von Arzneimitteln befasst.

(dpa/felt)
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