Was Felix Baumgartners Sprung bedeutet Mondlandung der Facebook-Generation

Düsseldorf · Felix Baumgartner ist professioneller Fallschirmspringer – nur deswegen ist ihm wohl der Sprung aus 39.000 Meter Höhe geglückt. Denn Körper und Psyche wurden enorm belastet. Raumfahrtmediziner vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum bewundern die Leistung, die jedoch nur eingeschränkten wissenschaftlichen Nutzen bringt.

Es hätte alles ganz anders ausgehen können. Das ist den unzähligen Zuschauern spätestens klar, als der Extremsportler und Fallschirmspringer Felix Baumgartner wieder auf der Erde steht, die Fäuste in die Luft streckt, auf die Knie zu Boden sinkt. Denn kurz nach dem Absprung aus 39 000 Meter Höhe geriet Baumgartner ins Trudeln.

Auf den Bildschirmen war nur ein kleines Männchen zu sehen, dass sich schnell um die eigene Achse drehte. Jeder, der schon einmal in einem Fahrgeschäft auf der Kirmes gesessen hat, konnte erahnen, dass dieses Trudeln nicht gesund sein kann.

"Tatsächlich ist dies die gefährlichste Situation während des gesamten Sprungs gewesen", erklärt Martin Trammer, Raumfahrtmediziner vom Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR). Denn in dem Moment wirken starke Kräfte auf das Blut im Körper und lassen es entweder in den Kopf oder die Beine Baumgartners schießen. Die Folge: Entweder wird das Gehirn mit zu wenig Blut versorgt, was zu Bewusstlosigkeit führen kann. Oder zu viel Blut wird ins Gehirn gedrückt, wodurch Adern platzen können – auch hier wäre der Verlust des Bewusstseins die Folge.

Baumgartner selbst berichtet über diese kritische Situation, dass er wirklich das Gefühl hatte, bewusstlos zu werden. "Ich dachte aber nicht, dass ich sterbe, sondern dass ich es heute nicht schaffe, Überschall zu fliegen", sagt er anschließend. Diese Zielstrebigkeit ruft bei manch einem Unverständnis hervor, wenn man bedenkt, dass es um Leben und Tod gegangen ist. Doch gerade dieser Professionalität ist es wohl zu verdanken, dass Baumgartner den Sprung mit Bravour absolviert hat.

Kurz nachdem er ins Trudeln geraten war, stabilisierte er sich wieder – von selbst. "So etwas kann nur ein erfahrener Fallschirmspringer schaffen", sagt Mediziner Trammer. Baumgartner habe sicherlich unter enormer körperlicher und psychischer Anspannung gestanden, sagt er. Immerhin wurde der Sprung mehrfach verschoben, immer wieder bereitete sich Baumgartner auf den Start vor.

Einmal saß er sogar schon in der Raumkapsel, als die Mission in letzter Minute wegen des Wetters gecancelt wurde. "Das ist enorm belastend", sagt Trammer. Aus seiner Arbeit beim DLR weiß er um die Belastung von Raumfahrern. Er schult Astronauten und bereitet sie auf ihre Fahrten ins Weltall vor – und kennt somit die Anforderungen, die an Körper und Geist gestellt werden, wenn man sich in dieser lebensfeindlichen Umgebung, dem Weltall, aufhält.

Die Tatsache, dass es jahrelang dauerte, bis Baumgartner sich auf den Sprung vorbereitet hatte, bringt Trammer dazu, den wissenschaftlichen Nutzen des Projekts infrage zu stellen. Denn das Forschungsteam argumentiere wissenschaftlich damit, dass der Sprung den Weltraum-Tourismus verbessern könnte. Dieser Sprung sollte als Test für mögliche Rettungen von Touristen dienen, falls ein Space-Shuttle einmal Probleme haben sollte.

Doch stellt sich die Frage, wie hoch die Chancen sind, dass ein unerfahrener Amateur einen Stratosphärensprung wagt. "Der wissenschaftliche Nutzen steht jedenfalls in keinem Verhältnis zu dem Risiko, das Baumgartner damit eingegangen ist", sagt Trammer. Der ärztliche Berater Baumgartners, Jonathan Clark, meint, dass die Erkenntnisse, die die Aktion liefern, in zukünftige Ausbildungsprogramme für Astronauten übertragen werden sollen.

Keine 20 Minuten dauerte es am Ende, bis der 43-jährige Österreicher aus einer Höhe von über 39 Kilometer auf die Erde zurückgefallen war. Die Zuschauer empfanden wohl eine Erleichterung, die mit dem Gefühl zu vergleichen ist, das entstand, als Neil Armstrong am 21. Juli 1969 als erster Mensch den Mond betrat. Der Sprung war demzufolge wohl die Mondlandung der Facebook-Generation, die Baumgartners Mission live miterlebte.

Erleichterung war jedenfalls in den Gesichtern der Teammitglieder zu sehen, die Baumgartner auf den Tag vorbereitet hatten. "Letztlich ist der Erfolg nur diesem grandiosen Team zu verdanken, dass der Sprung erfolgreich gewesen ist", sagt Trammer. Die Mission soll 50 Millionen Euro gekostet haben.

Beeindruckend ist der Raumanzug, der eine künstliche Atmosphäre um Baumgartner geschaffen hat. Wäre nur der kleinste Riss entstanden, hätte der Rekordjäger kaum überlebt: "Der Körper besteht ja zu mehr als 90 Prozent aus Wasser, das im Vakuum verdampft", so Raumfahrtmediziner Trammer. Technische Probleme hatte es aber nur mit der Heizung des Helmvisiers gegeben. Diese war im ersten Anlauf nicht angegangen. Lebensgefährlich war dies nicht, denn der Salzburger saß noch in der Kapsel.

Baumgartner behielt die Nerven und sprang dann ziemlich lässig in die Tiefe. In diesem Moment hatte er bereits zwei der vier Weltrekorde gebrochen: die höchste Ballonfahrt und den höchsten Fallschirmsprung. Er selbst merkte nicht, wie schnell er tatsächlich zur Erde raste: Mit einer Geschwindigkeit von 1342 Kilometer pro Stunde durchbrach er die Schallmauer – der dritte Rekord.

Den Fallschirm zog er nach vier Minuten und 18 Sekunden freiem Fall, was aber nicht zum Weltrekord reichte. Glücklich war Baumgartner dennoch. Immerhin hat er seinen Sprung geschickt vermarktet. Bereits am 12. März 2013 erscheint sein Buch über den Rekordversuch. Es heißt: "Himmelsstürmer – Mein Leben im freien Fall".

(RP/csi/pst)
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