Deutsche Version wird 10 Das Jahr, in dem wir Facebook für besiegbar hielten

Düsseldorf · 2008 veröffentlichte Facebook eine deutschsprachige Version seines Netzwerks. Die Berichterstatter fragten: Hat es überhaupt eine Chance gegen StudiVz? Eine Zeitreise in das Mittelalter der sozialen Medien.

 Seit 2008 versteht Facebook auch Deutsch. Das zeigt dieser zehn Jahre alte Screenshot der Startseite.

Seit 2008 versteht Facebook auch Deutsch. Das zeigt dieser zehn Jahre alte Screenshot der Startseite.

Foto: Screenshot Facebook 2008 / Archive

Wir müssen diesen Mark Zuckerberg für einen Aufschneider gehalten haben. Jene unter uns, die ihn damals schon kannten, vor drei Ewigkeiten in Internetjahren. Zwei deutsche Journalisten fragten den Facebook-Erfinder im Herbst 2008, wie viel Zeit er StudiVz noch gebe. Er antwortete: "Ein bis zwei Jahre." Er sollte Recht behalten, doch vorstellen konnten wir uns das nicht. Wir alle waren doch auf StudiVz. Auch etwas anderes, das er im Interview sagte, konnten wir uns kaum vorstellen: "Vielleicht ist Privatheit in der Moderne leicht überbewertet." Auch da folgten wir ihm bald.

Als Facebook im März 2008 eine deutschsprachige Version zur Verfügung stellte, war es weltweit schon eine große Nummer, aber in Deutschland noch ein kleines Licht. Für die Übersetzung der englischen Begriffe ins Deutsche sorgte nicht etwa Facebook selbst — das übernahmen 2000 User. Im Gegensatz zu anderen Ländern nahm es hier weniger den Kampf gegen Myspace auf als gegen StudiVz, SchülerVz und MeinVz, die sozialen Netzwerke der Verlagsgruppe Holtzbrinck. Die hatten Anfang des Jahres zusammen mehr als zehn Millionen Nutzer, während Facebook in Deutschland bis zum Herbst brauchte, um eine Million zu überschreiten.

Soziale Netzwerke waren damals was für junge Leute

Noch im Januar 2008 testete ein Redakteur der Wochenzeitung "Die Zeit" das Netzwerk für mehrere Wochen, weil Facebook eben noch etwas war, das ein Medium seinen Lesern erst einmal vorstellen musste. Der Autor vermutete, dass wohl bald auch Media Markt, Siemens und Audi über kurz oder lang in Sozialen Netzwerken werben könnten. Damals hatten alle Netzwerke das Problem, noch kein Geschäftsmodell gefunden zu haben. Facebook wollte zunächst wachsen und dann übers Geldverdienen nachdenken. Wir waren noch misstrauisch, wenn jemand unsere Daten nutzte, um auf uns zugeschnittene Werbung anzuzeigen.

Die Berichterstatter hielten sich zum Deutschland-Start zurück, sowieso interessierte das Thema bloß Spezialisten. Soziale Netzwerke war damals nur was für junge Leute. Was ein Shitstorm ist, wussten die wenigsten von uns. Der Journalist von zweinull.cc äußerte am 1. März 2008 starke Zweifel, dass Facebook gegen die übermächtige Konkurrenz ankommen würde: "Ob deutsche User, von denen eine große Zahl bei studiVZ/schülerVZ (und bald meinVZ) registriert sind, deshalb jetzt sofort scharenweise bei Facebook einfallen werden, ist zumindest mit Fragezeichen zu versehen."

FAZ-Journalist Holger Schmidt griff Ende April zu dieser Überschrift: "Facebook verpatzt den Deutschland-Start". Sein Artikel erschien nicht auf der regulären Webseite der Zeitung, sondern als Blog-Beitrag. Heutzutage wäre jedes Facebook-Patzen eine weltweite Schlagzeile. Die Zahlen waren entmutigend: "Für das gesamte erste Quartal weist das Marktforschungsunternehmen Nielsen Online für Facebook lediglich 1,2 Millionen Besucher und damit 26 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum aus." Schmidt kam deshalb zu dem Ergebnis: "Die Daten sprechen somit für die These, dass es Facebook trotz seiner technischen Überlegenheit nicht gelingen wird, gegen die Netzwerkeffekte der etablierten Anbieter anzukommen." Netzwerkeffekte bedeutet, dass Leute sich für das Netzwerk entscheiden, bei dem schon ihre Freunde angemeldet sind. Genau diese Netzwerkeffekte sorgten später dafür, dass alle zu Facebook liefen — weil die Freunde es eben auch getan hatten und auf StudiVz die Strohballen durch die Geisterstädte flogen. Unter dem Artikel kommentierte der User Rentokill: "Da wird so schnell keiner hinwechseln, der myspace hat."

Facebook hatte praktisch keine Chance

Um endlich eine Chance gegen den Marktführer zu haben, versuchte es Facebook auch auf dem Gerichtsweg. Im Juli 2008 berichtete Spiegel Online darüber, dass Facebook gegen StudiVz klagt: "Deshalb sieht sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg in Europas wichtigsten Markt nun mit einem Wettbewerber konfrontiert, den er praktisch nicht mehr einholen kann. StudiVZ hatte in Deutschland laut dem Marktforscher Nielsen Online im ersten Quartal 2008 sechs Millionen Besucher. Facebook kam nur auf ein Fünftel dieser Zahl (1,2 Millionen) und lag damit noch hinter Randgruppen-Netzwerken wie Knuddels.de und Lokalisten.de." Im Dezember 2008 erklärte Spiegel Online seinen Nutzern in einer sechsteiligen Bilderstrecke aber schon mal, wie man einen Artikel auf Facebook teilt.

Praktisch nicht mehr einholen — mit dieser Prognose sollte der Autor nicht so ganz Recht behalten. Schon 2009 rückte Facebook an die Konkurrenten heran und überholte sie, weil es das einzige Netzwerk war, das überhaupt noch deutlich dazu gewann. 2012 verkaufte Holtzbrinck StudiVz & Co, weil sich damit kein Geld verdienen ließ. Im selben Jahr kaufte Facebook Instagram, weil es lieber im Besitz des Netzwerkes sein wollte, das irgendwann einmal wichtiger sein wird als Facebook. Facebook hat heute in Deutschland mehr als 30 Millionen Nutzer. Wir haben es natürlich schon immer gewusst.

(seda)
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