Verein Mimikama entlarvt Manipulationen Die Falschmeldungen der Facebook-Hetzer

Düsseldorf · Auf Facebook kursieren zunehmend gefälschte Meldungen. Viele setzen haarsträubende Unwahrheiten über Flüchtlinge in die Welt. Im Netz verbreiten sich die Lügen rasant. Viele Nutzer sind verunsichert. Längst beschäftigen die manipulierten Nachrichten auch die Polizei.

Das Bild zeigt eine Gruppe von arabisch aussehenden Männern. Einer schlägt offenbar mit einer Fahne auf einen Polizisten ein, im Hintergrund sind arabische Schriftzeichen auf einer weiteren Flagge zu sehen. Ein anderer Mann mit schwarzem Bart schreit. Zwei Polizisten stehen in der bedrohlich wirkenden Situation mindesten elf Männern gegenüber.

Innerhalb weniger Tage ist dieses Motiv schon mehrfach bei Facebook aufgetaucht. Stets mit Erläuterungen, die behaupten, dass sich IS-Kämpfer unter die Flüchtlinge gemischt haben. "Und es fängt an", heißt es unheilvoll in einem Posting. Die Bildbeschreibung: Einige IS-Kämpfer hätten sich als Flüchtlinge getarnt, seien aufgeflogen und widersetzten sich nun offen der Polizei.

Doch diese Postings sind frei erfunden.

Der Verdacht, dass sich Islamisten unter Flüchtlinge mischen, hat sich bislang als haltlos erwiesen. Nicht einen einzigen IS-Kämpfer habe man bisher unter Flüchtlingen entdeckt, bilanziert Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen noch Anfang dieser Woche im Gespräch mit unserer Redaktion.

Dennoch verbreiten sich derartige Meldungen bei Facebook. Hundertfach werde sie geteilt. So mancher Nutzer nimmt sie als bare Münze. Die fatale Folge: Je mehr Öffentlichkeit solche Meldungen bekommen, desto glaubwürdiger erscheinen sie.

Der Verein Mimikama befasst sich hauptamtlich mit Falschmeldungen im Netz. Er hat es sich zur Aufgaben gemacht, derartige Facebook-Lügen als solche zu entlarven. Drei feste Mitarbeiter recherchieren haarklein, was es mit den fragwürdigen Nachrichten auf sich hat, ihre Beiträge dokumentieren transparent die Ergebnisse und wie sie zustanden gekommen sind. Zudem kann jeder Nutzer dem Verein eine Meldung machen, wenn er auf fragwürdige Inhalte im Netz gestoßen ist.

Auch auf das Bild der Kämpfer mit der IS-Flagge wurde der Verein aufmerksam — ebenso wie unsere Redaktion. Ein Leser hatte darauf aufmerksam gemacht, dass ein Bild aus einem Bericht in völlig neuem Zusammenhang durchs Netz geisterte — und zwar als vermeintlicher Beleg für die heimliche Einwanderung islamistischer Terror-Kämpfer nach Deutschland. Ursprünglich aber stammt die Aufnahme aus einem Bericht vom 1. Mai 2012. Gemacht hat es der Fotograf Martin Kempner in Solingen, als dort Salafisten Polizisten attackierten. Rechtliche Schritte gegen den Missbrauch des Bildes hat unser Verlag bereits eingeleitet.

Die aktuellen Lügen um die IS-Flagge sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Gerade in den vergangenen Wochen sei die Zahl der auffälligen Facebook-Nachrichten stark gestiegen, berichtet Tom Wannenmacher von Mimikama. "In den letzten sieben Tagen haben wir 17 Themen rund um Asylbewerber und Flüchtlinge veröffentlicht", ergänzt sein Kollege Andre Wolf — fast sechsmal so viel wie im Mai. Entsprechend proportional seien auch die Zahl der Hinweise von Nutzern angewachsen. Nicht immer handle es sich um Fälschungen. Doch ist in seinen Augen die Verunsicherung wie das Bedürfnis nach Aufklärung stark gestiegen.

Beispiele für gefälschte Facebook-Nachrichten gibt es reichlich. Oft wird ähnlich wie bei dem Bild aus Solingen mit Fotos operiert, die in einen neuen Zusammenhang gesetzt werden. Zum Beispiel wie beim Posting, das vorgab zu dokumentieren, wie Flüchtlinge eine ganze Landschaft mit Müll überzogen. Auch in diesem Fall stammte das Bild aus einem ganz anderen Kontext, nämlich nach den Recherchen von Mimikama aus dem ungarischen Debrecen im Jahr 2012.

Facebook als Fakebook: Diese Meldungen sind frei erfunden
Foto: Screenshot Mimikama

Dasselbe funktioniert auch mit Videos. So etwa Mitte September, als ein Beitrag aus den griechischen Nachrichten mit falschen Informationen betextet und neu hochgeladen wurden. Die Annahme, dass schon keiner das im Film gesprochene Griechisch verstehen würde, bestätigte sich vermutlich. So setzte die bewusst gefälschte Meldung die Nachricht in Gang, dass ein Container voller Waffen als "Flüchtlingshilfe" deklariert worden war. In Wahrheit aber hatte die Lieferung nichts mit Flüchtlingen zu tun, sondern war an die sudanesische Polizei adressiert. Die griechische Küstenwache hatte den Frachter mit der Ladung abgefangen, wie schon etliche Tage zuvor andere Sender gemeldet hatten.

Facebook als Fakebook: Diese Meldungen sind frei erfunden
Foto: Screenshot Mimikama

Während solche plumpen Fälschungen selbst schlichteren Geistern schnell auffallen, kursieren in sozialen Netzwerken aber auch noch weitaus perfidere Ideen. Schon im Sommer erregten einige Falschmeldungen Aufsehen, die vorgaben aus den "Mainstream-Medien" zu stammen, in Wirklichkeit aber Fälschungen waren. So etwa bei dem Bild der Journalistin Ellen Häring, das sie mit Lebensmittelgutscheinen in der Hand vor einem Supermarkt zeigt. 2014 hatte sie für eine Reportage im Deutschlandradio darüber berichtet, wie schwierig sich der Einkauf mit Gutscheinen in einem Supermarkt gestalten kann.

Im August 2015 tauchte ihr Bild in leicht verändertem Kontext auf: Ihr Gesicht war verpixelt, auf Facebook lautete die Schlagzeile "Junge Flüchtlinge mit Herz, schenken ObdachlosenfDeiztsc deutschen Frau ihre Einkaufsgutscheine". Trotz der orthografischen Schwächen machte der Post Karriere im Netz und erzielte die offensichtlich gewünschte Wirkung. Bei etlichen Nutzern entstand Eindruck, Flüchtlingen in Deutschland gehe es viel zu gut, wenn sie noch nicht einmal einen Einkaufsgutschein nötig hätten.

Noch trickreicher die gefälschten Beiträge, die offenkundig dazu dienen, die mit "Pegida" in die Welt gesetzte Skepsis gegenüber der "Systempresse" zu vertiefen. So verbreiteten sich ebenfalls im Sommer 2015 mehrere Findermeldungen, die immer nach demselben Muster funktionieren: Ein Screenshot einer Nachrichtenseite zeigt einen Flüchtling, der Geld gefunden hat und es entweder seinem glücklichen deutschen Eigentümer oder einer Behörde überbringt. "Brandenburgs ehrlichster Finder", heißt es dann etwa.

Facebook als Fakebook: Diese Meldungen sind frei erfunden
Foto: Screenshot durch Mimikama

Ziel der Fälschung: Medien zu diffamieren, weil sie einseitig und übertrieben versucht, Flüchtlinge in ein gutes Licht zu setzen. Zu waschechter Propaganda entwickelt sich ein solches Vorgehen, wenn dann im Netz auch noch Meldungen auftauchen, die die gefälschte Meldung als solche entlarven und dies der Systempresse zuschreiben. "'False Flag', heißt das in der Propaganda-Forschung, wenn jemand einem Kontrahenten etwas zuschiebt, was ihn irgendwie bloßstellt oder in ein schlechtes Licht rückt", kommentiert der Kommunikationsforscher Christoph Neuberger von der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität die komplizierte Methodik. Letztlich schnitzen sich die Facebook-Hetzer ihre Lügenpresse selbst.

Soweit Mimikama das beobachtet, begann es mit den Falschmeldungen Anfang des Jahres. Anfangs zögerlich, aber mit Trend nach oben. "Mit der bewussten Suggestion einer "Lügenpresse" und der stetigen Heiligsprechung von "alternativen Medien" kamen immer mehr Falschmeldungen beziehungsweise dramatisierte Meldungen im Umlauf", bilanziert Andre Wolf. In Kombination mit der Mär der "Lügenpresse" ist somit offensichtlich eine eigentümliche Dynamik entstanden. Je mehr Zweifel an den gängigen Medien gesät waren, desto besser die Konjunktur für "alternative" Meldungen, aus welcher Quelle auch immer.

Wer dahinter steckt, ist allgemein schwer zu sagen. Doch die perfide Methodik lässt vermuten, dass es sich weniger um hohle Hetze handelt, sondern um mehr. "Initiiert wurde die Welle sehr wohl von einzelnen Propaganda-Schlüsselpositionen", sagt Andre Wolf. Zu Beginn des Jahres habe der Verein oft mit Seiten wie "Netzplanet" und "PI-News" zu tun gehabt.

Längst sind die manipulierten Nachrichten auch Thema für die Polizei. "Wir müssen das dann prüfen, bis wir sagen können: Alles erstunken und erlogen. Das bindet Arbeitskraft und Arbeitszeit. Das macht es für uns nicht leichter", zeigt sich im Interview mit dem MDR der sächsische Polizeisprecher Andreas Loepki spürbar genervt.

Für das eigene Nutzungsverhalten gibt er eine klare Ansage mit auf den Weg: "Es reicht, dass ein Depp - ich sag es mal so, denn es sind solche — irgendeine Halbwahrheit oder einen erfunden Sachverhalt postet. Wenn zwei oder drei andere das wiederum teilen, wird es wieder welche geben, die es auch teilen. So vermehrt sich das. Am Ende glauben die Leute, weil es 1000 oder 2000 andere irgendwo verlinken, dass das Gerücht wahr sein muss, weil so viele es schreiben. Nein, ist es eben nicht." Ähnlich prägnant auch die Empfehlungen von Mimikama: "Kopf an!" Man muss auch selbst ein wenig Quellenanalyse betreiben."

(pst)
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