Berlin Jüdischer Populist besiegt Kanzlerin

Berlin · "Deutsch meschugge" - Rafael Seligmann schreibt einen Roman zur Wahl.

Jesses, was da so alles los ist: Die deutsche, etwas amtsmüde gewordene Kanzlerin büßt Macht und Mehrheit ein, so dass der Weg urplötzlich frei wird für andere. Das sind fiese Rechtspopulisten aus der "Deutschen Nationalen Mehrheitspartei" (DNMP), die allerdings auf Partner angewiesen sind. Jetzt wird es noch etwas verrückter: Denn bündnisfähig werden ausgerechnet die Kommunisten der "DDR" (Deutsche Demokratische Realsozialisten), und toleriert wird dieses Machtgefüge gar von den sogenannten Bunten, die von einem gewissen Ludwig Hufnagel (mit bajuwarischen Akzent) geführt werden. Auf der nach oben offenen Absurditätsskala hätten wir dann noch dies zu bieten: Vorsitzender der Rechtspopulisten und bald darauf robust auftretender deutscher Kanzler ist ausgerechnet Paul Levite, ein Jude, dessen Familie in Auschwitz von den Nazis ermordet wurde.

Alles meschugge, oder was? Jawohl. Und genauso heißt der neue Roman von Rafael Seligmann, der sehr pünktlich zur Bundestagswahl erschienen ist: "Deutsch meschugge" ist eine groteske Was-Wäre-Wenn-Geschichte, die sich am besten als Parodie lesen lässt. Dass Seligmann - der mit seinem Romanheld Paul Levite das Geburtsjahr 1947 teilt - die Parteienlandschaft und das Machtgeschacher in seinem heimischen Berlin gut und aus der Nähe kennt, liest man auf jeder der gut 280 Seiten. Mit diesem Wissen soll das Unglaubwürdige so glaubwürdig wie nur eben erscheinen. Denn nur dadurch bekommt das Erzählte die nötige Wucht.

Doch Seligmann, auch Herausgeber der "Jewish Voice from Germany", übertreibt etwas. Weniger mit dem Gedankenspiel eines jüdischen Bundeskanzlers an der Spitze einer rechtspopulistischen Bewegung (der dafür von seinen Feinden mit Spitznamen wie "Juden-Paul", "Nazi-Jude" und "Kapo" belegt wird); dafür aber mit dem kleinteiligen Politik-Gesumse von all den Sitzungen, Abstimmungen und Taktierereien. Und vor allem mit seiner Leidenschaft rumzuwitzeln. Seligmann scheint an keiner Anekdote am Wegesrand vorbeizukommen. Das wird besonders bei Namensgebungen irgendwann dröge: die vermeintliche Merkel heißt Hedwig Kleinert - eine Naturwissenschaftlerin ohne Fantasie - und der Bundespräsident Danziger, das Haus der Deutschnationalen ist nach Ernst Jünger benannt, während der Zusammenschluss von Konservativen und Populisten in die KPD mündet - in die Konservative Deutsche Partei. Dass Levite den Deutschen am Ende heimlich, still und leise die Leviten lesen wird, ahnt man auch zeitig.

Dieses Szenario mit vielen karikierten Politikern bleibt dadurch zwar sehr munter, doch richtig bedrohlich wird es nicht. Selbst am Ende nicht, wenn nach einem schlimmen Attentat in Istanbul die Lage zwischen den Weltmächten eskaliert und ein neuer Weltkrieg kurz vor dem Ausbruch steht.

"Deutsch meschugge" tut niemandem wirklich weh. Im Umfeld der Bundestagswahl dient der Roman ganz prima zur erfrischenden Abwechslung. Die Haltbarkeit der Geschichte allerdings dürfte begrenzt sein.

(los)
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