Experten beraten im Landtag Piraten fordern Beschwerdestelle für Polizei und Bürger

Düsseldorf · Die Piraten in Nordrhein-Westfalen fordern eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle. Sie glauben, dass der einfache Bürger nur selten gegen die Polizei recht bekommt und einen Schiedsrichter braucht.

Die Piraten wollen eine unabhängige Beschwerdestelle für Bürger.

Die Piraten wollen eine unabhängige Beschwerdestelle für Bürger.

Foto: dpa, skm gfh

Wenn Bürger sich mit der Polizei anlegen, haben sie oft schlechte Karten. Glaubt man ihnen, oder gibt es bei Polizei und Justiz "eine Mauer des Schweigens"? Diesem Eindruck wollen die Piraten im Düsseldorfer Landtag entgegenwirken. Sie fordern, dass NRW als zweites Bundesland nach Rheinland-Pfalz eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle schaffen soll - für verärgerte Bürger und gleichermaßen für kritische Stimmen innerhalb der Polizei. Am Dienstag setzen sich Vertreter von Polizei, Gewerkschaft und Wissenschaft in einer Expertenanhörung im Düsseldorfer Landtag mit dem Vorschlag auseinander.

Vor Gericht recht zu bekommen, ist oft schwer - im Clinch mit Polizisten erscheint es vielen Bürgern geradezu unmöglich. "Vielfach dominieren die emotionale Furcht vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten, die Befürchtung hoher Kosten und das Gefühl einer Überforderung mit formalisierten Verfahren", stellt Michael Bäuerle von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung in seiner schriftlichen Stellungnahme an den Landtag fest.

Kölns ehemaliger Polizeidirektor Udo Behrendes glaubt, dass ein unabhängiger Polizeibeauftragter, der "für Bürger und Polizisten ohne Hemmschwelle und außerhalb des Dienstweges zugänglich wäre", das Vertrauensverhältnis zwischen beiden Seiten verbessern würde. Die Piraten sehen dafür dringenden Bedarf und führen einen - noch ungeklärten - Fall aus Herford an.

Dort soll im Juni 2014 eine Verkehrskontrolle aus dem Ruder gelaufen sein. Von fliegenden Fäusten ist die Rede, einer Pfefferspray-Attacke gegen den Autofahrer und einem nur teilweise vorgelegten Polizei-Video, das nicht die ganze Wahrheit abbilden soll. Zwei Polizisten sollen deswegen vor Gericht. Das Amtsgericht Herford hat aber noch nicht über die Eröffnung eines Hauptverfahrens entschieden.

Der Vorwurf stehe im Raum, dass die beteiligten Beamten das Vorgehen weder verhindert noch Aussagen zu augenscheinlich aggressivem Verhalten eines Kollegen gemacht hätten, stellen die Piraten in ihrem Antrag fest. "Sollten sich diese Vorwürfe als wahr herausstellen, wiegen sie sehr schwer und können den Anschein erwecken, dass sich in der nordrhein-westfälischen Polizei Duckmäusertum breitmacht."

Weitere Fälle, in denen Bürger erfolglos versucht haben, sich gegen angebliche Übergriffe von Polizisten zu wehren, haben in NRW ebenfalls für Schlagzeilen gesorgt: Ein Düsseldorfer Kommissar soll auf der Wache einen jungen Mann vergewaltigt haben. Er wird in mehreren Instanzen freigesprochen. "Man kann mit Fug und Recht sagen, dass Polizei und Justiz den Vorwurf ernst genommen haben", versicherte der Richter am Bundesgerichtshof im vergangenen Juni. Am Ende habe es jedoch Ungereimtheiten gegeben. So sei nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden worden.

Ein weiterer spektakulärer Fall: Im Sommer 2013 stürmt die Düsseldorfer Polizei eine Wohnung, weil Party-Gäste Lärm machen. Die Einsatzkräfte verschaffen sich mit einer Flex Zutritt und pusten die Feiernden mit einem Hochdruck-Wasserstrahl vom Sofa. Später kursiert ein Video von der Szene im Netz. Konsequenzen wurden nicht bekannt.

Alle vom Landtag geladenen Wissenschaftler sprechen sich dafür aus, mögliche Fronten zwischen Polizei und Bürgern durch eine unabhängige Beschwerdestelle zu befrieden. Die Gewerkschaft der Polizei und der Bund der Kriminalbeamten halten das hingegen für überflüssig.

Es gebe bereits zahlreiche Möglichkeiten, sich über Polizisten zu beschweren, argumentieren sie - etwa beim Innenministerium oder mit Petitionen beim Landtag. Zudem könnten Gerichte angerufen werden, es gebe mediale Kontrolle, und manchmal kläre gar ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss strittige Fälle - wie nun den Polizei-Einsatz in der Silvesternacht in Köln.

Rheinland-Pfalz hat seit Sommer 2014 einen unabhängigen Beauftragten für die Bürger und die Landespolizei, der sich nur gegenüber dem Landtag verantworten muss. Er nimmt neben Beschwerden von Bürgern auch Eingaben von Polizisten entgegen, die er vertraulich behandeln darf. Polizisten müssten daher keine Nachteile "als Nestbeschmutzer" befürchten, erläutert Amtsinhaber Dieter Burgard in seinem Bericht an den Landtag.

Damit hat Kölns Ex-Polizeidirektor Behrendes Erfahrung. Einst zeigte er selbst als Vorgesetzter zwei gewalttätige Kollegen an. Manche Kollegen hätten ihm deswegen Profilierungssucht unterstellt und Distanz gehalten. Manchmal sei er gefragt worden: "Müssen wir damit rechnen, dass Sie uns nach dem Einsatz anzeigen?", erzählte er später einmal im Interview. "Es war nicht immer leicht."

Einmal im Jahr berichtet der Beauftragte in Rheinland-Pfalz dem Landtag - über besondere Vorgänge unterrichtet er unverzüglich den Innenausschuss oder den Minister.

Seine Zuständigkeit hat aber Grenzen: Bei strafgerichtlichen Verfahren, gerichtlichen Bußgeldverfahren oder behördlichen Disziplinarverfahren muss er sich mit eigenen Prüfungen zurückhalten, damit es nicht zu "Ermittlungskonkurrenz" kommt. Abgeschlossene Verfahren kann er aber noch einmal aufgreifen. Die Eingaben und Beschwerden steigen stetig an - für sein zweites Amtsjahr rechnet der Beauftragte mit 100 Fällen.

Laut Expertise der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW behandelt er aber meist kommunikative Defizite, Nachlässigkeiten, Unhöflichkeit, Intoleranz oder Führungsversagen. Mehr Befugnisse habe dagegen die unabhängige Polizeibeschwerdestelle in Großbritannien und der schwedische Ombudsmann.

Deutschland habe im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine Tradition für zusätzliche Kontrollen der Polizei durch unabhängige Stellen, heißt es in einem Bericht der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung. Internationale Organisationen hätten Deutschland häufig zu einem solchen Schritt aufgefordert. Die Bundesregierung habe hingegen auf ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten verwiesen.

In Bürgerbefragungen zählen Polizisten seit Jahren zu den Berufsgruppen mit den höchsten Vertrauenswerten.

(rent/lnw)
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