Böllerverkauf in Eitorf Männer, die ins Feuer starren

Jedes Jahr vor Silvester stellen sich junge Männer eine Nacht lang in einem Gewerbegebiet hinter Köln an. Offiziell, um eine riesige Kiste Feuerwerk zu kaufen. Doch sie wollen noch etwas ganz anderes.

Böllerverkauf bei Weco in Eitorf: Schlangestehen für das große Feuerwerk
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Schlangestehen für das große Feuerwerk

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Foto: seda

Im vergangenen Jahr hatten sich Michael und seine Kumpel aus Unna viel zu spät angestellt. Um Mitternacht, sechs Stunden vor Verkaufsbeginn. Als sie an der Reihe waren, war das, was sie haben wollten, schon ausverkauft. Eine große Enttäuschung. In diesem Jahr brachten sie Planen mit und Holzlatten und einen Tisch, in dem ein Feuerkorb eingebaut war, und sie trafen 19 Stunden vor Verkaufsstart am Mittwochvormittag ein. Sie waren weit vorne, aber nicht die ersten.

Es gibt nicht viele Dinge, für die sich der Deutsche noch lange in eine Schlange stellt. Das neue iPhone vielleicht, alle paar Jahre eine Ausstellung in Berlin. Er erträgt es kaum, wenn er sein Paket bei der Post abholen muss. Im Gewerbegebiet von Eitorf, einem Städtchen südöstlich von Köln, veranstaltet der Feuerwerkshersteller Weco seit rund 15 Jahren vor Silvester einen Werksverkauf - und tausende Menschen stellen sich für ein Überraschungspaket zum Preis von 50 Euro an, das Feuerwerk für den doppelten Wert enthält. Doch weil der Hersteller nicht mehr als ein paar Tausend dieser Pakete packt, stellen sich die Leute immer früher an. Weco hat reagiert, Dixi-Toiletten aufgestellt, Mitarbeiter verteilen am frühen Morgen Kaffee und Glühwein. Leute von der Bahn passen auf, dass niemand auf die nahen Schienen läuft.

Volker und Jörg aus dem Hunsrück hätten die ersten sein können. Doch dann entschlossen sie sich zu einer Raucherpause an der Autobahn. Und deshalb waren Meik und Andi ganz vorne am Gitter, zwei 21-Jährige aus Troisdorf und Sinzig, Installateure in der Ausbildung. Um halb elf am Mittwochmorgen schlugen sie ihr Lager auf. Sie lernten schnell von Michael aus Unna und bauten mit Hilfe der Bauzäune links und rechts und einigen Planen einen Regenschutz. Sie sollten ihn immer wieder brauchen. Sie hatten eine Feuerschüssel mitgebracht, Grillgut, Shisha. Sie hatten nicht die Absicht, zu verhungern oder zu erfrieren, und waren da nicht die einzigen.

Kennzeichen aus dem ganzen Ruhrgebiet

Es gab Menschen, die brachten gleich einen Schwenkgrill mit, andere beschieden sich mit einem Gaskocher, sie errichteten Pavillons, verwandelten Tablet-PCs in Fernseher, brachten Tische, Stühle, Sonnenschirme, Kartenspiele und Bluetooth-Lautsprecher mit, aus denen harter Rap und Techno schallte. Um 20 Uhr umfasste die Schlange schon mehrere Hundert Leute, sie fing an, sich über den Firmenparkplatz zu ziehen. Dort standen Autos mit Nummernschildern aus Duisburg, Kleve, Düsseldorf, Moers, Geldern, Wuppertal, Krefeld, Gummersbach, Mainz, Dortmund und dem Hochsauerlandkreis.

Immer wieder spielte sich folgende Szene mit nur leichten Variationen ab. Jemand sah von außen durchs Gitter auf die Spitzengruppe in der Schlange. Er fragte: "Wie lange seid ihr hier?" Die Antwort quittierte er mit einem "Ihr seid ja wahnsinnig." Ein Mitarbeiter von Weco sagte zu Meik: "Dir gehört doch einer mit dem Knüppel gezogen."

Die Frau vom Radio würde später fragen, als sie längst das Lager abgebaut hatten, weil der Verkauf bald losgehen sollte: "Was macht das so phänomenal gut?" Die einfachste Antwort wäre: Das Feuerwerk und das Geld, das man damit spart, macht es so phänomenal gut. Das ist bloß ein Teil der Antwort und nicht einmal der größte. Wer sich nicht fürs Feuerwerk begeistert, der stellt sich hier nicht an.

Männer aus Unna wollen 12 Stunden böllern

Die Jungs aus Unna, Männer im Alter zwischen 34 und 39 Jahren, werden am Silvesterabend um 18 Uhr anfangen zu böllern und zwölf Stunden später aufhören. Michael hatte seine Nachbarschaft bereits vor einigen Tagen per Brief vor dem Lärm gewarnt. Mit der Folge, dass die Nachbarn es verhindern wollten - erfolglos. Sie werden an diesem Abend nicht feiern, sie werden böllern. Auch wenn sie wissen, dass die Freundinnen lieber mit ihnen Bleigießen würden. Andere in der Schlange zeigten einem auf ihrem Handy ungefragt ein Foto, auf dem zu sehen war, dass eine alte Heizung eine Abschussvorrichtung für Raketen sein kann.

Doch man muss sich diese Warteschlange unbedingt auch als einen Ort der Männlichkeit vorstellen. Das Feuer. Das Bier. Die Kapuzenpullis. Die Arbeitsjacken von Strauss. Das Fleisch. Der Rap. Ab und zu stand eine Frau zwischen Kfz-Mechanikern, Holzverarbeitern, Elektrikern, Lageristen, Gärtnern, Nerds, aber die betonte nur, wie hoch der Anteil von Männern zwischen 18 und 40 war. Es war aber trotzdem kein Ort der Rücksichtslosigkeit. Männer reisten in Gruppen an und starrten gemeinsam ins Feuer.

Fürze wurden nicht verheimlicht, sondern angekündigt

Sie rühmten sich dafür, die feuerfesten Schuhe angezogen zu haben. Sie zeigten auf dem Handy ihre Fotos vom 24-Stunden-Rennen am Nürburgring, sie redeten über den Funkempfang bei der Freiwilligen Feuerwehr, sie erzählten die Geschichte von dem Lautsprecher, der in Flammen aufging, weil Steakfett darauf spritzte. Sie redeten über Freundschaft Plus und davon, wie die Freundin Schluss gemacht hatte und sie ihre Klamotten direkt zur Mutter der Nun-Ex gebracht hatten, denn es war ja Schluss. Sie machten Witze zum Thema Latten. Fürze wurden nicht verheimlicht, sondern angekündigt.

Als in der Spitzengruppe jemand seine Schadenfreude darüber ausdrückte, dass die Leute weiter hinten noch anstehen würden, während er schon unter der Dusche stand, sagte ein anderer, dass er ohne Dusche ins Bett ginge. Es war der Ort, an dem erwachsene Männer wieder ungestört Jungs sein konnten, es war die Nacht der Männerfreundschaften. Meik und Andi kannten sich seit ihrer Geburt, die Jungs aus Unna waren schon als Jugendliche zusammen Böllern gegangen. "Letztes Jahr habe ich mir geschworen: Nie wieder", sagte einer zu ihnen durch den Bauzaun. "Jetzt bin ich wieder hier."

Das alles verschwand eine Stunde vor Verkaufsstart. Weil die Schlange so lang geworden war, dass sie erst weit außerhalb des Firmengeländes endete, sollten alle ihre Feuer löschen und das Lager abbauen und aufrücken. Dann standen sie dicht an dicht, dann kam das Fernsehen und filmte Männer, die in Schlangen standen, die kurz zuvor noch Männer waren, die ins Feuer starrten. Jetzt packten sich alle ein. Meik und Andi waren die ersten, die um 6 Uhr die riesigen Pakete auf die Sackkarren wuchteten. Jeder durfte nur drei Stück mitnehmen. Dann zogen sie die Beute zu ihrem Hänger. Meik hatte sich da schon überlegt, im nächsten Jahr ein paar mehr Löcher in den Boden der Feuerschüssel zu bohren.

(seda)
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