Serie Düsseldorfer Geschichten Die doppelte Bücherverbrennung

Düsseldorf · Zwei Mal in der jüngeren Geschichte der Stadt stand die Düsseldorfer Jugend um einen Scheiterhaufen und verbrannte Schriften als Schund: 1965 und 1933. Die Verbrennung in der Nazizeit jährt sich Mittwoch zum 85. Mal.

 Von der Bücherverbrennung am 11. April 1933 existieren keine Bilder. Einen Eindruck vermittelt dieses Foto, das am 28. Mai 1933 in einer Sonderbeilage der "Düsseldorfer Nachrichten" erschien. Es zeigt die Verbrennung von Fahnen und Bildern vornehmlich von unerwünschten Parteien auf dem Marktplatz.

Von der Bücherverbrennung am 11. April 1933 existieren keine Bilder. Einen Eindruck vermittelt dieses Foto, das am 28. Mai 1933 in einer Sonderbeilage der "Düsseldorfer Nachrichten" erschien. Es zeigt die Verbrennung von Fahnen und Bildern vornehmlich von unerwünschten Parteien auf dem Marktplatz.

Foto: Stadtarchiv Düsseldorf

Sie hatten alles sorgsam vorbereitet. Ein jeder war zu Hause an den Bücherschrank getreten, hatte vielleicht auch unter der eigenen Matratze geschaut und sich selbst geprüft: Was erregt mich? Was fühlt sich verboten an? Was ist Schund?

Mit Büchern, Groschenromanen, Bravo-Heften und dem einen oder anderen Sex-Magazin trafen sie sich am Nachmittag des 3. Oktober 1965, einem Sonntag, an der Oberkasseler Brücke: 30 junge Erwachsene zwischen 16 und 25 und zwei Diakonissen. Sich auf dem Carlsplatz zu versammeln hatte das Ordnungsamt untersagt, aus Sicherheitsgründen. Aber für ein Feuer auf den Rheinwiesen hatten sie eine Genehmigung.

Das Ziel der Christen: sich selbst und die Umwelt rein halten

Jemand hatte eine Gitarre dabei. Alle sangen fromme Lieder. Schwester Brigitte warf noch schnell einen Blick auf das gesammelte Material. Bei einigen Büchern hatte sie zwar Bedenken, aber im Großen und Ganzen stand sie hinter der Aktion, die ihre ältere Kollegin Schwester Christa, die eigentliche Leiterin dieser Jugendgruppe des "Bundes Entschiedener Christen", vor vier Wochen mit den Jugendlichen abgesprochen hatte.

Bei der Bibellesung war es um die Aufgabe des Menschen gegangen, sich selber und seine Umwelt rein zu halten. Die jungen Leute hätten sofort Konsequenzen ziehen wollen, berichtet Schwester Brigitte später einem Reporter der NRZ. "Einer schlug schließlich vor, jeder solle die Schriften mitbringen, die eine schlechte Wirkung auf ihn ausgeübt haben. Um ein Bekenntnis gegen das Böse abzulegen, sollten sie öffentlich verbrannt werden." Keine Sekunde lang sei ihr der Gedanke gekommen, man tue es den Nazis gleich, beteuerte Schwester Brigitte. "Wir wollten doch etwas ganz anderes - das Gute!"

"Was soll damit geschehen?" - "Ins Feuer!"

Das Gute. Das Wahre. Das Schöne. Das Saubere. Das Unverdorbene. Das Deutsche. Das wollten auch die Hitlerjungen, die sich gemeinsam mit der Jungmannschaft des "Deutschnationalen Handlungshilfe Verbands" und Mitgliedern der evangelischen Jugendbünde am 11. April 1933 um einen Scheiterhaufen versammelten.

1000 Teilnehmer zählte der Reporter des Nazi-Blatts "Volksparole", und dazu "Zuschauer zu vielen Tausenden". Sie standen "in den Anlagen und auf den Rampen und dem Rundgang des Planetariums" - dort, wo heute die Tonhalle steht.

 Dieser Aufruf erschien am 10. April 1933 in der NS-Zeitung "Volksparole". Nur einen Abend später folgten ihm hunderte Menschen.

Dieser Aufruf erschien am 10. April 1933 in der NS-Zeitung "Volksparole". Nur einen Abend später folgten ihm hunderte Menschen.

Foto: hpaw

Der Bannführer der Hitlerjugend hielt eine Rede: Die Jugend sei jahrelang geknebelt gewesen und sei "mit viel Schmutz und Schund in Schule und Hause überschüttet" worden. In der neuen Zeit dagegen könne die Jugend aufatmen "und zu ihrem Teil an der Erneuerung des deutschen Volkslebens helfen".

Mit Fackeln wurde der Scheiterhaufen angesteckt. Dann trat der Führer des "Deutschnationalen Handlungshilfe Verbands" vor, der Gaujugendführer Gottfried Boie, auch er ein Düsseldorfer. Er rief die Titel der Werke und ihre Autoren auf und "öffnete nicht nur der Jugend, sondern auch manch einem Erwachsenen die Augen für ein durch und durch dekadentes, undeutsches und zersetzendes Schrifttum", heißt es in der "Volksparole". Jedes Mal fragte er: "Was soll damit geschehen?" - "Ins Feuer!", schrien die Anwesenden. Dort landeten "Sergeant Grischa" von Arnold Zweig, "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque und "Jud Süß" von Lion Feuchtwanger, neben vielen anderen Werken.

Presse, Theater, Kunst - alles wurde gleichgeschaltet

Die Bücherverbrennung im Frühjahr 1933 war der vorläufige Höhepunkt einer hochaufgeladenen Zeit. Die Begeisterung der Düsseldorfer für den Nationalsozialismus war zunächst nur schleppend in Gang gekommen. Doch das änderte sich spätestens 1930, als die Folgen der schlechten Wirtschaftslage auch die Stadt am Rhein erreichten. Oberhaupt der lokalen Nationalsozialisten wurde zu dieser Zeit Friedrich-Karl Florian, ein gebürtiger Essener mit ostpreußischen Wurzeln, der im Ersten Weltkrieg an der Westfront gedient hatte und in den 20er Jahren Nationalsozialist geworden war.

Gauleiter Florian wusste, wie wichtig es war, das Geistesleben der Menschen unter Kontrolle zu bringen. Er gründete die "Volksparole", die zunächst wöchentlich, dann täglich erschien - "ein Kampforgan von außerordentlicher Schlagkraft", wie es in einem biografischen Abriss über den Gauleiter aus der NS-Zeit unverblümt heißt.

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Mit diesem Organ nahm Florian den Kampf gegen die anderen Düsseldorfer Blätter auf, die teils ideologisch gleichgeschaltet, teils durch Repressalien bedeutungslos gemacht, teils aufgekauft und teils schlicht verboten wurden. Im Herbst 1933 hatte die "Volksparole" eine Auflage von 130.000. Sie verlegte ihre Geschäftsräume an die Königsallee. "Heute", heißt es in dem biografischen Aufsatz über Florian, "ist er der unumstrittene Beherrscher der Presse seines Gebiets, wegweisend für andere Gaue der NSDAP."

Die Gleichschaltung erfasste auch andere Bereiche des Geisteslebens. Die Kunstakademie entließ zahlreiche Professoren und Lehrer. Die Städtischen Bühnen bekamen einen NS-Chefdramaturgen. Die Stadt verabschiedete das Budget für Oper und Theater nur unter der Bedingung, dass jüdische oder politisch unbeugsame Künstler nicht weiterbeschäftigt wurden. Gleichzeitig tobten auf der Straße Schlachten zwischen Nazis und Kommunisten, kam es zu Morden, Verhaftungen, Aufmärschen, Überfällen, Folterungen.

Düsseldorf sollte zur "Schlageter-Stadt" werden

Währenddessen dachte Gauleiter Florian darüber nach, wie er Düsseldorf im Dritten Reich positionieren könnte. Es war das alte Problem: Der Stadt fehlte nach außen hin das Profil. Berlin war Reichshauptstadt, München "Hauptstadt der Bewegung", Nürnberg "Stadt der Reichsparteitage". Und Köln hatte wie immer den Dom. Straffe Führung und unumstrittene Beherrschung der Presse im Gau waren nicht genug, um die Stadt überregional bekannt zu machen. Das wurmte den Gauleiter.

Florian setzte auf ein altbewährtes Mittel: den Personenkult. Er wollte Düsseldorf zur Schlageter-Stadt machen.

Albert Leo Schlageter war vom gleichen Jahrgang wie Florian, geboren 1894 im Schwarzwald. Wie Florian war er an der Westfront gewesen, war danach einem Freikorps beigetreten und schließlich als paramilitärischer Saboteur von den französischen Besatzern des Ruhrgebiets wegen Spionage und Sabotage zum Tode verurteilt worden. Er hatte mehrere Sprengstoffanschläge verübt. Am 26. Mai wurde er auf der Golzheimer Heide durch Erschießung hingerichtet.

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Die Nationalsozialisten machten ihn zum Märtyrer. Es entstand ein wahrer Schlageter-Kult - und Düsseldorf sollte die Hauptstadt dieses Kults werden. Die Westseite der Königsallee wurde in "Leo-Schlageter-Allee" umbenannt. Auf dem Spielplan der Städtischen Bühnen stand ein Stück, dessen Titelheld er war. Und in Derendorf, 50 Meter vom Ort der Hinrichtung, entstand ein monumentales Schlageter-Denkmal mit einem 27 Meter hohen Stahlkreuz. Für den 26. Mai 1933, den zehnten Todestag des Volkshelden, war ein riesiges Spektakel geplant: Die HJ Düsseldorf sollte 300.000 Gäste zur Gedenkfeier empfangen. "Das mag für ein besonderes Fieber gesorgt haben", sagt Bastian Fleermann, der Leiter der Düsseldorfer Mahn- und Gedenkstätte.

Die Düsseldorfer verbrannten auch "ihren" Heine

Vielleicht war es dieses Fieber, was die Düsseldorfer Nationalsozialisten dazu brachte, eine der ersten Bücherverbrennungen des Reiches abzuhalten. Nur Kaiserslautern und Wuppertal waren als Städte ähnlicher Größenordnung früher dran. Erst einen Monat später sollte in einer konzertierten Aktion der Rest des Reichs folgen.

Für die Aktion hatten die Düsseldorfer Nationalsozialisten sich einen besonderen Ort ausgesucht. Denn auf dem Platz vor dem Planetarium hatte bis zum März noch ein Denkmal gestanden, das den Nazis verhasst war: das Ehrenmal für das Niederrheinische Füsilier-Regiment Nummer 39, entworfen vom Düsseldorfer Künstler Jupp Rübsam. Heute steht der Rest dieses Denkmals wieder in der Nähe der Tonhalle. Das Original, das 1928 eingeweiht worden war, fanden konservativ-nationalistische Kreise entsetzlich. Sie störte die Darstellung, bei der zwei Soldaten nebeneinander auf dem Bauch lagen wie Sphinxe, die Hand des einen tröstend auf der des anderen. "Letztlich war es in der Interpretation zu komplex für die Nationalsozialisten", sagt Bastian Fleermann. Sie konnten es kaum erwarten, sich des Denkmals zu entledigen. Es hatte eine besondere Symbolik, genau hier die Bücherverbrennung abzuhalten.

Die Nazis hassten das 39er-Ehrenmal (hier 1928 fotografiert). Kurz nach seiner Entfernung fand an dieser Stelle die Bücherverbrennung statt.

Die Nazis hassten das 39er-Ehrenmal (hier 1928 fotografiert). Kurz nach seiner Entfernung fand an dieser Stelle die Bücherverbrennung statt.

Foto: Stadtarchiv

Noch eine weitere Düsseldorfer Besonderheit gab es: Mindestens ein Werk Heinrich Heines, sein dritter Gedichtband "Romanzero", wurde auf den Scheiterhaufen geworfen. Ein ungewöhnlicher Vorstoß der Düsseldorfer Akteure, schreibt der Historiker Georg Arnold. "Während der Zeit des nationalsozialistischen Regimes wurde Heine in der Regel 'totgeschwiegen' und nicht verbrannt." So habe es vom berühmten "Loreley Lied" einfach geheißen, der Dichter sei unbekannt. Auch bei späteren Bücherverbrennungen sei Heine - obgleich Jude - verschont worden.

"Die Stadt und der Dichter hatten immer schon ein besonderes Verhältnis", bemerkt dazu Gedenkstätten-Leiter Fleermann. "Es ist hochgradig mit Bedeutung aufgeladen, dass Heines Werke nur ein paar Schritte nördlich seines Geburtshauses als Schund verbrannt wurden." Das im Zusammenhang mit den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten oft genannte Zitat des Dichtes - "Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen" - komme einem immer wieder in den Sinn: "Man kann die Bücherverbrennung nicht denken, ohne die Bilder aus Auschwitz vor Augen zu haben."

Für den Historiker Fleermann ist eine Bücherverbrennung ein absurder, anachronistischer Akt: "Die Gedanken verschwinden ja nicht mit den Gegenständen." Die Namen der NS-Autoren kenne fast niemand mehr. "Doch die Werke, die verbrannt wurden, sind heute moderne Klassiker."

Peinlich für Düsseldorf: erst Bücherverbrennung, dann Kästner-Lesung

Moderne Klassiker wie die Bücher von Erich Kästner. 1965 wurde der 68-jährige Autor zu einer Lesung in die Landeshauptstadt eingeladen. Doch sein Besuch geriet für Düsseldorf zur großen Peinlichkeit. Auch Kästner hatte nämlich in der Presse gelesen, dass übereifrige Christen in den Rheinwiesen nur wenige Tage zuvor Bücher verbrannt hatten. Und zwar unter anderem seine Bücher: den Gedichtband "Herz auf Taille" von 1928, zusammen mit Werken von Günther Grass, Vladimir Nabokov, Albert Camus und Francoise Sagan.

Kästners Freunde Kay und Lore Lorentz vom Kabarett Kom(m)ödchen vermittelten ein Treffen mit Oberbürgermeister Willi Becker von der SPD. Er komme "sozusagen Auskunft heischend, wie so etwas geschehen konnte", sagte Kästner einem Reporter. Er wurde enttäuscht. Becker bezeichnete die Aktion schlicht als "Dummerjungenstreich" - und scheute sich nicht, Kästner anschließend um einen Eintrag ins Goldene Buch der Stadt zu bitten.

"Das gibt mindestens ein Jahr Stoff für alle Kabaretts gegen Düsseldorf", seufzte Kay Lorentz anschließend. Und Kästner sagte resigniert: "Niemand sagt, dass der Vorgang eine Schweinerei gewesen sei, dass man rückblickend die Genehmigung nie gegeben hätte und dass man in Zukunft besser aufpassen werde." Am Abend las er aus seinem Tagebuch - und Ausschnitte aus einer Rede, die er am 10. Mai 1958 in Hamburg gehalten hatte. Der Anlass: der 25. Jahrestag der NS-Bücherverbrennung. "Ich habe Gefährlicheres erlebt, Tödlicheres", heißt es darin, "aber nicht Gemeineres."

(hpaw)
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