Mutter des toten Elias aus Düsseldorf "Ich will nur, dass die Ärzte ihre Fehler zugeben"

Düsseldorf · Am Mittwoch hat die Staatsanwaltschaft Düsseldorf den siebenjährigen Elias Mohammad H. obduzieren lassen, der unter ungeklärten Umständen im Krankenhaus starb. Seine Mutter glaubt, dass die Ärzte am Tod ihres Sohnes schuld sind.

Zwei Fotos von Elias Mohammad stehen im Wohnzimmer seiner Mutter. Er starb im Alter von sieben Jahren am zweiten Weihnachtsfeiertag. Die Mutter wollte, dass die Bilder hier zu sehen sind.

Zwei Fotos von Elias Mohammad stehen im Wohnzimmer seiner Mutter. Er starb im Alter von sieben Jahren am zweiten Weihnachtsfeiertag. Die Mutter wollte, dass die Bilder hier zu sehen sind.

Foto: Helene Pawlitzki

Die dunkelroten und weißen Vorhänge in Bilgis H.s Wohnzimmer sind zugezogen, die Deckenlampe aus. Im Dämmerlicht sitzt die 41-Jährige in eine Decke gehüllt mit angezogenen Beinen auf ihrem dunkelblauen Ledersofa. Übers Haar hat die Frau, die sonst kein Kopftuch trägt, ein graugemustertes Tuch gelegt. Denn die gebürtige Afghanin trauert um ihren Sohn. Vierzig Tage dauert diese Trauerzeit bei den Muslimen. Solange wird sie das Tuch über ihrem Haar tragen.

Der kleine Mohammad wollte Soldat für Deutschland werden

"Mohammad war mein bester Freund", sagt sie. Sie liebe alle ihre Kinder - aber Mohammad sei etwas ganz Besonderes gewesen. Ein fröhlicher, schlauer Junge. Neugierig, redselig. Gut in Mathe. Beliebt in der Schule. Er habe sie immer auf Englisch und Französisch begrüßt, weil er schnell Fremdsprachen aufgeschnappt habe, erzählt sie.

"Ich will Soldat werden!", habe er zu ihr gesagt, nachdem er den Krieg in Syrien im Fernsehen sah. "Warum denn? Du bist hier in Deutschland", habe sie geantwortet. "Hier ist es doch ruhig!" Antwort: "Ich will Soldat für Deutschland werden. Ich will Deutschland beschützen!" Fasziniert sprach er Polizisten auf der Straße an, fragte sie nach ihrem Beruf und ihrer Dienstwaffe. Er sei aber auch ein friedlicher Junge gewesen. "Muslime dürfen keine anderen Menschen schlagen", habe er einmal einem Freund erklärt.

Obduktion ergab bisher keine eindeutige Todesursache

Anlass genug für die Staatsanwaltschaft Düsseldorf, ein Todesermittlungsverfahren von Amts wegen einzuleiten. Am Mittwoch wurde Mohammads Körper exhumiert und obduziert. Die Rechtsmedizinerin habe jedoch zunächst keine eindeutige Todesursache finden können, sagte die zuständige Staatsanwältin am Mittwochabend auf Anfrage unserer Redaktion. Nun folgen toxikologische und feingewebliche Untersuchungen. Außerdem hat die Staatsanwaltschaft alle Krankenakten beschlagnahmt.

Bis zu deren Auswertung kennt die Öffentlichkeit nur Bilgis H.s Schilderung der Ereignisse. Ihrer Beschreibung nach war sie seit dem 7. Dezember immer wieder mit Mohammad beim Kinderarzt, weil er schlecht Luft bekam. Kurz vor Weihnachten sei dann hohes Fieber hinzugekommen.

Der Kinderarzt habe ihr geraten, mit dem Kind ins Krankenhaus zu gehen. Sie sei am 22. Dezember nach Rücksprache mit dem Evangelischen Krankenhaus (EVK) zum ersten Mal in die Notfallpraxis gegangen, die sich zwar im gleichen Gebäude befindet, aber organisatorisch nicht zum EVK gehört. Dort sei ein Virus diagnostiziert und sie nach Hause geschickt worden. Am 25. Dezember sei sie ein zweites Mal dort gewesen, sagt die Mutter. Wieder habe es keine Blutuntersuchung und kein Röntgenbild gegeben. Der Arzt habe ihr ein Rezept für Paracetamol und Ibuprofen ausgestellt. Als sie nicht habe gehen wollen, habe er einfach die Tür geöffnet und die nächsten Patienten ins Behandlungszimmer gerufen.

Am 26. Dezember schließlich ging Bilgis H. mit ihrem Sohn ins Evangelische Krankenhaus. Mohammed habe normal mit der Schwester geredet und noch selbst gehen können, sagt sie. Nach zwei Stunden sei er untersucht worden - und wegen schlechter Blutwerte habe es geheißen: sofort operieren! Offenbar gingen die Ärzte davon aus, dass der Junge einen verdrehten Magen oder Darm hatte.

Nach der ersten Operation habe eine Schwester ihr gratuliert, weil ihr Sohn wohlauf sei. Dann aber sei er sofort noch einmal operiert worden. Nach dieser zweiten OP habe man ihr gesagt, die Überlebenschancen seien nun sehr schlecht. Elias Mohammad müsste sofort in die Uni-Klinik - wohin er mit noch offener Bauchdecke gebracht worden sei. Dort brach sein Kreislauf zusammen. Er starb trotz langer Reanimationsversuche.

Das EVK schildert die Vorgänge am 26. Dezember anders: Der Junge sei an diesem Tag im kritischen Zustand und als Notfall dorthin gekommen. "Um 8.30 Uhr rief die Mutter bei uns an und wir haben sie sofort aufgefordert, umgehend in unsere Kinderklinik zu kommen." Die erste Stellungnahme des Evangelischen Krankenhauses vom 2. Januar finden Sie hier.

"Was hatte mein Sohn?"

Quälend für Bilgis H. ist nicht nur, dass sie ihren Sohn verloren hat - sondern auch, dass sie nicht versteht, wie das passieren konnte. Es gehe ihr nicht darum, dass die Ärzte ins Gefängnis kämen, sagt sie. "Die haben bestimmt auch Kinder." Sie wolle nur, dass sie ihre Fehler zugäben, "der Kinderarzt, die von der Notfallpraxis, die vom EVK."

Als der Anwalt anruft, fängt sie an zu weinen. Er fragt, wann Mohammad nach der Obduktion bestattet werden soll - zum zweiten Mal; am Donnerstag oder am Freitag? Eine Weile kann sie nicht mehr sprechen.

Besonders entsetzt hat Bilgis H., dass eine Düsseldorfer Boulevard-Zeitung behauptet hat, sie gehöre der Salafisten-Szene an - ohne das zu begründen. Sie sei Muslima, aber nicht sehr religiös, und mit Salafisten habe sie jedenfalls wissentlich nichts zu tun, sagt sie. Auf ihrem Facebook-Profil findet sich tatsächlich die ein oder andere Koransure, aber ansonsten eher gemäßigte Inhalte, die radikal-konservative Muslime wahrscheinlich gar nicht dulden würden.

Sie habe das Vertrauen in die Menschen verloren, sagt Bilgis H. "Ich habe immer versucht, nett mit den Ärzten zu sprechen. Hätte ich mich doch nur durchgesetzt!" Der einzige, auf den sie nun noch vertrauen könne, sei Gott. "Mohammad wartet im Paradies auf mich", glaubt sie. Er sei immer ihr Engel gewesen. Zwei Fotos von ihm stehen nun gerahmt im Wohnzimmer. Bevor sie das zweite wieder auf den Tisch stellt, küsst sie es.

Hinweis der Redaktion: Wir haben den Artikel nachträglich um einen Hinweis auf die Stellungnahme des EVK vom 2. Januar ergänzt.

(hpaw)
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