Kölner Raser-Prozess "Was als Reue rüberkommen sollte, war Selbstmitleid"

Drei Jahre nach dem illegalen Autorennen auf dem Kölner Auenweg, bei dem eine 19-jährige Radfahrerin ums Leben gekommen war, müssen die beiden jungen Raser nun doch noch ins Gefängnis.

 Die Angeklagten vor Gericht. (Archiv)

Die Angeklagten vor Gericht. (Archiv)

Foto: dpa, obe exa

Keine Bewährung für die Kölner Raser: Im Revisionsprozess wegen eines tödlichen Autorennens hat das Landgericht Köln am Donnerstag die umstrittene Aussetzung der bereits verhängten Strafen zur Bewährung aufgehoben. Beide müssen jetzt in Haft.

Ein letztes Mal gehen Erkan F. und Firat M. am Donnerstagnachmittag den Weg über den langen Gang des Kölner Landgerichts bis zum Saal 13. Die Krägen ihrer Jacken haben sie hochgezogen, die Blicke nach unten gerichtet, sie gehen schnell, vorbei an den Dutzenden Menschen, die den sogenannten Raser-Prozess als Zuschauer verfolgen wollen.

Wenige Minuten später verkündet der Vorsitzende Richter der 3. Großen Strafkammer das Urteil im Revisionsprozess: Diesmal müssen die 24 und 25 Jahre alten Angeklagten in Haft. "Für uns steht ohne Zweifel fest, dass die Strafen nicht zur Bewährung ausgesetzt werden können", sagt der Vorsitzende. Es lägen keine "besonderen Gründe" vor, die Bewährungsstrafen rechtfertigen würden.

Der heute 25 Jahre alte Erkan F. war von einer anderen Kammer wegen fahrlässiger Tötung der 19 Jahre alten Miriam S. im April 2016 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe, Firat M. (24) zu einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Nun müssen sie diese Strafen absitzen. Die beiden hatten sich im April 2015 auf dem Kölner Auenweg ein Rennen geliefert, Erkan F. hatte die Kontrolle über seinen BMW verloren und die Radfahrerin erfasst. Sie starb drei Tage später. Der Bundesgerichtshof hatte den Fall an das Kölner Landgericht zurückgewiesen, da nach Auffassung der Richter bei der ersten Verurteilung unter anderem nicht berücksichtigt worden war, wie sich die Bewährungsstrafen auf das "allgemeine Rechtsempfinden der Bevölkerung" auswirken würden.

Reue oder Selbstmiltleid

Im neu aufgerollten Prozess hatte vor allem Firat M., der damals mit dem hochmotorisierten Mercedes seines Vaters unterwegs war, eine denkbar schlechte Figur abgegeben. "Was als Reue rüberkommen sollte, war eher Selbstmitleid", sagt der Vorsitzende. So hatte die Mutter des Angeklagten im Zeugenstand etwa darüber geklagt, dass ihr Sohn so viel Gewicht verloren habe. Er selbst hatte den tödlichen Unfall bei einer Therapeutin heruntergespielt und sich beklagt, er sei als "Totraser" und "Raudi Nummer 1" stigmatisiert. Der Staatsanwalt hatte am Vormittag in seinem Plädoyer gesagt, Firat M. hätte sich mit seinem Verhalten nach der Tat, aber auch im Prozess "selbst disqualifiziert", sich nie wirklich von schnellen Autos distanziert, obwohl er behauptet hatte: "Wenn ich in schnelle Autos einsteige, bekomme ich Paranoia." Nikolaos Gazeas, Anwalt der Familie von Miriam S., sagte im Plädoyer: "Sie haben versucht, sich das Kostüm des Opfers umzuhängen — das steht Ihnen aber nicht und es steht Ihnen auch nicht zu. Das Opfer ist Miriam S., Opfer sind auch Miriams Eltern und ihr Bruder."

Nach Auffassung des Gerichts hat Firat M. die Tat "verharmlost und klein geredet". Er hatte auch noch während des aktuellen Prozesses ein Bild des Unfallwagens auf seinem Facebook-Profil. Wie wichtig ihm das Mercedes Cabrio seines Vaters ist, hatte er auch schon unmittelbar nach dem Unfall gezeigt: Während Miriam S. mit ihrem Leben kämpfte, bat er einen Polizisten, mit der Sprühkreide aufzupassen, die Felgen hätten 3000 Euro gekostet. Er rief nach der Sicherstellung des Wagens Monate später beim Abschlepper an und erkundigte sich, ob der Mercedes auch regelmäßig bewegt werde, alles andere sei nicht gut für den Motor. Bei einem Termin in der Ausländerbehörde angesprochen auf die Tat, sagte M.: "Das war doch nur ein Unfall." Der Mitarbeiter war im Revisionsverfahren als Zeuge im Prozess.

Raser-Szene weiterhin ein Problem

Erkan F. habe hingegen"glaubhafte Reue" gezeigt, sagt der Vorsitzende. Die Schwester des 24-Jährigen hatte dem Gericht erzählt, ihr Bruder habe sich umbringen wollen, weil er mit seiner Schuld nicht klar käme. Die Kammer berücksichtigte in der Urteilsfindung aber auch, dass eine Strafe zur Abschreckung der Allgemeinheit dienen soll. Dass die Raser-Szene in Köln weiterhin ein Problem ist — seit 2015 wurden allein 1000 Autos bei Kontrollen aus dem Verkehr gezogen — wurde im Prozess deutlich. Im Sommer 2016, also nach dem ersten Prozess, war Firat M. in eine dieser Kontrollen geraten — auch das stellte sich nun heraus. Er war zwar nur Beifahrer, saß aber in einem PS-starken Auto. Seine Glaubwürdigkeit war daher im Prozess immer mehr gebröckelt.

Zum Schluss wendet der Vorsitzende sich direkt an die Angeklagten: "Sie haben jetzt zwei Möglichkeiten", sagt er. "Akzeptieren Sie die Urteile. Zeigen Sie, dass Ihre Reue nicht nur ein Lippenbekenntnis ist und sorgen Sie dafür, dass Sie und die Familie S. abschließen können." Die andere Möglichkeit wäre, das Urteil innerhalb einer Woche anzufechten.

Rechtsanwalt Gazeas sagt nach dem Prozess: "Es hat lange gedauert, aber nun ist zumindest in einem Punkt Gerechtigkeit geschehen: Die beiden Angeklagten müssen ihre ohnehin milden Freiheitsstrafen verbüßen." Das Urteil sei ein wichtiger Abschluss für die Familie. "Wir hoffen, dass die Angeklagten dem Rat des Vorsitzenden folgen und ihrerseits für einen Abschluss sorgen." Das Urteil sei auch ein wichtiges Signal an die Raser-Szene.

Die Verteidiger ließen offen, ob sie und ihre Mandanten das Urteil akzeptieren werden.

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