Moers "Nathan": Eine neue Versuchsanordnung

Moers · Schlosstheater: Großer Applaus für eine anspruchsvolle Lessing-Inszenierung und ein starkes Schauspiel-Ensemble.

 Die Schauspieler Frank Wickermann, Marissa Möller, Matthias Heße, Sabine Osthoff und Patrick Dollas (v.l.) kneten Figuren. Ein karg ausgestatteter Bühnenraum bot die Kulisse für Ulrich Grebs Inszenierung des Lessing-Klassikers "Nathan der Weise". Das Publikum zeigte sich nach der anspruchsvollen Aufführung begeistert.

Die Schauspieler Frank Wickermann, Marissa Möller, Matthias Heße, Sabine Osthoff und Patrick Dollas (v.l.) kneten Figuren. Ein karg ausgestatteter Bühnenraum bot die Kulisse für Ulrich Grebs Inszenierung des Lessing-Klassikers "Nathan der Weise". Das Publikum zeigte sich nach der anspruchsvollen Aufführung begeistert.

Foto: Schlosstheater/Jakob Studner

Drei Männer, zwei Frauen, und ein großer Klumpen Lehm, eingeschlossen in einem Holz vertäfelten Raum mit Türschellen an den Wänden, auf die niemand reagiert: Willkommen in einer neuen Versuchsanordnung des Schlosstheaters. Intendant Ulrich Greb inszeniert "Nathan der Weise" und setzt theatral im Schloss einen Lern- und Denkprozess in Gang, zu dem Lessing als Vertreter von Aufklärung und Humanismus vor mehr als 200 Jahren mit seinem dramatischen Gedicht den Anstoß gab. Die Frage, die es zu beantworten gilt, lautet: Ist es die Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen, die am Ende den Frieden schafft? Aber zuerst gilt es, Toleranz zu lernen. Die Schauspieler tragen Kopfhörer und weiße Kleider, die über dem Boden rascheln, aber letztlich wie Zwangsjacken wirken. Sie formen murmelnd wie in einer Beschäftigungstherapie Figuren aus Lehm, die manchen Zuschauer gleich an Prometheus denken ließen, der auf die Erde ging, die Menschen aus Ton formte, um sie dann zu erwecken.

Ulrich Grebs Inszenierung wirkt fast wie ein Bewusstwerdungs-Trip mit esoterisch angehauchten Bewegungsübungen, die angeblich das Bewusstsein schulen und einen wachen Zustand fördern. (Anandita Schinharl sorgte für die Choreographie der sogenannten Gurdjieff-Tänze) Greb schickt seine fünf Protagonisten im Verlauf des Spiels immer wieder zu Tafeln mit Toleranz-Thesen. Es ist wie eine Überprüfung des Lernstatus'. Beispiele gefällig? Es sind Sätze wie "Ich fördere alternative Lebenskonzepte" und "Ich habe keine Probleme, politische Flüchtlinge aufzunehmen". Es darf angekreuzt werden: "Ich stimme zu, ich stimme nicht zu." Und am Ende passt schließlich auch Lessings "unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen", mit der er den Ausgang seines dramatischen Gedichts offen ließ, wunderbar in diese Inszenierung hinein. Das Moerser Ensemble treibt sie so humorvoll und ausgiebig auf die Spitze, dass die Zuhörer schmunzeln dürfen.

Die Szenerie, die Bühnenbildnerin Birgit Angele geschaffen hat, ist statisch, die Bühne ist entrümpelt, damit nichts vom Wesentlichen ablenkt. Besagter Lehmklumpen, fünf Kopfhörer, die von der Decke baumeln, fünf Mikrofonständer und ein Brennofen in der Wand. In dieser kargen Ausstattung lässt der Regisseur die Schauspieler Lessings "Nathan" mit der Ringparabel und ihrer mehr als klaren Botschaft von der Gleichberechtigung der drei großen Religionen verhandeln. Dabei werden Fragen zu Vorurteil, Moral und Ethik thematisiert. Nathan, der trotz des Mordes an seiner Frau und Kindern durch die Christen ein verwaistes Christen-Kind bei sich aufnimmt, hat in dieser Inszenierung viele Gesichter. Das Ensemble gibt ihn als fünfstimmigen Chor. Die Textfassung stammt von Jurgita Imbrasaite und Ulrich Greb. Ihr Fokus liegt auf Text und Sprache. Dieser Nathan, der wohl als schwierig zu inszenieren gilt, fordert auch vom Publikum hohe Konzentration ab. Die Zuschauer sitzen mittendrin in diesem Lernprozess. Das Ensemble beweist 90 Minuten lang sehr hohe Präsenz, allein dafür gab es am Ende viel Applaus. Neben Patrick Dollas, Matthias Heße und Frank Wickermann erlebten die Zuschauer zwei Neue, die sich wohltuend ins Ensemble einfügen: Als Gast ist Sabine Osthoff dabei. Ihr Moers-Debüt gab Marissa Möller, die demnächst das Schauspiel-Ensemble in der Grafenstadt verstärken wird.

(RP)
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