Neuss "Mehr Personal, bessere Pflege"

Neuss · Interview mit Werner Schell: Der Erfttaler Werner Schell ist Vorstand des Selbsthilfenetzwerks "Pro Pflege" und scharfer Kritiker des aktuellen Pflegesystems.

 Das deutsche Pflegesystem ist sein Thema: der Erfttaler Werner Schell, Buchautor und Motor des Selbsthilfenetzwerkes "Pro Pflege".

Das deutsche Pflegesystem ist sein Thema: der Erfttaler Werner Schell, Buchautor und Motor des Selbsthilfenetzwerkes "Pro Pflege".

Foto: A. Woitschützke

Nach Pflegepannen in zwei Mönchengladbacher Caritas-Heimen im vergangenen Monat mit einem Toten forderte der Pflegeexperte der CDU im Bundestag, Willi Zylajew, dass jedes Heim fünf Mal im Jahr unangemeldet überprüft werden müsse. Widerspruch kommt von Werner Schell aus Erfttal, Buchautor und engagierter Vorstand des Selbsthilfenetzwerkes "Pro Pflege".

Herr Schell, Sie kämpfen seit Jahren für bessere Bedingungen im Pflegebereich. Wie stehen Sie zu der Forderung des CDU-Experten nach mehr Prüfungen der Heime zur Qualitätsverbesserung ?

Werner Schell Diese Forderung halte ich für falsch und kontraproduktiv. Die wirklichen Bedürfnisse werden durch einen derartigen Prüfungsaktionismus nahezu ausgeblendet. Wir brauchen vielmehr eine grundlegende Pflegereform an "Haupt und Gliedern". Mit noch mehr Prüfungen und der Erhöhung von Druck auf das Personal werden wir es nicht schaffen, bessere Pflegevoraussetzungen zu schaffen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Schell Ich halte es für sinnvoll, die verschiedenen Prüfungsinstanzen, wie Heimaufsicht, Medizinischer Dienst, Brandaufsicht oder Staatliches Amt für Arbeitsschutz bei einer Institution zu konzentrieren. Das ist auch kostengünstiger. Die Prüfungen selbst sollten in die Zuständigkeiten einer staatlichen Behörde verlagert werden.

Die Prüfungen und die Benotungen, zum Beispiel durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen, sind nicht unumstritten. Wie ist Ihre Meinung?

Schell Die maßgeblichen Transparenzvereinbarungen und Bewertungskriterien sind bundesweit heftig umstritten. Eine grundlegende Überarbeitung erscheint überfällig mit dem Ziel, allein die Ergebnisqualität in den Vordergrund der Gesamtbenotung zu stellen. In einer der besagten Mönchengladbacher Einrichtung gab es erhebliche Mängel in der Pflege, sie hatte aber im Juni 2010 gleichwohl die sagenhafte Schulnote 1,4 bekommen. Allein dieses Beispiel zeigt, wie sinnlos Prüfungen sein können, wenn die Pflege-Rahmenbedingungen nicht stimmen oder Führungskräfte versagen.

In den Pflegeeinrichtungen klagen viele Mitarbeiter über den großen Zeitaufwand für die vorgeschriebenen, umfangreichen Dokumentationen von Pflegeleistungen. Zu Recht?

Schell Der Umfang der Dokumentationserfordernisse ist beachtlich und kann den Pflegekräften, die eigentlich lieber am Menschen tätig werden wollen, keine große Freude bereiten. Allerdings muss eine gute Pflege geplant und ausreichend schriftlich dokumentiert werden, so dass an den umfänglichen Schreibarbeiten kaum vorbei zu kommen ist. Wenn aber — systemisch bedingt — solche Schriftdokumentationen für erforderlich erachtet werden, dann muss auch zwangsläufig die Personalausstattung dem gerecht werden. Und das ist genau nicht der Fall.

Was muss also geschehen?

Schell Für die Pflegekräfte fordern wir alle mehr Wertschätzung und Anerkennung. Wir sollten das Geld, dass wir durch zu viele Prüfungen bei den Heimaufsichten und dem MDK verplempern, in mehr Personal investieren. Dann gibt es auch mehr Zuwendung für die Bewohner — und deren Zufriedenheit und die Qualität der Ergebnisse steigen. Ich halte eine Personalaufstockung um rund 20 Prozent für geboten.

Und was sollte in den Einrichtungen selbst geändert werden?

Schell Pflegemängel treten fast ausnahmslos dort auf, wo es Defizite in der Führung gibt. Der Spruch, "der Fisch stinkt vom Kopf", bringt die Probleme auf den Punkt. Fortbildung und Weiterqualifizierung der Führungskräfte sollte man daher intensiver im Blick haben. Ferner sollte das Beschwerdemanagement in den Einrichtungen gestärkt werden. Mitarbeiter müssen ihre Vorschläge und Beschwerden vortragen können, ohne Nachteile befürchten zu können.

Was erwarten Sie in nächster Zeit von der Pflegepolitik?

Schell Der Koalitionsvertrag der Bundesregierung sieht eine grundlegende Pflegereform vor, in deren Mittelpunkt ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff stehen soll. "Pro Pflege" hat bereits weitere Vorschläge unterbreitet und wird diese beim nächsten Pflegetreff am 16. November diskutieren. Willi Zylajew hat bereits seine Teilnahme zugesagt.

Klaus D. Schumilas führte das Gespräch.

(dhk)
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