Fernsehgeschichte Als Deutschlands letzte Talkshow verschwand

Düsseldorf · Detlef Soost bringt am Montag die tägliche Talkshow zurück ins deutsche Fernsehen – viereinhalb Jahre nach der letzten Folge von "Britt". Wer sich die anschaut, wird nicht nur nostalgisch, sondern auch nachsichtig.

 Britts letzte Worte.

Britts letzte Worte.

Foto: Screenshot Maxdome / Britt

Detlef Soost bringt am Montag die tägliche Talkshow zurück ins deutsche Fernsehen — viereinhalb Jahre nach der letzten Folge von "Britt". Wer sich die anschaut, wird nicht nur nostalgisch, sondern auch nachsichtig.

In der Welt, die Britt Hagedorn durch ein Treppenhaus betritt, sind die großen Probleme noch privat. Es geht nicht um Terrorismus, Flüchtlinge, Arbeitslosigkeit oder den Klimawandel. Die Talkshow-Moderatorin steht in diesem Treppenhaus, sie trägt ein weites rotes T-Shirt, einen langen grauen Schal und sagt in die Kamera: "Ronny vermutet, dass seine Freundin Geld für bestimmte Gefälligkeiten von Männern kassiert. Aber ist dem wirklich so oder wer ist der ominöse Geldgeber? Gleich bei mir."

Unter dem Titel "Britt deckt auf: Wilde Sexdates" strahlt Sat.1 die Folge am 28. März 2013 aus. Der Sender hat da schon bekanntgegeben, Hagedorns Talkshow im Juli nach zwölf Jahren einzustellen, doch entscheidet nach den Sexdates: Es ist sofort Schluss. Einige Folgen sind noch beim Spartensender Sat.1 Gold zu sehen, im Juli moderiert Vera Int-Veen eine Abschiedssendung - der 28. März 2013 aber ist der Tag, an dem das Format daily talk aus dem deutschen Fernsehen verschwindet. Vier Jahre lang hatte Britt Hagedorn nach dem Aus von Oliver Geissens Talkshow allein die Stellung für ein Genre gehalten, das in den 90ern seine große Zeit hatte und längst tot war — und das bald ein Comeback feiert. Ab dem 18. September wird der Motivations-Guru Detlef Soost auf RTL2 täglich ab 15 Uhr talken. Muss das wirklich sein? Ein Blick auf Hagedorns letzte Sendung soll Aufklärung schaffen.

Verdächtig: Sie ist Friseurin, hat aber Geld

Die Frage, die zunächst zu klären ist: Hat Ronnys Freundin denn nun Geld für bestimmte Gefälligkeiten kassiert? Ronny, 29, Berliner, kurze hochgegelte blonde Haare, blaues Poloshirt, Typ "fehlt auf keinem Junggesellenabschied", zweifelt stark an der Treue seiner Partnerin. Denn obwohl Freundin Nadine Frisörin ist, hat sie immer Geld. Misstrauisch ist er geworden, als sie länger auf einem Geburtstag blieb, auf dem sie nur ein paar Stunden verbringen wollte. Die eingeblendete Texttafel sagt: "Ronny traut Nadine nicht die Bohne." Britt fordert ihn auf: "Formulier ruhig mal den Gedanken, den bösen, schlechten." Er glaubt: Sie macht Escort-Service. Und weil Talkshows auf Konfrontation beruhen, betritt nun Nadine, 27, die Bühne.

Für eine Frisörin hat sie eine bemerkenswert hässliche Frisur, drunter schwarz, drüber blond. Sie sagt: "Ich würde gerne Escort-Service machen, aber ohne Sex. Aber ich mache es nicht." Die beiden mögen sich, das ist klar, aber sie haben auch so ihre Mühe mit dem Leben. Sie wohnt noch bei Mutter, weil, klar: Frisörin, keine Kohle. Er sagt: "Ich mach schon gar keinen Mittagsschlaf" - nur damit er mehr arbeiten kann. Und abends fährt er zu ihr. Eine Strecke 50 Kilometer. Obwohl beide in Berlin wohnen. Britt sagt den schnörkellosen Satz: "Es zeigt, dass Ihr mit Power und Impetus in diese Beziehung reingeht."

Aber weil es bei Britt nicht bloß um ein "Er sagt, sie sagt" geht, lässt sie die Vorwürfe mit wissenschaftlicher Präzision klären. Nicht nur in dieser Sendung kommt der Lügendetektor zum Einsatz. Den hat Nadine schon vor der Show absolviert. Die Ergebnisse bringt ein Mann namens Marc im Silberkoffer ins Studio. Marc ist eine Kultfigur, gefeiert vom Publikum, Aufreißer-Grinsen, sieht aus wie eine Mischung aus Pornostar und gealtertem Boyband-Mitglied. Britt nimmt einen Umschlag aus dem Koffer. Der Test hat ergeben: Sie liebt Ronny nicht von ganzem Herzen. Aber: Sie hat nichts mit anderen Männern. Auch nicht, um Geld zu verdienen. Mittelgut für beide. Nadine "weiß nicht, wo meine Gefühle sind." Auch wegen seiner Anschuldigungen. Aber der Ronny, schon ein Süßer. Küsse. Abgang.

Britt: "Ach, das finde ich ja interessant, Mandy."

In diesem Tempo klärt Britt in einer Stunde noch drei weitere Fälle, in denen der eine etwas vermutet und der andere das bestreitet. Mandy, 33, aus Rathenow sagt, dass ihr Freund Nico was mit ihrer Ex-guten Freundin Steffi hat. "Ich denke, dass sie mit meinem Freund jeschlafen hat." Steffi, 25, auch aus Rathenow, kommt dazu und findet nicht, dass sie mit Nico jeschlafen hat. Sie setzt zum Gegenangriff an und wirft Mandy vor, dass diese selbst häufig fremdgegangen ist. Britt sagt: "Ach, das finde ich ja interessant, Mandy."

Also wieder Auftritt Marc, silberner Koffer, Lügendektor. Ergebnis: Zwischen Steffi und Nico lief überhaupt nichts. Mandy: "Ja sorry für die ganze Verleumdung, tut mir leid." Das Publikum lacht. Fall erledigt. Abmarsch.

Dann ist da Ferdinand, 26, aus Ergolding, der nicht weiß, ob die Kinder seiner türkischen Freundin Hacer, 28, wirklich von ihm sind. Auf den Trichter hat ihn seine Mutter gebracht. Hinweise gibt es keine. Diesmal soll ein Vaterschaftstest die Angelegenheit klären. Doch Hacer möchte, dass Ferdinand ihr vertraut und davon absieht, sich die Ergebnisse des Tests mitteilen zu lassen. Britt messerscharf: "Das ist interessant." Tatsächlich entscheidet sich Ferdinand, seiner Freundin zu vertrauen. Sie umarmen sich. Britt ist begeistert: "Ich finde das toll, dass er das macht."

Irgendwie hatte man das Format Talkshow anders in Erinnerung. Unmenschlicher. Ordinärer. Konfrontativer. Was am 14. November 1992 mit Hans Meiser auf RTL begann, ist in unserer kollektiven Erinnerung der Anfang vom Ende des deutschen Abendlandes. Das mag sogar stimmen, und es gab auch jene Talkshows, in denen es nur darum ging, lauter zu brüllen als der andere. Doch wird der Zuschauer aus dem Jahr 2017 schon beinahe nostalgisch, wenn er in Fernsehsendungen mal keine Promis sieht, die durch andere Sendungen überhaupt erst zu Promis wurden. Wenn die Drittplatzierte vom Bachelor nicht vor laufender Kamera duscht oder wenn mal nicht Bauern am Rande der geistigen Behinderung mit ebenfalls nicht gerade gedankenschnellen Frauen zusammengebracht werden und das alles in Ausnutzung ihrer fehlenden Kapazitäten. Auch die letzte Folge von Britt hat kein Niveau, aber unterste Schublade ist sie nicht. Britt führt Leute zwar vor — maßvoll —, führt sie aber nicht ins Verderben. Beinahe scheint es sogar, dass sie eine Art Interesse am Schicksal ihrer Gäste hat. Man möchte fast von Menschlichkeit sprechen.

Zum Schluss will Sandra, 31, aus Darmstadt, Ganzkörperjeanskondom, Sonnenstudio-Abo, wissen, wo ihr Freund Rene sich so rumtreibt, wenn er es nicht mit ihr treibt. Ja, sagt der Lügendetektor, er hatte Sex mit seiner besten Freundin und es waren Gefühle im Spiel. Doch das war vor seiner Beziehung mit Sandra. Aber nein, er hatte während seiner Beziehung mit Sandra keinen Sex mit einer anderen Frau und außerdem liebt er sie. Die beiden umarmen sich kurz, aber sie ist unzufrieden. Britt schaltet sich ein: "Du wirkst unheimlich bitter ihm gegenüber. Du hörst gar nicht, wenn ich die schönen Sachen sage." Sie wedelt mit den Testergebnissen herum. Doch Sandra ist immer noch unentschlossen. Britt setzt erneut an: "Du bist zu angespannt, du bist vieeeel zu angespannt. Nimm den Druck aus eurer Beziehung." Das kocht Nadine weich. Herzliche Umarmung, innige Küsse.

Britts letzte Worte sind: "Ich sag Tschüss bis zum nächsten Mal." Der Rest geht im Studioapplaus unter.

Die letzte Folge von "Britt” ist bei Maxdome kostenpflichtig abrufbar. Einen Ausschnitt aus der Sendung gibt es hier kostenlos.

(seda)
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