Frank Schätzing im Interview "Ariel Scharon ist mir ans Herz gewachsen"

Köln · Der Kölner Autor legt am Dienstag seinen neuen, fast 1000 Seiten starken Roman vor: "Breaking News" spielt an den Krisenherden der Welt.

Frank Schätzing hat einen neuen Thriller geschrieben.

Frank Schätzing hat einen neuen Thriller geschrieben.

Foto: Susanne Diesner

Nach seiner Erstauflage zu urteilen, ist der neue Thriller von Frank Schätzing schon jetzt der Bestseller dieses Bücher-Frühlings: Mit 500 000 Exemplaren startet "Breaking News" (Kiepenheuer & Witsch, 976 Seiten, 26,99 Euro) am Dienstag in den deutschen Buchläden, ein temporeicher Roman über Journalisten, die Krisenherde dieser Welt und die Geschichte Israels. Als früherer Werbefachmann scheint der Kölner Erfolgsautor zu wissen, was die Leser wollen. Insbesondere sein Roman "Der Schwarm" machte ihn berühmt.

Waren zu diesem Buch besonders aufwändige Recherchen nötig?

Schätzing Gegen "Breakings News" waren die Recherchen für "Der Schwarm" ein Volkshochschulkurs. Die Gemengelage im Nahen Osten ist so ziemlich das Komplizierteste, womit ich je zu tun hatte. Vieles konnte ich akademisch vorbereiten, aber entscheidend war dann doch, hinzufahren und mir selbst ein Bild zu machen — einfach, um die recherchierten Fakten emotional zu unterfüttern.

Wie sahen Ihre Reisen aus?

Schätzing Ich war abwechselnd in Israel und in der Westbank. Interessanterweise, während ich mich vor Ort so rumtrieb, wurde ich von den Israelis an deren palästinensische Freunde weitergereicht und von den Palästinensern an ihre israelischen. Es gibt da viel mehr Freundschaften, als viele hier glauben.

Bei Ihnen mischen sich fiktionale und nicht-fiktionale Elemente. Ist das nicht besonders schwierig bei der Darstellung historisch wichtiger Ereignisse?

Schätzing Der Roman liefert eine historisch durchweg korrekte Schilderung. Dann spielt ein fiktionales Element mit rein, eine Verschwörung. Und zwar auf eine Weise, dass kein Geschichtsbuch umgeschrieben werden müsste, sollte es sich tatsächlich so ereignet haben. Am Ende steht das gleiche Resultat, im Buch wie in der Realität. Nur dass die Welt im Buch an der Katastrophe entlangschrammt.

Angesichts der wahrscheinlich wieder großen Leserschaft ist eine solche Geschichtsvermittlung aber auch mit viel Verantwortung verbunden.

Schätzing Absolut. Schon darum habe ich akribischer recherchiert als je zuvor. Alles stimmt, hypothetisch ist einzig, dass Scharon seine Hirnblutung als Folge eines Anschlags erleidet. Fiktion, vor dem Hintergrund der damaligen Lage allerdings von hoher Vorstellbarkeit. So, wie es im Israel eines Paralleluniversums stattgefunden haben könnte.

Wie könnte man denn nach Ihren Erfahrungen die Probleme im Nahen Osten lösen?

Schätzing Die historischen Verstrickungen sind so immens, dass man praktisch nur das Schwert nehmen und diesen gordischen Knoten durchschlagen kann. Also einen Cut machen, alles auf null setzen, noch mal ganz von vorne anfangen, ohne mythische oder sonst welche Ansprüche. Was sicher gelänge, stünde dem nicht die Religion im Wege. Die zu überwinden, das wird dauern. Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte. Aber ich bin Optimist. Ich glaube, zu irgendeiner Lösung wird man gelangen. Ich weiß nur nicht, welche Opfer dafür noch erbracht werden müssen.

Warum widmen Sie sich in Ihrem Roman so intensiv Ariel Scharon?

Schätzing Weil man anhand seines Lebens wunderbar die Geschichte Israels erzählen kann. Außerdem war er der Auslöser, "Breaking News" überhaupt zu schreiben. Ein Jahr lang habe ich mich ausschließlich mit ihm beschäftigt. Da ist er mir fast schon ans Herz gewachsen. Fakt ist, Scharon war hochkontrovers. Er hat den Karren, den jetzt alle versuchen aus dem Dreck zu ziehen, maßgeblich mit reingefahren. Aber er war halt auch der letzte große Premier, den Israel hatte. Ein alter Hardliner, der am Ende den Frieden hätte bringen können.

Sie versuchen bei den Schilderungen aber möglichst neutral zu bleiben.

Schätzing Das war für mich das A und O: nicht zu werten. Ein Trick dabei war, bis auf den deutschen Journalisten Tom Hagen nur Israelis mitspielen zu lassen und einige Palästinenser. Aus deren Perspektive entwickelt sich die ganze Geschichte. Ich habe versucht, mich in jeden hineinzuversetzen, um zu verstehen, was ihn antreibt. Allein aus der Schilderung dieser Blickwinkel wird ersichtlich, warum die einen so und die anderen so ticken, ohne dass ich kommentiere, was falsch und was richtig ist. Könnte ich auch gar nicht. Jedes Gut-böse-Schema zersetzt sich, kaum dass man 24 Stunden im Land ist.

Ist es nicht auch heikel, ein so brisantes politisches Thema in einen Thriller zu verpacken?

Schätzing Im Gegenteil, wir brauchen gerade zu diesen politischen Themen, die viele Menschen ermüden, einen emotionalen Zugang. Mehr denn je. Sonst berührt das irgendwann niemanden mehr. Und der Roman, zumal der Thriller, ist ideal geeignet, unsere Empathie zu triggern, zu reizen und zu stimulieren. Meine israelischen Freunde fanden es im Übrigen schon darum gut, weil endlich mal einem etwas Unterhaltsames zu ihrer Region eingefallen ist. Die sagen, wir haben hier doch die perfekte Ausgangslage für großes Hollywood-Kino, aber wenn der Name Israel fällt, rasten immer alle im Betroffenheitsmodus ein.

Bei der Lit.Cologne werden Sie gleich mehrfach mit Ihrem neuen Buch auftreten. Wobei Ihre Lesungen ja nie nur einfache Lesungen sind, sondern oft riesige Multimedia-Shows. Geht so etwas auch zu einem Thriller über Israel?

Schätzing Ich arbeite noch daran. Es wird schon ein anderes Konzept werden als bei "Limit", aber keine klassische Lesung, bei der ich hinter irgendeinem Tischlein sitze. Ich bin eher aus Zufall Schriftsteller, eigentlich Geschichtenerzähler. Und eine gute Geschichte funktioniert unabhängig vom Medium. Definitiv ist sie größer als das Medium, in dem sie erzählt wird, weil Teil eines erzählerischen Kosmos. Der schwingt mit, auch wenn er nicht explizit zur Sprache kommt. Hat man die Geschichte nun mit den Möglichkeiten des Buchs erzählt, lässt sich dieser Kosmos mit anderen medialen Möglichkeiten noch mal ganz anders ausleuchten. Neue Aspekte treten zutage, parallele Handlungsebenen, Hintergründe, sinnliche Erfahrungen, Geräusche, Düfte, Bilder. Die Bühne bietet etliche Möglichkeiten, den Erzählkosmos zu erweitern. Insofern finde ich es eher widersinnig, ein Buch auf der Bühne einfach vorzulesen. Mit Leselämpchen und Tischlein. Mich reizt es, live Register zu ziehen, die im Buch so nicht möglich sind. Das machen wir diesmal wieder. Es wird auf jeden Fall unterhaltsam.

Warum gibt es noch keine erfolgreichen Verfilmungen Ihrer Bücher — bei den spannenden Stoffen?

Schätzing "Der Schwarm" hatte in den USA keinen sonderlichen Erfolg. Da ist Hollywood dann skeptisch. Wenn nur wenige das Buch gelesen haben, so die Logik, gehen auch nur wenige in den Film. Das war unser Problem. Inzwischen kommt das Geld für Hollywood-Blockbuster allerdings kaum noch von den US-Studios, die alle mehr oder weniger pleite sind, sondern aus anderen Teilen der Welt. Und da ist das Interesse am "Schwarm" groß. Wir haben also Chancen, das Ding auf der Leinwand zu sehen.

(RP)
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