Hans-Jochen Vogel im Interview "Mir fehlt ein höherer Steuersatz"

Berlin · Der frühere SPD-Chef Hans-Jochen Vogel spricht im Interview mit unserer Redaktion über das Ergebnis der Sondierungen und erklärt, welche Punkte ihm bislang fehlen. Eine Mitgliederbefragung der Partei hält er für wichtig.

 Hans-Jochen Vogel (91) war von 1987 bis 1991 als Nachfolger Willy Brandts Parteivorsitzender der SPD. Seine politische Karriere begann er 1960 als Oberbürgermeister von München.

Hans-Jochen Vogel (91) war von 1987 bis 1991 als Nachfolger Willy Brandts Parteivorsitzender der SPD. Seine politische Karriere begann er 1960 als Oberbürgermeister von München.

Foto: Andreas Gebert/dpa

Hans-Jochen Vogel ist 91 Jahre alt, der große, alte Mann der SPD. Über seine gesundheitliche Verfassung scherzt der frühere SPD-Chef, Bundesminister und Münchner Oberbürgermeister: "Baustellen." Im Kopf ist der Sozialdemokrat dagegen fit, seine Worte sind wie immer wohltemperiert und reflektierend. Die Verhandlungen seiner Partei mit der Union verfolgt Vogel genau, die Beschlüsse kennt er. Erstmals äußert er sich nun zum Streit in der SPD.

Herr Vogel, wie bewerten Sie die Ergebnisse von Union und SPD nach den Sondierungen? Sollte die SPD erneut in Verhandlungen in eine große Koalition eintreten?

Vogel Im Sondierungspapier sind mehr sozialdemokratische Positionen enthalten, als die gegenwärtigen, innerparteilichen Kritiker gelten lassen wollen. So etwa auf den Feldern Europa, Bildung, Rentenpolitik sowie der Verbesserung der Infrastruktur. Allerdings fehlen auch mir die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und das Verbot sachgrundloser Befristung von Arbeitsverträgen. Darüber müsste jetzt in den Koalitionsgesprächen verhandelt werden. Dass die Union die Ergebnisse der Sondierungen als unabänderliche Koalitionsvereinbarung interpretiert, ist unverständlich.

Es gibt viele Sozialdemokraten, die sagen, die SPD könne nur in der Opposition gesunden. Wie bewerten Sie diese Analyse?

Vogel Auch ich habe die Meinung, dass der SPD die Erneuerung in der Opposition gegen eine Mehrheitsregierung leichter fallen würde, aber nach dem Scheitern der Jamaika Verhandlungen gibt es diese Mehrheitsregierung nicht. Bliebe nur die Opposition gegen eine Minderheitsregierung. Die wollen jedoch die Christdemokraten und Frau Merkel auf keinen Fall. Offenbar streben einige da schon Neuwahlen an. Dafür sprechen auch die provozierenden Äußerungen des Herrn Dobrindt. Dass aber neue Wahlen für die SPD bessere Ergebnisse bringen, sehe ich nicht. Vielmehr ist ein weiterer Zulauf für die AfD zu erwarten.

Sollte die SPD-Basis über eine Koalition entscheiden dürfen und kann die Politik durch mehr Basisentscheidungen vielleicht wieder an Vertrauen gewinnen?

Vogel Ja. Nachdem wir bereits 2013 eine Mitgliederbefragung hatten, wäre es schwer vorstellbar, sie dieses Mal nicht stattfinden zu lassen. Es stärkt das Vertrauen in die Politik, jedenfalls von Parteimitgliedern, wenn diese bei existenziellen Fragen mitentscheiden dürfen.

(brö)
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