Katrin Göring-Eckardt "Keine Social Bots im Wahlkampf"

Berlin · Grünen haben ihr Spitzen-Duo gewählt, jetzt kann der Wahlkampf losgehen. Warum die Grünen-Spitzenkandidatin nicht auf der Vermögensteuer beharrt, den Begriff "bürgerlich" mag und mehr Geld in Schulen stecken will, haben wir sie im Interview gefragt.

 Katrin Göring-Eckardt führt die Grünen in den Bundestagswahlkampf.

Katrin Göring-Eckardt führt die Grünen in den Bundestagswahlkampf.

Foto: dpa, bt fgj

Die Grünen-Mitglieder haben sich bei der Wahl der Spitzenkandidaten gegen den linken Parteiflügel entschieden. Will die Basis eine bravere und bürgerlichere Außendarstellung?

Göring-Eckardt Das war eine Entscheidung für Leute mit Erfahrung an der Spitze in unruhigen Zeiten und dafür, dass wir Grüne einen klaren Regierungsanspruch haben. Mit dem Begriff "bürgerlich" bin ich sonst sehr einverstanden. Ich verbinde ihn mit dem Staatsbürgertum, das Verantwortung für die Gesellschaft übernimmt.

Geht von dieser Entscheidung auch das Signal aus, dass die Grünen weniger Kommunikationspannen und mehr Mainstream liefern sollen?

Göring-Eckardt Es ist das Signal: Wir wollen Spitzenkandidaten, die über das normale grüne Kernmilieu hinauswirken. Leute treten gerade bei den Grünen ein, weil sie einen Populisten wie Trump ablehnen. Viele Menschen wollen bei der Bürgerbewegung für Demokratie und Offenheit dabei sein.

Hat Ihnen eigentlich Frau Merkel zur Spitzenkandidatur gratuliert?

Göring-Eckardt Ja. Aber auch Sozialdemokraten und Linke haben sich gemeldet.

Im Moment würde es weder für Schwarz-Grün noch für Rot-Rot-Grün reichen. Würden Sie auch ein Jamaika-Bündnis mit Union und FDP machen?

Göring-Eckardt Wir wollen, dass es in Deutschland wieder voran geht. Dass unsere Gesellschaft zusammenwächst, unsere Wirtschaft und Infrastruktur ökologisch modernisiert und Klima und Umwelt tatsächlich geschützt werden. Dazu müssen wir die Große Koalition ablösen und weil Dauer-Große Koalitionen der Demokratie nicht gut tun, siehe Österreich. Die Zeiten sind rauer. Es wird ein Wahlkampf, in dem wohl keine Partei eine klassische Koalitionsaussage treffen wird. So oder so wird es schwierig. Wir werden nichts ausschließen, außer einer Koalition mit der AfD.

Gibt es für Sie inhaltliche Punkte, ohne die Sie keine Koalition eingehen würden?

Göring-Eckardt Wir unterschreiben keinen Koalitionsvertrag, in dem nicht drinsteht, dass Deutschland das Pariser Klimaschutzabkommen umsetzt und aus der Kohleverstromung aussteigt.

Die Vermögensteuer muss nicht drinstehen?

Göring-Eckardt Wir setzen doch jetzt nicht alle hunderte Programmpunkte absolut. Das Ziel muss drin stehen: Mehr Gerechtigkeit in unserem Land, auch mit Blick auf die Kluft zwischen Arm und Reich. Es ist ein Skandal, dass in so einem reichen Land wie Deutschland die Kinderarmut immer noch ein so großes Problem ist. Die müssen wir endlich bekämpfen. Wie wir das Ziel erreichen, werden wir nach dem Wählervotum im September mit den anderen Parteien besprechen.

Wer soll Vermögensteuer zahlen?

Göring-Eckardt Uns geht es um einen zusätzlichen Beitrag der ganz wenigen extrem reichen Menschen in unserem Land, deren Vermögen in den letzten Jahren sehr stark angewachsen sind. Ich spreche von Mehrfachmillionären. Wer den Zusammenhalt der Gesellschaft will, muss dafür sorgen, dass sich alle beteiligen. Oxfam hat letzte Woche eine Studie veröffentlicht: die reichsten 8 Menschen der Welt besitzen so viel wie die ärmere Hälfte der Menschheit. Da ist was aus dem Ruder gelaufen.

Für wen wollen Sie den Spitzensteuersatz erhöhen?

Görirg-Eckardt Wir schreiben das Wahlprogramm erst noch. Aber die Linie ist: Wir wollen die unteren und mittleren Einkommen entlasten. Und dann reden wir darüber, was mit denen ist, die allein mehr als 100.000 Euro haben.

SPD und Union schwächeln - warum gelingt es den Grünen so wenig davon zu profitieren?

Göring-Eckardt Im Moment leben wir in einer Zeit, in der die ökologischen Themen nicht im Vordergrund stehen. Es wird unsere Aufgabe im Wahlkampf sein zu zeigen, dass es um Existenzfragen geht. Es geht darum, ob auch unsere Kinder und Enkel eine Welt haben werden, in der sie frei atmen oder frei entscheiden können, wo und wie sie leben wollen.

Sind den Menschen nicht andere Existenzfragen wichtiger als die Ökologie?

Göring-Eckardt Sie haben mich beispielsweise nach Steuererhöhungen gefragt, die möglicherweise nicht einmal einen Ihrer Leser betreffen. Aber ob die Landwirtschaft funktioniert oder ob sie die Leute krank macht, ist eine existenzielle Frage für alle. Wir werden unsere Kompetenz als Grüne ausspielen, mehr für das gesellschaftliche Miteinander zu tun. Daneben werden die sozialen Fragen ein großes Thema sein. Es geht insbesondere darum, wie wir Bildung in unserem Land organisieren. Ich halte es für falsch, dass der Bund Ländern und Kommunen nicht direkt bei der Ausstattung der Schulen helfen kann. Es ist kein Zustand, dass Kinder nachmittags nach Hause kommen und sagen, sie haben die Schultoilette nicht genutzt, weil diese so eklig ist.

Der Finanzminister hat doch für solche Investitionsprojekte Milliarden zur Verfügung gestellt, die nicht abgerufen werden...

Göring-Eckardt Die werden nicht abgerufen, weil Länder und Kommunen nicht genug finanzielle Mittel haben, selbst etwas zu den Sanierungsprojekten dazuzugeben. Wir brauchen ein Programm wie damals bei den Ganztagsschulen, das der Bund komplett finanziert.

Wollen Sie erneut die Verfassung ändern für eine zentrale Schulpolitik?

Göring-Eckardt Es geht nicht um eine zentrale Schulpolitik. Ich will das Kooperationsverbot abschaffen. Damit der Bund die Sanierung von Schulen direkt finanzieren kann, braucht es eine Verfassungsänderung. Der Leidensdruck für Schüler, Lehrer und Eltern ist so hoch, dass direkt gehandelt werden muss. Es gibt bei den Schulen einen Investitionsstau von 35 Milliarden Euro. Das ist gigantisch. Wenn wir regieren, will ich gleich in der ersten Legislaturperiode sofort vier Milliarden Euro in die Sanierung von Schulen stecken. Insgesamt wollen wir 10.000 Schulen fit machen und dafür ein Investitionsprogramm von zehn Milliarden Euro für zehn Jahre bereitstellen.

Bei Thema innere Sicherheit wirken die Grünen mutlos...

Göring-Eckardt Überhaupt nicht. Wir haben dazu ein umfassendes Konzept vorgelegt. Wir werden die Bürgerrechte in diesem Land nur verteidigen können, wenn wir auch die Sicherheit gewährleisten. Ich bin aber massiv dagegen, nach einem Anschlag wie in Berlin aus der Mottenkiste des Innenministeriums Vorschläge zu ziehen, bevor klar ist, wo die Probleme, Versäumnisse und die Fehler lagen.

Was kommt denn Ihrer Meinung nach aus der Mottenkiste — Fußfesseln, Videoüberwachung?

Göring-Eckardt Die totale Videoüberwachung ist der Klassiker in solchen Fällen. Dabei gibt es noch nicht einmal genügend Leute, die sich die ganzen Aufnahmen anschauen könnten. Videokameras verhindern keine Anschläge. Auch eine Fußfessel hätte den Berliner Attentäter nicht an seiner grausamen Tat gehindert. Die Fußfessel ist eigentlich für jemanden gedacht, der resozialisiert werden soll. Bei einem Gefährder ist sie kein Beitrag zur Sicherheit. Die Grüne Linie ist: mehr Geld, Technik und Personal zu gezielter Überwachung und Aufklärung, statt einfach alles und jeden mit massenhaft Technik dauerhaft zu überwachen. Insbesondere die schlimmsten Gefährder müssen überwacht werden.

Für eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung brauchen Sie pro Gefährder 26 Polizisten...

Göring-Eckardt Es geht um Top-Gefährder wie Amri. Dieser Fall gehört zu den 20 oder 30 Personen, die in Wort und Tat ihren Willen zum Ausdruck bringen, Anschläge zu begehen. Hier ist Rund-um-die-Uhr-Überwachung möglich und geboten. Amri hätte man auch in Haft nehmen können. Da verstehe ich nicht, dass die Mittel des Rechtsstaats nicht ausgeschöpft werden. Das ist ein Skandal. Ich will wissen, wer hier versagt hat, und erwarte vom Bundesinnenminister endlich Aufklärung. Wir haben einen Fragenkatalog eingereicht, der spätestens morgen beantwortet werden muss. Wir lassen nicht zu, dass hier weiter verschleiert statt aufgeklärt wird.

Wie gut sehen Sie die Grünen im Wahlkampf gerüstet gegen Hackerangriffe und Social Bots?

Göring-Eckardt Unsere digitalen Kapazitäten haben wir sehr ausgebaut, weniger zum Schutz als für Aktionen. Wir werden die Hälfte unseres Werbebudgets für Aktionen im Netz ausgeben. Natürlich ohne Bots, sondern Dank engagierter Grüner. Und wir werden einen Wahlkampf des Dialogs führen. Ich zum Beispiel werde nicht auf Marktplatz-Verkündungsreden setzen, sondern auf Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, da wo sie sind, zum Beispiel direkt an der Haus- oder Wohnungstür. Ich will zu den Leuten hingehen und mit ihnen reden.

Wie wollen Sie mit den Gefahren im Netz umgehen?

Göring-Eckardt Social Bots, also Roboter-Meldungen in den sozialen Netzwerken, müssen gekennzeichnet werden. Wir Grüne werden dazu einen Gesetzesvorstoß machen, den der Bundestag noch vor der Wahl verabschieden soll. Dann können die Bürger klar erkennen, wenn ein Tweet oder ein Post von einem Roboter erzeugt wurde.

(mar, qua)
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