Feldzug gegen Minigewerkschaften Lufthansa-Piloten beleben Diskussion um Tarifeinheit

Düsseldorf · Erst der Verdi-Streik im Öffentlichen Nahverkehr, nun die Arbeitsniederlegungen der Lufthansa-Piloten. In der Politik werden Stimmen laut, die eine Gesetzesänderung im Bereich des Streikrechts fordern. Die Koalition möchte die Tarifeinheit per Gesetz festschreiben. Damit würden in Zukunft Piloten-, Ärzte- oder Lokomotivführerstreiks verhindert. Die Spartengewerkschaften laufen gegen das Vorhaben Sturm.

Streiks im deutschen Luftverkehr
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Foto: dpa, Roland Weihrauch

In ihrem Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD zahlreiche große Aufgaben vorgenommen: Rentenpläne, Pkw-Maut und Mindestlohn. Inmitten all dieser Mammutaufgaben geht der fünf Zeilen lange Paragraf, in dem ein Gesetz zur Tarifeinheit gefordert wird, beinahe unter. Auf Seite 70 des Koalitionsvertrags heißt es: "Um den Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben." Im Klartext bedeutet das, dass dann künftig nur noch die größten Gewerkschaften in vielen Betrieben das Sagen haben würden. Erst am Montag bekräftigte der Vorsitzende der Unionsfraktion, Arnold Vaatz (CDU), vor dem Hintergrund des drohenden Lufthasa-Piloten-Streiks, diese Forderung.

Die gesetzliche Tarifeinheit würde Minderheitsverträge verdrängen

Tarifeinheit: Was harmlos klingt, hätte massive Auswirkungen für die Berufs- und Spartengewerkschaften. Dazu zählen etwa die Ärztevereinigung Marburger Bund, die Piloten-Vereinigung Cockpit, die Gewerkschaft der Flugsicherung und die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer. "Tarifeinheit nach dem Mehrheitsprinzip bedeutet, dass in einem Betrieb nur der Tarifvertrag gilt, dem die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter angehören. Dadurch wird der Minderheitsvertrag verdrängt", erläutert Ulrich Preis, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Köln. Gesonderte Tarifverträge für Lokführer, Ärzte und Piloten würden wirkungslos, stellen diese Berufsgruppen in ihrem Betrieb doch nicht das Gros der Belegschaft.

Vor allem die Arbeitgeber drängen auf das Gesetzesvorhaben. Denn all jene Spartengewerkschaften, die Berufsgruppen in Schlüsselpositionen vertreten, sind äußerst verhandlungsstark. So können wenige Mitarbeiter ganze Unternehmen lahmlegen — und entsprechend höhere Abschlüsse aushandeln als ihre Kollegen. Die große Macht der Spartengewerkschaften demonstrieren aktuell die Lufthansa-Piloten mit ihrem angekündigten Streik von Mittwoch bis Freitag. Die Lufthansa hat bereits neun von zehn Flügen gestrichen, gut 400.000 Passagiere sind betroffen.

Bis 2010 war die Tarifeinheit akzeptiert

Geht es nach dem Willen von Politik und Arbeitgeberverbänden soll mit der gesetzlichen Tarifeinheit die Uhr zurückgedreht werden. Denn bis 2010 akzeptierten die deutschen Arbeitsgerichte das Prinzip der Tarifeinheit. In den vergangenen Jahren hatten aber immer mehr Berufsgruppen das Gefühl, von den großen DGB-Gewerkschaften nicht ausreichend vertreten zu werden. Sie kündigten die bis dahin geltende Solidarität mit ihren Kollegen auf und streiten seitdem lieber selbst für höhere Löhne.

Vor drei Jahren kippte das Bundesarbeitsgericht in Erfurt dann überraschend die Tarifeinheit. Sie verstoße gegen das Koalitionsrecht (Artikel 9, Absatz 3, Grundgesetz). Dieses sichert allen Bürgern das Recht zu, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden. "In unserem Rechtssystem gibt es keinen Grundsatz, der die Tarifeinheit rechtfertigt. Jeder Eingriff in das Koalitionsrecht ist verfassungswidrig", betont Arbeitsrechtler Preis.

Die Arbeitgeber wollen sich mit dieser neuen Rechtsprechung nicht abfinden. 2010 startete die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) eine Initiative gegen das Urteil, in der sie eine gesetzliche Tarifeinheit forderte. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beteiligte sich an der Initiative. Doch die Allianz währte nicht lange. Als erstes distanzierte sich Verdi von den Plänen, am Ende der gesamte DGB.

Grund ist der Plan der Arbeitgeberverbände, über die gesetzliche Tarifeinheit in das Arbeitskampfrecht einzugreifen. Gilt in einem Betrieb nur ein Tarifvertrag, unterliegen die anderen Gewerkschaften der Friedenspflicht (Streikverbot) des Mehrheitsvertrags. "Das gibt Unternehmen wie Arbeitnehmern Planungs- und Rechtssicherheit", sagt Roland Wolf, Leiter der BDA-Rechtsabteilung. Die Gewerkschaften kritisieren allerdings, dass der Gesetzgeber durch diese Praxis per Hintertür in das Streikrecht eingreifen würde — und genau an diesem Punkt reagieren alle Gewerkschaften äußerst allergisch.

Spartengewerkschaften wehren sich gegen die Pläne

Kein Wunder, dass sich breiter Widerstand gegen die Pläne formiert. Beamtenbundchef Klaus Dauderstädt spricht von einem "Vernichtungsfeldzug" gegen seine Mitgliedsgewerkschaften. Auch der Marburger Bund will sich gegen die Pläne wehren: "Sollte es tatsächlich zu einer Gesetzgebung kommen, werden wir eine verfassungsrechtliche Prüfung einleiten und klagen, um unsere Grundrechte zu wahren", sagt ein Sprecher der Ärztevereinigung. Es stelle sich doch die Frage, wie die Politik es rechtfertigen wolle, Arbeitnehmern von Berufsgewerkschaften grundlegende Rechte vorzuenthalten. "Es kann nicht Gewerkschaften erster und zweiter Klasse geben." Auch das Argument ausufernder Streiks ist nach Ansicht des Marburger Bunds nicht haltbar: "Deutschland ist im internationalen Vergleich ein sehr streikarmes Land. Die Unternehmen müssen einfach damit leben, dass Arbeitskämpfe auch in wichtigen Schlüsselbereichen stattfinden, wo eine besonders hohe Wirkung zu erzielen ist", ergänzt der Sprecher. Zumal dies schon lange kein Alleinstellungsmerkmal der kleinen Spartengewerkschaften mehr sei, wie Verdi erst vergangene Woche mit seinem 48-Stunden Streik im Öffentlichen Dienst bewiesen habe.

Verdi erteilt Plänen zur Tarifeinheit eine Absage

Entsprechend zwiespältig ist die Haltung der Dienstleistungsgewerkschaft: Verdi-Chef Frank Bsirske erteilte den Plänen von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, den Einfluss von Spartengewerkschaften zu begrenzen, jetzt eine eindeutige Absage. Das Streikrecht sei ein Grundrecht, deshalb werde jeder gesetzliche Eingriff abgelehnt, sagte Bsirske. Seine Gewerkschaft stehe daher der von Nahles geplanten Gesetzesinitiative ablehnend gegenüber.

Eigentlich wollte Arbeitsministerin Andrea Nahles die Tarifeinheit zusammen mit dem Gesetzentwurf für einen flächendeckenden Mindestlohn noch vor Ostern auf den Weg bringen. Eine verfassungsfeste Regelung der Tarifeinheit gestaltet sich aber schwierig. Eine Arbeitsgruppe verschiedener Ministerien brütet über einer rechtssicheren Lösung. Am Ende wird sich zeigen, ob die große Koalition ihre Übermacht nutzt und das umstrittene Gesetz einfach durchdrückt, ober ob die vermeintlich Schwächeren in diesem Spiel das stärkere Blatt auf der Hand haben: das Grundgesetz.

(bis)
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