Studie NRW-Richter kungeln am Strafrecht vorbei

Absprachen aller Beteiligten können Verfahren vor Gericht vereinfachen. Aber dabei geht es womöglich nicht immer ganz rechtens zu, wie eine Studie aus NRW zeigt.

 Einer Studie zufolge sollen nicht alle NRW-Richter die Unabhängigkeit wahren.

Einer Studie zufolge sollen nicht alle NRW-Richter die Unabhängigkeit wahren.

Foto: dpa, Britta Pedersen

Viele Richter in Nordrhein-Westfalen halten sich einer Studie zufolge bei Absprachen im Strafprozess nicht an das Gesetz. Die seit August 2009 geltenden Regeln, die für mehr Transparenz bei der umstrittenen Verständigungspraxis sorgen sollten, würden häufig umgangen.

Die Mehrheit der Richter greife stattdessen bevorzugt zum informellen "Deal", schreibt die "Süddeutsche Zeitung" (Freitag) unter Berufung auf eine Untersuchung des Düsseldorfer Rechtsprofessors Karsten Altenhain.

Die Studie wurde dem Bericht zufolge für eine Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe erstellt, das Mittwoch nächster Woche über Absprachen in Strafprozessen verhandelt. "Wir warten ab, was das Bundesverfassungsgericht zum "Deal" sagen wird", hieß es am Freitag aus dem nordrhein-westfälischen Justizministerium. Zu Details der Studie wollte sich das Ministerium mit Hinweis auf die richterliche Unabhängigkeit nicht äußern.

Nach einer Umfrage unter gut 330 Richtern, Staatsanwälten und Strafverteidigern aus Nordrhein-Westfalen glaubten fast zwei Drittel der Amtsrichter, in jeder zweiten Absprache werde gegen den neuen Paragrafen 257c der Strafprozessordnung verstoßen. Beispielsweise werde auch der Führerscheinentzug "weggedealt", obwohl dies vom Gesetz ausdrücklich ausgeschlossen sei, schreibt die "Süddeutsche".

Aus den Angaben der Juristen werde deutlich, dass die "Erforschung der Wahrheit", zu der das Gericht auch bei Absprachen verpflichtet sei, in der Praxis häufig unterbleibe. Zwar werde in diesen Fällen fast immer ein Geständnis abgelegt. 28 Prozent der Richter hätten aber eingeräumt, dass sie die allenfalls teilweise überprüften.

Mehr als die Hälfte der Rechtsanwälte gehe zudem von wahrscheinlichen Falschgeständnissen ihrer Mandanten aus, die damit einer angedrohten höheren Strafe entkommen wollten. Sobald eine Bewährungsstrafe angeboten werde, ließen sich die Angeklagten häufig auf den "Deal" und ein Geständnis ein. Der Strafrabatt für ein Geständnis liege bei etwa einem Viertel bis einem Drittel der Strafe.

"Wir sind gegen jede Kungelei", erklärte der Landesvorsitzende des Deutschen Richterbundes in NRW, Reiner Lindemann, am Freitag auf Anfrage. Die Richter seien verpflichtet, sich an Recht und Gesetz zu halten. Der Richter müsse sich davon überzeugen, dass ein Geständnis der Wahrheit entspricht. "Einfach hinnehmen geht nicht", sagte Lindemann.

Angesichts der Überlastung der Justiz sei ein "Deal" verführerisch: "Langwierige Verfahren der Organisierten Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität können Landgerichte lahmlegen", sagte Lindemann. Dennoch dürfe dies nicht zu einer Verständigung um jeden Preis führen. Notfalls müsse die Justiz solche aufwendigen Verfahren führen. Professor Altenhain war für eine Stellungnahme am Freitag nicht zu erreichen.

(dpa)
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