Pressestimmen zur Wahl in Niedersachsen "Die deutsche Sozialdemokratie ist immer noch am Leben"
Die Landtagswahlen in Niedersachsen sind von vielen Zeitungen kommentiert worden. Ein Blick in die Meinungsspalten.
Sueddeutsche Zeitung: "Nein, dieses ist nicht schon der Beginn der Wiederkehr der alten und gewohnten politischen Verhältnisse. Nein, dieses Landtagswahlergebnis ist nicht eine erste Korrektur der Ergebnisse der Bundestagswahl. Nein, es sagt nicht, dass man nun einfach nur warten muss, und es schüttelt sich dann schon alles wieder irgendwie zurecht. Das Irgendwie, Sowieso und Weiterso, das ein Kennzeichen der Merkel-Zeit war, ist vorbei - auch wenn in Niedersachsen die Bäume der AfD nicht in den Himmel wachsen. Es ist noch lange nicht Zeit für Entwarnung. Wer so tut, als bahne sich drei Wochen nach der Bundestagswahl schon wieder so etwas wie eine Normalisierung und Entneonazifizierung an, der macht einen schweren Fehler und wiegt sich in einer Sicherheit, die das Wahlergebnis von Niedersachsen nicht hergeben kann. Wichtig am Ergebnis ist vor allem dies: Es zeigt, dass die AfD kleiner wird, wenn es eine Polarisierung zwischen SPD und CDU gibt."
Hannoversche Allgemeine Zeitung: "Gefallen, aufgestanden und gewonnen: Die niedersächsischen Sozialdemokraten haben lange gefeiert in dieser Nacht, und sie hatten allen Grund dazu. Mit ihrem zuletzt fast schon entfesselt kämpfenden Landeschef Stephan Weil an der Spitze ist ihnen ein bemerkenswerter Sieg gelungen. Dazu hat der Ärger über die grüne Überläuferin Elke Twesten ebenso beigetragen wie die Erkenntnis, dass es nach der für die SPD desaströsen Bundestagswahl im Grunde nur noch bergauf gehen konnte. Der neue Schwung der Sozialdemokraten hat manche Pannen und Seltsamkeiten rot-grüner Landespolitik in den vergangenen viereinhalb Jahren mit leichter Hand in den Hintergrund geschoben. 'Ich kann Wahlkampf', hat Weil erst jüngst gesagt, der gestrige Abend gibt ihm recht. In Berlin wird er seiner siechen Bundespartei einiges zu erzählen haben - über den heutigen Tag hinaus."
Frankfurter Rundschau: "Die deutsche Sozialdemokratie ist immer noch am Leben. Sie kann die schlechten Umfragen vom Beginn eines Wahlkampfes auch übertreffen, statt sie noch zu unterbieten. Sie kann mehr als mithalten mit einer CDU, die schon fast erschien wie das einzig verbliebene Fossil aus der Zeit der sogenannten Volksparteien. Offenbar haben die Sozialdemokraten zumindest im Ansatz verstanden und vermittelt, dass sie sich endlich wieder als Alternative zur wirtschaftlich, sozial und ökologisch viel zu reformfaulen Politik der Kanzlerin profilieren müssen und wollen. Hannover ist ein vorsichtiges Zeichen dafür, dass man mit der Merkel-Union nur dann bei den Zahlen wieder konkurrieren kann, wenn man bei den Inhalten auf Distanz zu ihr geht. Ein schwerer Fehler wäre es deshalb, zöge die SPD eine Koalition mit der CDU auch nur in Betracht."
Berliner Zeitung: "Es gab keinen vernünftigen Grund dafür, Verhandlungen über eine neue Bundesregierung auf die Zeit nach der Niedersachsen-Wahl zu verschieben. Es ist ärgerlich, dass die Politik sich stillschweigend darauf geeinigt hat, Zeit verstreichen zu lassen nach der Bundestagswahl. Eine Legislaturperiode, die Regierungszeit einer Bundesregierung, hat in Deutschland 48 Monate. Das ist nicht viel Zeit, um Probleme zu lösen. Einer dieser 48 Monate ist nun schon um. Die Selbstverständlichkeit, mit der das geschah, ist unangenehm. Vor allem für die Wähler."
Neue Osnabrücker Zeitung: "Die Landtagswahl in Niedersachsen hat mit Stephan Weil einen großen und mit der SPD in Berlin einen kleinen Gewinner. Dort kann Martin Schulz aufatmen und Parteivorsitzender bleiben. Zwei Gründe, die gegeneinanderwirken, waren entscheidend. Zum einen die starke Präsenz und Persönlichkeit Stephan Weils im Land, den auch die schlechte Bildungspolitik oder die Fehler bei Volkswagen keine Wähler gekostet haben. Auf der anderen Seite ist es der CDU nicht gelungen, mit Bernd Althusmann einen echten Herausforderer geschweige denn ein Team zu präsentieren. Der CDU-Spitzenkandidat ist nie wirklich im Land und im Wahlkampf angekommen und hat zu keiner Zeit Bindung und Nähe zu den Wählern gefunden."
Emder Zeitung: "Der Sieg der SPD geht zu einem großen Teil auf das persönliche Konto von Stephan Weil, der Niedersachsen in den vergangenen Jahr geführt hat in Rau'scher Landesvater-Manier: Überall und oft präsent, oft mit den normalen Bürgern unterwegs - und trotzdem sicher im Umgang mit den großen Problemen à la Volkswagen. Mit deutlichen Worten in Richtung Vorstand und Belegschaft hat er sich durch diese Krise geschlängelt und es geschafft, Schaden von sich und seiner Landesregierung trotz ihrer starken Stellung im Aufsichtsrat des Konzerns abzuhalten. (...) Die Niedersachsen haben es dagegen den Grünen sehr deutlich klargemacht, was sie von ihrer Regierungsarbeit hielten. Da mag der ebenso egoistische wie theatralische Wechsel der Grünen Elke Twesten zur CDU - damit hat sie die vorzeitigen Neuwahlen erst ausgelöst - nur eine der Ursache sein. Tiefer sitzt wohl das Gefühl, dass die Grünen in der Koalition bei vielen Infrastruktur-Projekten als Bremser und Ober-Bedenkenträger wahrgenommen werden."
Trierischer Volksfreund: "Für Stephan Weil ist der Ausgang ein unerwarteter vorgezogener Vertrauensbeweis; doch ist seine Aufgabe nicht leichter geworden. Die strukturellen Umbrüche an der Küste, die bevorstehende Neuorientierung der starken Automobilindustrie rund um Wolfsburg und ein neuer Umgang mit der Massentierhaltung und der industriellen Landwirtschaft, das sind die großen Themen. Dazu die Bildung, die in Niedersachsen in der Vergangenheit ein besonderes schlimmes Wechselbad von Reformen durchlebt hat. Das alles ist Landespolitik durch und durch. Weil bekommt nun eine zweite Chance, die Dinge anders und besser anzupacken, als er das bisher getan hat."
Mittelbayerische Zeitung: "Auffällig am niedersächsischen Ergebnis ist, dass ausgerechnet jene Parteien, die sich im Bund auf den Trip nach Jamaika vorbereiten, abgestraft worden sind. Auch wenn eine Landtagswahl vor allem von Landesthemen bestimmt wird, bleibt der Fingerzeig, dass eine schwarz-gelb-grüne Koalition offenbar doch nur begrenzte Begeisterung und stattdessen eher Skepsis auslöst. Das Wahlergebnis ist kein Rückenwind für die in dieser Woche anlaufenden Jamaika-Sondierungen in Berlin. Niedersachsen leitet vielmehr Wasser auf die Mühlen der Bedenkenträger gegen ein solches Bündnis. Und derer gibt es, vor allem in der CSU und bei den Grünen, eine ganze Menge."
Volksstimme (Magdeburg): "Das Niedersachsen-Ergebnis zum Abschluss dieses Wahljahres ist in mehrfacher Hinsicht ein besonderes. CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann ist nach einem veritablen Vorsprung im Sommer auf den letzten Metern die Puste ausgegangen. Dagegen konnte SPD-Amtsinhaber Stephan Weil trotz seiner unglücklichen Figur im VW-Dieselskandal punkten. Bemerkenswert: SPD wie CDU schneiden zwischen Nordsee und Harz weitaus besser ab als anderswo, AfD und Linke dagegen klar schlechter. Die Regierungsbildung wird jetzt nicht einfach. In Deutschlands zweitgrößtem Flächenland ist das Verhältnis der beiden Großen Parteien traditionell unterkühlt - kein Klima für eine große Koalition. Irgendwer muss über einen langen Schatten springen. Womöglich ist es doch die FDP. Die Ampel wäre eine Konstellation, die es im überraschungsreichen Wahljahr noch nicht gab. Sie ist aber eine ernst zu nehmende Mischung auf der Farb-Palette für Regierungsbildungen."
Heilbronner Stimme: "Es ist der SPD nach ihrer historischen Pleite im Bund zwar gelungen, auf Landesebene zu mobilisieren. Dennoch ist es unverantwortlich, dass die Bundespolitik gelähmt ist, wenn Landtagswahlen anstehen. Wer jetzt schon wieder auf die nächsten Wahlen 2018 in Bayern und Hessen schielt und deshalb faule Kompromisse beim Koalitionspoker in Berlin eingeht, der wird vom Wähler weiter abgestraft. Die jetzt noch stärker angeschlagene Angela Merkel muss erkennen, dass ihr nur ein Ausweg bleibt: endlich regieren. Es wird Zeit."
Nordwest-Zeitung: "Der Niedergang der Union setzt sich auch in den Ländern fort. Nach dem Verlust von 55 Sitzen im Bundestag ist jetzt der Titel 'stärkste Kraft' in Niedersachsen weg. Nach dem realitätsfernen Auftritt Peter Taubers am Sonntagabend kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man im Berliner CDU-Raumschiff noch nicht mitbekommen hat, dass die Kapelle der Titanic längst begonnen hat, den letzten Walzer zu spielen. Vier Mal war die Kanzlerin in Niedersachsen auf Wahlkampftour - gebracht hat es nichts. Im Gegenteil."
Stuttgarter Zeitung: "Anders als im Bund existieren zwischen Lüneburg und Lingen noch zwei Volksparteien, die diesen Namen verdienen. SPD und CDU liefern sich hier regelmäßig Kopf-an-Kopf-Rennen, die es auf Bundesebene seit vielen Jahren nicht mehr gibt. Bei der Bundestagswahl führte die fehlende Machtoption der SPD dazu, dass viele Wähler ihre Stimme einer kleineren Partei gaben. Denn es war klar, dass Angela Merkel Regierungschefin bleiben würde. In Niedersachsen trat der gegenteilige Effekt ein: Weil das Duell von Weil mit dem Herausforderer Bernd Althusmann so spannend verlief, blieben die kleinen Parteien klein – auch die AfD, die in Niedersachsen ohnehin weniger Rückhalt findet als anderswo."
Weser-Kurier: "Die bis eben noch weidwunden Sozialdemokraten japsen vor Freude fast nach Luft. Das Grinsen in den Gesichtern von Stephan Weil, Martin Schulz, Andrea Nahles, Hubertus Heil und - ganz im Hintergrund am Wahlabend - Carsten Sieling scheint festgetackert. Meine Güte, was löst der Gewinn dieser Landtagswahl bei der SPD aus. Nach den vier miserablen Ergebnissen bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein, in Nordrhein-Westfalen und bei der Bundestagswahl muss der Euphorieschub enorm sein. Und er war auch bitter nötig. Für die Partei. Aber auch für Martin Schulz. Eine weitere Niederlage hätte er an der Spitze nicht überlebt. Plötzlich steht er aufgerichtet, frisch, optimistisch und mit einem unbändigen Selbstbewusstsein da. Die von ihm angestrebte Wiederwahl auf dem Bundesparteitag im Dezember scheint mir nichts, dir nichts fast nur noch eine Formalie. So schnell kann sich das Blatt wenden."
Stuttgarter Nachrichten: "Für Merkel wird es jetzt noch ungemütlicher. Zum ersten Mal seit 1998 liegt die CDU in Niedersachsen hinter der SPD. Der Wahlkampf wurde von landespolitischen Themen bestimmt. Aber Merkels dickfelliger Umgang mit dem 32,9-Prozent-Schlag bei der Bundestagswahl dürfte dazu beigetragen haben, dass Althusmann einen Erfolg verpasste, der lange zum Greifen nahe schien. Die mühsam unterdrückte Debatte in der CDU, welchen Kurs die Partei einschlagen soll und wie lange Merkel die beste Führungskraft ist, könnte nun offen ausbrechen."
Straubinger Tagblatt: "Auch wenn sich die Verluste in Grenzen halten: Bei der Bundes-CDU müssen die Alarmglocken schrillen. Es gibt eine alte politische Gesetzmäßigkeit: Regiert die Union ohne SPD im Bund, erobern die Sozialdemokraten die Landtage. Die angeschlagene Kanzlerin Angela Merkel wird sich etwas einfallen lassen müssen. Ihre Mitte-links-Politik macht die eigene Partei nicht mehr mit. Der Druck auf die CDU-Chefin, die rechte Flanke wieder zu schließen, wird nach dieser Wahl nicht geringer. Und Rückenwind für die Koalitionsverhandlungen in Berlin geben die Niedersachsen keinem der potenziellen Partner."
Nordsee-Zeitung: "So modern, wie sich die Union mit Merkel auf Bundesebene gibt, so konservativ ist die Wählerschaft im doch weite Teile ländlich geprägten Niedersachsen. Aus diesem Dilemma hat Althusmann die CDU im Wahlkampf nicht führen können. Aber genauso wenig konnte Althusmann den eklatanten Schwachpunkt der rot-grünen Landespolitik, das augenscheinliche Versagen im Schulalltag, glaubhaft attackieren. Denn als Vorgänger der als gescheitert geltenden SPD-Ministerin Heiligenstadt hatte auch er nicht zu überzeugen gewusst. Viele seiner ungelösten Probleme waren auch die ungelösten Probleme der Nachfolgerin. Und auch der Versuch, den Ministerpräsidenten in der VW-Affäre zu stellen, weil seine Rede zum Diesel-Skandal zuvor bei Volkswagen vorgelegt und geändert worden war, verfing nicht. Denn auch Weils CDU-Vorgänger im Amt, McAllister und Wulff, hatten das ähnlich praktiziert."
Mannheimer Morgen: "Im Willy-Brandt-Haus und bei Schulzens in Würselen wird man sich das einrahmen: 'And the winner is: SPD', 'Und der Sieger ist: SPD'. Das gab es schon lange nicht mehr. Dennoch sollten auch die Sozialdemokraten im Bund dieses Ergebnis für sich nicht überbewerten."
Nürnberger Nachrichten: "Im Bund registrieren auch konservative Wähler immer noch augenreibend, wie schwer sich die Unionsparteien mit dem Schock der Bundestagswahl tun. Die CSU liefert sich eine Selbst- und Seehofer-Zerfleischung auf offener Bühne; in der CDU verzweifeln viele an Angela Merkels buddha-gleicher Gelassenheit. Binnen einer Nacht beerdigten beide Parteien den jahrelangen 'Obergrenzen'-Schein-Streit mit einem untauglichen, die Klugheit der Wähler missachtenden Kompromiss: Gut, dass sich so etwas rächt - am Ergebnis der Umfragen für die Union bundesweit und auch am Ergebnis in Niedersachsen ist es abzulesen."
Badische Neueste Nachrichten: "Das war kein Kieselstein, der da von einem Herzen fiel, das war ein ganzer Steinbruch, der die Herzen Tausender Genossen erleichterte. Ja, die alte SPD kann es noch, sie kann noch eine Wahl gewinnen. Das haben nun die Niedersachsen demonstriert, die trotz einer Reden-Affäre, die dem amtierenden Ministerpräsidenten eine eigentümliche Nähe zum VW-Konzern vorhielt, an dem gelassen kühlen Pragmatiker als Landesvater festhalten wollen. Stephan Weil, im Frühsommer angezählt, im Hochsommer ausgeknockt, hat im Herbst seinen neuen Frühling erlebt."
Braunschweiger Zeitung: "Die SPD hatte nach den bitteren Niederlagen die Zähne zusammenbissen, hatte in größter Geschlossenheit unverdrossen um Wählerstimmen gekämpft. Überragenden Anteil an ihrem Erfolg hat der meistunterschätzte Ministerpräsident Deutschlands. Blass und bieder sei Stephan Weil, wurde außerhalb Niedersachsens kommentiert. Ein Missverständnis. Die Niedersachsen ließen sich bisher höchst selten von bunten Hunden regieren. Werte wie Verlässlichkeit, Bodenhaftung und Redlichkeit spielen zwischen Aurich und Göttingen eine bedeutende Rolle. Stephan Weil, der 'biertrinkende Jurist', ist kein Volkstribun. Aber er passt nach Niedersachsen."
Freie Presse (Chemnitz): "Zugleich zeigt die Abstimmung in Niedersachsen, dass der von vielen bereits angestimmte Abgesang auf die Volksparteien womöglich doch zu früh kommt. CDU und SPD haben zusammen mehr als 70 Prozent der Stimmen eingesammelt, deutlich mehr als jüngst im Bundestag, wo sie gemeinsam nur knapp über 53 Prozent kamen. Das Ergebnis von Hannover zeigt, dass es vorschnell wäre, die Volksparteien als Auslaufmodell abzuschreiben."
Schwarzwälder Bote: "Wie weise! Zum Ende eines verschrobenen Wahljahres in Deutschland meint es der Wähler, das eigenmächtige Wesen, nun auch noch mit den Sozialdemokraten gut. So sehr die SPD monatelang vom Stimmbürger gerupft worden war - die Niedersachsen gönnen der 'Liste Stephan Weil' plötzlich ungewohnte Glücksgefühle. .... Ob die Wahl nun die Regierungsbildung in Berlin beflügelt? Nein, denn um Jamaika ging es zwischen Buxtehude und Hann. Münden wahrlich nicht. Ja - wenn die Akteure in der Hauptstadt begreifen, was die die Wähler unterschwellig auch erwarten. Die Politik soll nicht ewig herumeiern, sondern sich entschlossen an die Arbeit machen."
Westfalen-Blatt: "Von heute an wird man im Konrad-Adenauer-Haus eifrig bemüht sein, den Anteil der Bundes-CDU und ihrer Vorsitzenden Angela Merkel persönlich an diesem enttäuschenden Resultat kleinzureden. Sicher aber ist: So etwas wie Rückenwind hat die Merkel-CDU den niedersächsischen Parteifreunden in keiner Phase verschafft. Im Nachhinein dürfte man sich im Lager der Christdemokraten mächtig darüber ärgern, dass man sich nicht mit dem Plan durchsetzen konnte, die vorgezogene Landtagswahl mit der Bundestagswahl am 24. September auszurichten."
Sächsische Zeitung: "Während es für SPD-Chef Schulz nun zumindest eine Atempause gibt, schwächt die Klatsche von Niedersachsen die Kanzlerin erheblich – und das ausgerechnet vor den am Mittwoch beginnenden Jamaika-Gesprächen. Merkel steht ohnehin vor ihrem schwierigsten Koalitionsbündnis enorm unter Druck. Nach Niedersachsen muss sie nun große Überzeugungsarbeit leisten, um zunächst die Fliehkräfte in ihrer eigenen Partei zu bändigen. Nur aussitzen, reicht nicht mehr. Zudem aber wird sich die Kanzlerin auch der Debatte über ihre eigene Nachfolge nicht mehr entziehen können."
Reutlinger General-Anzeiger: "Auch in Niedersachsen bestätigt sich der alte Wahlspruch: Wer Landtagswahlen gewinnen will, braucht einen sympathischen Kandidaten und Sachkompetenz. Beides trifft in den Augen der Bürger auf Stephan Weil zu. Eine Erkenntnis, die Martin Schulz noch wie ein Bumerang einholen könnte. Denn die entscheidende Frage der Bundes-SPD lautet: Kann die SPD mit Schulz Wahlen gewinnen?"
Augsburger Allgemeine: "Aber natürlich geht diese Niederlage auch auf das Konto der CDU-Vorsitzenden Merkel. Der Sinkflug der Landespartei ging mit der Talfahrt der CDU/CSU einher; Althusmann hatte Gegenwind aus Berlin und München. Merkels geradezu stoische Hinnahme der massiven Stimmenverluste dürfte den Frust vieler Stammwähler eher noch befördert haben. Die Rückeroberung des Flächenlandes Niedersachsen ist gescheitert. Die Kanzlerin geht geschwächt in die 'Jamaika'-Sondierungsgespräche mit den Grünen und der FDP, die nun ihre 'roten Linien' noch kräftiger und selbstbewusster aufmalen dürften."
Der neue Tag (Weiden): "Als im 'Spiegel' zu lesen war, was Martin Schulz während seines aussichtslosen Wahlkampfs wirklich dachte, keimte Hoffnung auf: Beendet hier einer die peinliche Inszenierung des nackten Mannes, der meint er marschiere in des Kanzlers neuen Kleidern? Ministerpräsident Stephan Weil hat die Kurve noch einmal gekratzt, weil viele Wähler den Übertritt einer beleidigten Grünen-Kandidatin zur CDU und damit das Platzen der Regierungskoalition als unanständig empfanden. Der Mann, der seine Regierungserklärung von VW gegenlesen ließ, ist keine Lichtgestalt. Und bei der CDU - herrscht dort Ernüchterung? 'Schalalala, Bernd Althusmann ...' schallt es dem Wahlverlierer entgegen. Das Schmierentheater, das Funktionäre anlässlich solcher Auftritte inszenieren, ist nur schwer zu ertragen. Es gibt ein einfaches Konzept, um Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen: Ein erster Schritt: Verbannt die teuren Werbeagenturen aus euren Zentralen, und denkt selbst über eure Wirkung nach."
Badisches Tagblatt: "Die SPD kann noch gewinnen – das ist eine der Botschaften des gestrigen Abends. Ohne Zweifel ein Erfolg für die Sozialdemokratie, der dadurch umso bemerkenswerter wird, dass man ihn nicht allein mit der Strahlkraft der Person an der Spitze erklären kann. Als die SPD im März 2016 in Rheinland-Pfalz letztmals eine Landtagswahl gewann, wurde das vor allem Malu Dreyer zugeschrieben. Doch deren Hannoveraner Pendant Stephan Weil hatte nie die Zustimmungswerte Dreyers. Und er hat auch nicht immer eine gute Figur gemacht, etwa in der VW-Affäre. Trotzdem hat die SPD gewonnen."
Corriere della Sera (Italien): "Angela Merkel ist nach der Bundestagswahl am 24. September noch schwächer als gedacht. Martin Schulz und seine Sozialdemokratie sind noch nicht tot. Der Zuspruch für die Nationalisten der Alternative für Deutschland ist geringer, auch für die Liberalen und die Grünen. (...) Die Versuchung ist groß, daraus zu schließen, dass Niedersachsen die Idee einer Jamaika-Koalition im Bund ablehnt. Die Annahme wäre aber falsch. Was zurecht gesagt werden kann, ist, dass die Verhandlungen über eine neue Koalition (...) mit einer Kanzlerin in der Defensive beginnen werden: Sie bleibt unumgänglich, aber nicht unbesiegbar, wahrscheinlich ist sie in die Endphase ihrer langen Spielzeit eingetreten."