Sprecherin des Bundesaußenministers Sawsan Chebli — vom Flüchtlingskind ins Staatsamt

Berlin · Sie ist als palästinensisches Flüchtlingskind in Berlin aufgewachsen – jahrelang war sie nur geduldet. Heute ist sie Sprecherin des Außenministers. Die Geschichte einer erfolgreichen Integration.

 Sawsan Chebli (35) im Auswärtigen Amt in Berlin.

Sawsan Chebli (35) im Auswärtigen Amt in Berlin.

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Sie ist als palästinensisches Flüchtlingskind in Berlin aufgewachsen — jahrelang war sie nur geduldet. Heute ist sie Sprecherin des Außenministers. Die Geschichte einer erfolgreichen Integration.

Manchmal wird sie noch für die Übersetzerin gehalten. Dann wundern sich die Gastgeber, wenn Sawsan Chebli am Verhandlungstisch Platz nimmt, neben Frank-Walter Steinmeier, dem deutschen Außenminister, ihrem Chef. Die zierliche junge Frau ist zweite Sprecherin des höchsten deutschen Diplomaten. Und wenn er in anderen Ländern deutsche Interessen vertritt, wenn er im Ukraine-Konflikt vermittelt oder in den Krisenregionen des Nahen Ostens nach Verhandlungswegen sucht, ist sie dabei. Am Puls der Zeit — ein Traumjob für eine junge Politologin. Erst recht für eine, die 15 Jahre ihres Lebens staatenlos gewesen ist.

"Die Ungewissheit war das Schlimmste"

Sawsan Chebli (35) ist als Flüchtlingskind mit palästinensischen Wurzeln im Berliner Arbeiterviertel Moabit aufgewachsen. Raues Pflaster. Im Berliner Sozialbericht läuft Moabit unter Problemkiez, hohe Arbeitslosigkeit, verbreitete Kinderarmut, das bekannteste Gebäude des Stadtteils ist das Gefängnis. Chebli hat sechs Brüder und sechs Schwestern, die Familie kam aus einem Flüchtlingslager im Libanon nach Deutschland, war jahrelang nur geduldet. Abschiebung jederzeit möglich. So musste sich die Großfamilie einrichten mit der Angst.

"Die Ungewissheit war das Schlimmste", hat Chebli einmal gesagt. Dass sie es aus den prekären Verhältnissen einer wenig willkommenen Flüchtlingsfamilie ins Außenministerium geschafft hat, ist ein Wunder — ein Ereignis gegen alle Wahrscheinlichkeit. Darum wird sie manchmal in Sendungen eingeladen, in denen es um Integration geht. Dann soll die Sprecherin über sich selbst sprechen, über das, was ihr half auf ihrem Weg. Sie tut das nicht gern, aber sie weiß, dass es wichtig ist, ihre Geschichte zu erzählen, weil das Land Frauen wie sie braucht.

Sie selbst hatte kein weibliches Vorbild für ihre Karriere. Sie hatte nur ihren Willen — und schon als Jugendliche diese Neugier auf Politik. "Ich habe ja am eigenen Leib erfahren, wie sehr Politik Einfluss auf das Leben nehmen kann." Auch das hat sie mal gesagt. Und dass sie ehrgeizig sei, Ehrgeiz allein aber nicht reiche. "Ich hatte ein gutes Fundament zu Hause, Eltern und Geschwister, die mich lieben, die mich immer gepusht haben, weil sie wollten, dass ich mehr aus unserem Leben mache — meine Familie hat mir viel zugetraut."

Die Cheblis hielten auch ohne Vater durch

Cheblis Eltern haben Deutschland als Analphabeten erreicht. In den 80er Jahren wurde der Vater einmal abgeschoben, musste zurück in den Libanon. Eine Zeit lang war das einbürgerungspolitische Praxis: Der Staat bewilligte die Asylanträge von Frauen und Kindern, die der Väter nicht. Dahinter stand das Kalkül, mit der Abschiebung der Ernährer irgendwann die gesamte Familie loszuwerden. Doch die Cheblis hielten auch ohne Vater durch, sechs Monate, dann hatte er sich nach Berlin zurückgekämpft. Und danach ging plötzlich alles ganz schnell: 1993 wurde die Familie eingebürgert. Und für Sawsan, die damals 15-Jährige, öffneten sich gerade noch rechtzeitig die Tore zu den höheren Bildungswegen.

Schon in der Grundschule war sie Klassenbeste, obwohl sie die Sprache ihrer Lehrer erst lernen musste. Daheim wurde nur Arabisch gesprochen. Spielend schaffte sie es aufs Gymnasium, und als sie in der Mittelstufe an zwei Lehrern zu scheitern drohte, die fanden, dass ein Flüchtlingsmädchen nicht auf die "höhere Schule" gehöre, egal wie intelligent es ist, beschloss sie selbst, die Schule zu wechseln. Ihre Eltern bat sie nur um die Unterschrift. So eine wie Chebli ist früh erwachsen. Und so eine hat das Selbstbewusstsein, es gegen alle Erwartungen bis ins Außenministerium zu schaffen.

"Ich bin in zwei Welten zu Hause, habe in zwei Kulturen Wurzeln, und das ist gut", sagt Chebli. Aber das Pendeln zwischen der palästinensischen Großfamilienwirklichkeit ihrer Eltern, in der die Erinnerungen an das Flüchtlingslager im Libanon noch wach sind, und der deutschen Realität, die sie ab der Schulzeit kennenlernte, war auch schwierig. "Es hat mich stark gemacht, es hat aber auch an mir gezehrt", sagt sie.

2010 im Berliner Senat

Es gab eine Zeit, da hat die praktizierende Muslima Sawsan Chebli mit Deutschland gefremdelt. Das waren die Monate, als Thilo Sarrazin sein Buch "Deutschland schafft sich ab" auf den Markt brachte und das Land, in dem sie sich so zu Hause fühlte, anfing, über den genetischen Zusammenhang von Intelligenz und nationaler Herkunft zu streiten. Doch Chebli hat sich nicht bremsen lassen. Sie studierte Politikwissenschaft in Berlin, Schwerpunkt Internationale Beziehungen, wurde Mitarbeiterin im Bundestag, bald auch Büroleiterin, da war sie Mitte 20.

2010 wechselte sie in den Berliner Senat, wurde die erste Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten bei Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Erst da fing sie an, das Ungewöhnliche ihres Werdegangs wahrzunehmen, denn auf einmal traf sie andere Einwanderer, die wissen wollten, wie sie es so weit geschafft hatte. Sie förderte Projekte wie den Verein Juma.

Das steht für "Jung, muslimisch, aktiv" und ist ein Netzwerk für Muslime, die als Leistungsträger die deutsche Gesellschaft mitgestalten wollen — und ihren Glauben praktizieren. Auch in der jungen Gruppe der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik engagierte sie sich. So lernte sie Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes kennen. Als die Chance kam, in die Behörde zu wechseln, waren ihr die Menschen nicht fremd. Und so wagte sie den Sprung.

Bei ihrem Antritt in der Regierungspressekonferenz vor zwei Jahren beschrieb sie wie üblich ihren Werdegang und fügte dann noch etwas hinzu: "Ich würde mir wünschen, dass wir irgendwann mal dahinkommen, dass es total normal ist, dass jemand wie ich einen solchen Posten innehat, ohne dass der religiöse oder ethnische Hintergrund so hervorgehoben wird. Ich hoffe, dass ich dazu einen Beitrag leisten kann, und freue mich, fühle mich geehrt, hier zu sitzen." Sawsan Chebli, die erste Muslima in der Riege der Außenamtssprecher, ist eine Pionierin. Sie arbeitet daran, dass das nicht so bleibt.

(dok)
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