Kampf um SPD-Vorsitz Flensburger Oberbürgermeisterin will gegen Nahles antreten

Berlin · Andrea Nahles könnte heute als erste Frau den Vorsitz der SPD übernehmen. Doch ihr Rückhalt wackelt, die Pläne zur raschen Übergabe des Chef-Postens stoßen auf Widerstand. Gegenwind kommt auch aus dem hohen Norden: Eine Oberbürgermeisterin kündigt ihre Kandidatur an.

 Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) in Kiel (Archivbild vom 08.06.2016).

Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange (SPD) in Kiel (Archivbild vom 08.06.2016).

Foto: dpa, reh pil hjb

Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange kündigte am Montagabend überraschend ihre Kandidatur für den SPD-Bundesvorsitz an.

"Ich werbe für eine Basiskandidatur und möchte den Mitgliedern wieder eine Stimme geben und sie an diesem Entscheidungsprozess ernsthaft beteiligen", begründete die 41-Jährige ihren Schritt in einem Schreiben an den Bundesvorstand, das der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. Sie wolle den Mitgliedern wieder das Gefühl geben, "dass sie es sind, die die Stimmung und die Richtung der Partei bestimmen", schrieb Lange, die seit 2003 SPD-Mitglied und seit dem 15. Januar 2017 Oberbürgermeisterin in Flensburg ist.

Präsidium und Vorstand der Sozialdemokraten wollen am Dienstagnachmittag über das weitere Vorgehen beraten. Erwartet wird, dass der bisherige Vorsitzende Martin Schulz dort seinen sofortigen Rückzug verkünden wird. Die Spitzengremien könnten dann beschließen, Nahles zur kommissarischen Parteichefin zu ernennen. Sie müsste dann binnen drei Monaten formal bei einem Parteitag gewählt werden. Die Bundestagsfraktionschefin wäre die erste Frau an der SPD-Spitze.

"Satzungsmäßig keine Grundlage"

Dieser Plan stößt aber auch rechtlich auf Bedenken. Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD zeigte sich irritiert. Es wundere ihn, dass Nahles "sofort, wenn auch nur kommissarisch, den Parteivorsitz übernehmen will", sagte Harald Baumann-Hasske der "Welt". "Dafür gibt es satzungsmäßig keine Grundlage, dies ist in unseren Statuten nicht vorgesehen."

Nahles könnte "Entscheidungen von großer Tragweite", etwa zu den Parteifinanzen, "auf dieser Basis keinesfalls treffen". Der Rechtsanwalt sagte der "Welt" weiter: "Die SPD-Führung will jetzt Geschlossenheit erzeugen und dabei auf die üblichen Vertretungsregelungen für den Vorsitzenden verzichten, obwohl es sechs stellvertretende Vorsitzende gibt."

Der Kölner SPD-Politiker und Vorsitzende des Vereins "NoGroKo", Steve Hudson, sprach sich gegen Nahles als kommissarische Parteivorsitzende aus. Es gebe sechs Stellvertreter in der SPD, die den Statuten entsprechend vorübergehend den Vorsitz übernehmen könnten, sagte er im RBB-Inforadio. "Frau Nahles ist nicht einmal Mitglied im sehr großen Parteivorstand", sagte Hudson. Für ein viel besseres Verfahren zur Entscheidung über den Parteivorsitz halte er eine Mitgliederbefragung. "Ich glaube, die Mitglieder eines Parteitags würden das Ergebnis respektieren", sagte Hudson.

Auch in der Berliner SPD formiert sich Medienberichten zufolge Widerstand. Nach Informationen des rbb war der Landesvorstand nahezu einhellig der Auffassung, dass zunächst einer der Stellvertreter von Schulz die Partei führen sollte. Dies sei kein Votum gegen Nahles. Es sollten aber vor einem möglichen Parteitag keine Tatsachen geschaffen werden, berichtete auch die "Berliner Morgenpost".

Schulz hatte zunächst angepeilt, sich erst nach dem SPD-Mitgliederentscheid über den Eintritt in eine weitere große Koalition von der Parteispitze zurückzuziehen und an Nahles zu übergeben. Nötig wird der schnellere Wechsel, weil die Personalquerelen um Schulz drohen, die Befragung zu überlagern. Schulz hatte nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen mit der Union - entgegen vorheriger Aussagen - angekündigt, er wolle Außenminister in einem schwarz-roten Kabinett werden und den Parteivorsitz abgeben. Auf großen Druck hin erklärte er aber kurz darauf seinen Verzicht auf den Ministerposten.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Malu Dreyer unterstützte die mögliche Ernennung von Nahles. "Die SPD kann nicht führungslos bleiben. Es war deshalb richtig, dass Martin Schulz den Vorschlag gemacht hat, dass Andrea Nahles kommissarisch die Parteiführung übernimmt", sagte Dreyer der Deutschen Presse-Agentur. Auch SPD-Vize-Chefin Manuela Schwesig stärkte Nahles im Gespräch mit unserer Redaktion den Rücken: "Ich persönlich unterstütze den Vorschlag, dass Andrea Nahles kommissarisch die Parteiführung übernimmt. Sie ist eine starke Persönlichkeit mit viel Erfahrung. Alles Weitere entscheidet der nächste Bundesparteitag", sagte Schwesig.

Linken-Co-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sprach angesichts der Personalie von einem "Offenbarungseid". Sie kritisierte, die SPD brauche keine "Weiter-so-Verwalterin, sondern eine inhaltliche Erneuerung". Nahles habe die faulen Kompromisse in den Koalitionsgesprächen mit ausgehandelt. In der letzten Regierung habe sie als Ministerin zudem unter anderem dem Boom von Leiharbeit und unsicheren Jobs zugesehen, sagte Wagenknecht der "Neuen Osnabrücker Zeitung".

Die baden-württembergische SPD-Chefin Leni Breymaier kritisierte die Ankündigung der Flensburger Oberbürgermeisterin, sich für den SPD-Vorsitz zu bewerben, und wandte sich zugleich gegen eine Einbeziehung der Basis. "Einen Mitgliederentscheid zu machen, nur um einen Mitgliederentscheid zu haben, das halte ich für eine Farce", sagte sie in Südwestrundfunk.

(oko)
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