Portugal Hunderttausende demonstrieren gegen Sparpolitik

Lissabon · In Portugal haben am Samstag hunderttausende Menschen gegen die Sparpolitik der Regierung demonstriert. In mehr als 30 Städten fanden Kundgebungen statt.

 Allein in Lissabon versammelten sich rund 500.000 Menschen.

Allein in Lissabon versammelten sich rund 500.000 Menschen.

Foto: afp, PATRICIA DE MELO MOREIRA

Die Proteste richteten sich auch gegen die Sparauflagen, die die Troika von Europäischer Union, Europäischer Zentralbank (EZB) und Weltwährungsfonds (IWF) der Regierung in Lissabon gemacht hatte.

Zu den Demonstrationen hatte die Initiative "Zum Teufel mit der Troika" aufgerufen. Sie hatte im September 2012 in Lissabon eine der größten Kundgebungen in der Geschichte des Landes mit etwa einer Million Menschen organisiert. Bei den Kundgebungen am Samstag bezifferten die Veranstalter nach ersten Schätzungen die Zahl der Teilnehmer in Lissabon auf 500.000 und in Porto auf 400.000

Proteste in 30 Städten

In dem krisengeschüttelten und hoch verschuldeten EU-Land machen sich immer mehr wütende Bürger mit derart kreativen Protestformen bemerkbar. Nächster Höhepunkt sind Großdemonstrationen an diesem Samstag in 20 Städten, zu denen Zehntausende Menschen erwartet wurden.

"Es gibt ein verbreitetes Gefühl der Machtlosigkeit", sagt Antonio Costa Pinto, Politologe an der Universität Lissabon. Kein Wunder, denn die Arbeitslosigkeit ist auf ein Rekordhoch von 16,9 Prozent geschnellt, bei den Unter-25-Jährigen sogar auf rund 40 Prozent. Die Rezession geht schon ins dritte Jahr, und die Bürger ächzen unter immer neuen Steuererhöhungen und schmerzhaften Einschnitten bei den Sozialleistungen.

Coelho gibt sich noch ungerührt. Die Protestierenden, die ein Ende des strikten Sparkurses und staatlich finanzierte Wachstumsprogramme fordern, seien in der Minderheit und nicht repräsentativ, sagte er vergangene Woche. "Wir sollten einen einzelnen Baum nicht mit dem Wald verwechseln." Die Antwort der Protestbewegung auf Facebook folgte prompt. Auf einem Poster mit dem Demonstrationsaufruf prangt nun den Slogan : "Wir sind der Wald!"

Protestlied wird Hymne

Coelho und seine Mitte-Rechts-Regierung müssen dieser Tage auch öfter wider Willen einem 40 Jahre alten Protestlied lauschen, das Demonstranten landauf, landab wie eine Hymne anstimmen. Der getragene Folksong "Grandola, Vila Morena" hat seinen Ursprung in der sogenannten Nelkenrevolution 1974. Als das von Zeca Afonso gesungene Lied damals nachts im Radio gespielt wurde, war es das Signal für die Rebellentruppen, vereint gegen die vier Jahrzehnte währende Diktatur in Portugal loszuschlagen.

Der Text erscheint brandaktuell. Beschworen wird ein "Land der Brüderlichkeit" und eingefordert, dass dem Volk das letzte Wort gebühre. Kürzlich haben es Aktivisten von der Besuchertribüne im Parlament lauthals angestimmt, so dass Coelho seine Rede unterbrechen und geduldig die musikalische Darbietung der Demonstranten abwarten musste. Anderen seiner Minister erging es bei öffentlichen Auftritten ähnlich.

Nach außen hin gaben sich die Kabinettsmitglieder amüsiert. Doch ihr wachsendes Unwohlsein war offenkundig.

(ap/anch/jco)
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